24.07.2012

HOMEVIDEO (2011)

Jakob ist 15 und erlebt seine erste Annäherung zu einem Mädchen, während seine Eltern sich scheiden lassen. Inmitten dieser aufgewühlten Zeit geschieht etwas schreckliches. Ein Masturbationsvideo Jakobs landet in den Fingern eines Mitschülers, der die peinlichen Aufnahmen ins Internet stellt...

Liebe, Eigensex und Video...
 
Kinder können so grausam sein, heißt es immer wieder. Und auch im Jugendalter, in welchem der Nachwuchs nur noch ungern Kind genannt wird, kann man diesen Worten nicht widersprechen, bildet das Sozialgefüge der Schule doch ohnehin einen komplett anderen Kosmos mit eigenen Regeln und Gesetzen. Sicherlich schimmert die Welt der Erwachsenen immer wieder durch, und auch ihr gesetzlicher Einfluss scheint dominant, doch tritt er häufig erst dann in Erscheinung, wenn bereits die Extreme einer Situation erreicht wurde.

Das ist nun einmal so. Daran hat man sich gewöhnt, und da musste jeder durch, mal auf härtere, mal auf sanftere Weise. Sich gegen Gleichaltrige zu behaupten formt den Charakter und bereitet auf das weitere Leben vor, in welchem einem nun einmal nicht immer Mama und Papa zur Seite stehen. „Homevideo“ erzählt jedoch von einer Problematik, die weit über den bislang herrschenden Zustand hinaus geht. Das Mobbing über Internet, und ganz besonders jenes welches über Videomaterial online gesetzt wird, lässt sich eben nicht so leicht über die Welt der Erwachsenen kontrollieren wenn der Extrempunkt erreicht ist.

So sehr man sich auch bemüht, das Internet ist unübersichtlich, kann sich über die Gesetze des eigenen Landes hinwegsetzen und bietet ein Podest für Redefreiheit. Das ist positiv wie negativ zu nennen, und bei den Auswirkungen die dies mit sich zieht braucht es einen nicht wundern, dass sich die Meinungen teilen, wenn es darum geht welche von beiden Seiten die entscheidendere ist. Man ist im Netz oft nicht mehr anonym, aber nicht alles lässt sich auf einen speziellen User zurückführen. In letzter Konsequenz könnte man von einem Computerbesitzer nicht verlangen sein Gerät derart abzuschotten, damit niemand Drittes damit online gehen kann. Wie will man da ein Online-Verbrechen auf den Grundlagen heutiger Gesetzeslagen lösen?

Die Frage in „Homevideo“ geht sogar über diesen Gedankengang hinaus. Denn selbst wenn der User geschnappt wird, der das Onlinemobbing begangen hat, ist das Sozialleben des Opfers längst zerstört, ebenso wie dessen Psyche und Karriere. Das Zusehen von Riedhofs Film schmerzt ungemein, es ist dieses intensive Erlebnis welches sein Drama so gut macht, und als Zuschauer will man da durch, weil man weiß wie wichtig dieses Thema heutzutage ist in Zeiten in denen fast jeder eine Kamera und einen Internetzugang besitzt und in der die Statistiken über Online-Mobbing erschreckend hoch sind, die Dunkelziffer nicht einmal mit bedacht.

Dass es eine Jugendwelt ist, anhand welcher das filmische Beispiel vollzogen wird, hat sicherlich den Grund, dass die Bereitschaft zu einer solchen Tat und die Kenntnisse über die Möglichkeiten im Netz in diesem Alter besonders hoch sind. Und der Eingangs angeschnittene Mikrokosmos Schulhof ist sicherlich auch ein Grund dafür. Für einen Geschichtenerzähler eignet sich das gewählte Alter jedoch weit mehr, erlebt das Opfer diese schreckliche Erfahrung doch in einer Zeit, in welcher die Seele sehr unsicher und sensibel ist, man noch aufgrund dessen dass man von allen akzeptiert werden will und sich keine Blöße geben darf besonders verletzbar ist und die Möglichkeiten der Gegenwehr noch nicht ergriffen bekommt ohne sich an jene zu wenden, von denen man sich in diesem Alter emanzipieren will.

Zwar kann man die Welt des frisch verliebten Jakob nicht als leicht und fröhlich mit Zuckerwatte in der Luft bezeichnen, immerhin lassen sich seine Eltern scheiden. Aber doch geht Jakob durch sein Verliebtsein mit einer Leichtigkeit durchs Leben, die für kurze Zeit stärker durchschimmert als seine Unsicherheit Mädchen gegenüber. Und genau zu diesem Zeitpunkt der Verletzbarkeit setzt der Part ein, in welchem ein Mitschüler an ein Masturbationsvideo Jakobs gerät, eine Sachlage die nicht nur beschämend, da peinlich ist, sondern die darüber hinaus das komplette Sozialgefüge des Schülers zerstören kann.
 
