21.09.2012

DER ZAUBERER VON OZ (1925)

Der Thron von Oz ist falsch besetzt. Das Volk ist empört. Die unwissende Thronanwärterin heißt Dorothy und wohnt in Kansas. Zu ihrem 18. Geburtstag soll sie die Wahrheit ihrer Existenz erfahren, aber Gesandte des unrechtmäßigen Herrschers von Oz versuchen dies zu verhindern. Ein unglaubliches Unwetter fegt Dorothy mit Freunden und Feinden in das besagte ferne Land. Hier erfährt die junge Frau die Wahrheit, bekommt vom Herrscher aber auch all zu deutlich gezeigt, dass er nicht kampflos den Thron hergibt. Ein Zauberer, der über keinerlei magischer Kraft verfügt und bisher für den Bösewicht arbeiten musste, verbündet sich mit Dorothys Freunden. Einer verkleidet sich als Vogelscheuche, ein anderer als Blechmann, um dem falschen Herrscher die Macht des Zauberers vorzuschwindeln. Doch dies ist erst der Anfang eines aufreibenden Kampfes, an dem sich im späteren Verlauf auch ein Freund im Löwenkostüm beteiligt...

Kein zauberhaftes Land...
 
Wer kennt es nicht, das berühmte Musical aus dem Jahre 1939, in dem ein Mädchen in einem Land hinter dem Regenbogen landet und von Heimweh befallen den Zauberer von Oz aufsucht? Für mich zählt dieser Film zu den frühen Höhepunkten des Tonfilms. Grund genug voller Neugierde in die fast 15 Jahre zuvor entstandene Stummfilm-Version hineinzuschauen. Bis vor kurzem war mir nicht einmal bewusst, dass eine frühere Verfilmung existierte. Wie würde die Geschichte in schlichterem Gewand wohl wirken? Ich war mehr als gespannt.

Es beginnt alles damit, dass ein Herr einem Mädchen aus dem Buch „The Wonderful Wizard Of Oz“ vorlesen soll. Den Wunsch kann er dem jungen Ding nicht abstreiten, also liest er. Und was dann kommt ist alles anders als erwartet. Erzählt wird uns von einem Mann, der fälschlicher Weise auf dem Throne von Oz seinen Platz eingenommen hat. Das Volk ist empört und verlangt nach dem