Zu diesem Zeitpunkt ist das Video noch nicht ins Netz gestellt. Die Panik Jakobs ist bereits aus anderen Gründen sehr hoch und das Problem aus Elternsicht auch schnell gelöst, allein weil Herr Papa ohnehin für die Polizei tätig ist. Doch genau dieser Bereich der Erzählung richtet sich endgültig an das erwachsene Publikum, welches scheinbar immer noch glaubt alles lasse sich so leicht korrigieren und beheben. Denn von diesem Moment an weiß der Zuschauer mehr als die Hauptfiguren, die glücklich in ihrem angeblichen Happy End aufgehen, bevor die wahre schwarze Wolke über das Land zieht: das Einstellen dieses Videos ins Internet. Heutzutage lässt sich alles x-fach duplizieren und dank internettauglicher Handys landet ein ins World Wide Web gestelltes Filmchen auch bei jenen Leuten die direkt mit Jakob in Kontakt stehen.

Von nun an geht der Film sein Thema gnadenlos an. Er zeigt offensichtliche Maßnahmen ebenso auf, wie mit dem Hauptproblem einhergehende Geschehnisse an die man nicht sofort denkt. Lösungsmöglichkeiten werden durchgegangen, leider von Erwachsenen die allein aufgrund ihrer eigenen privaten Situation zur Zeit nicht vollkommen rational denken können. Aber selbst wenn sie es könnten, was bliebe schon für eine Möglichkeit?

Auch darauf gibt der sehr intensiv erzählte „Homevideo“ eine Antwort, jedoch nicht ohne böses Hintertürchen, eines welches raffiniert ist, da es noch einmal überdeutlich die naive Sicht der Erwachsenen zeigt, die in einem neu aufkommenden Dilemma etwas positives sehen, wohingegen es Jakob zu einer Entscheidung treibt, mit welcher der Film schließt.

So stark der Film auch erzählt ist, und so authentisch er daher kommt, der Schluss wirkt etwas aufgesetzt, zumal einige Werke dieser Art so oder ähnlich schließen („Die brennende Schnecke“, „Kinder ohne Gnade“, „Die Welle“, „Wenn die Welt uns gehört“ ...). Durch das gelungene Ergebnis macht dieser kleine Wermutstropfen den Film nicht kaputt. Ohnehin habe ich mit diesem Schluss gerechnet, eben weil der Film den üblichen Pfaden der Vergleichsfilme, bzw. seines Genres an sich folgt, zumindest mit Blick auf die europäischen Jugend-Dramen. Kennt man die Geschichte, schlägt der Streifen eigentlich keinen Weg ein, der einem als Kenner dieses Genres nicht vorher bewusst ist. Er arbeitet für den informierten Zuschauer nicht mit Überraschungen. Jener, der sich „Homevideo“ anschaut, ohne vorher zu wissen um was es geht, erlebt diese um so mehr.

Aber ob man nun vorher Bescheid weiß oder nicht, macht nichts an der intensiven Wirkung des Gesehenen aus. Und diese wird meist über das hervorragende Spiel der Darsteller erzeugt, allen voran Jonas Nays sensibles Spiel als Jakob und Wotan Wilke Möhring als dessen Vater. Aber auch die Rolle der Freundin und des Peinigers sind ausgezeichnet besetzt. Großartig war ebenso die Arbeit des Drehbuchautors, der nicht nur mit dem eben erwähnten scheinheiligen Happy End-Kniff ein Gespür für eine gekonnte Erzählung beweist, sondern auch mit der Vermischung von Schwarz und Weiß bei Schuld und Unschuld, Opfer und Täter, Vorurteile und Offenheit. Besonders zur Geltung kommt diese Herangehensweise, wenn Hanna sich trotz allem was passiert ist Jakob nähern möchte, dieser aber psychisch schon derart kaputt ist, dass er diesen hilfreichen Strohhalm nicht mehr zu ergreifen weiß.

Kilian Riedhof hat auf dieser Grundlage einen gelungenen Film geschaffen, dessen Stoff sein intensives Ergebnis fast selbst erschafft. So naiv könnte man zwar denken mit Blick auf Riedhofs missglücktem Erstling „Riekes Liebe“, ebenfalls ein Jugend-Drama, aber selbstverständlich ist es auch seinem Wirken zu verdanken, dass „Homevideo“ ein solch tolles Ergebnis beschert wurde, welches aus Kritikersicht auch von den meisten gewürdigt wurde. „Homevideo“ ist ein guter Film, der vom Zuschauer viel abverlangt und zum richtigen Zeitpunkt gedreht wurde.  OFDb

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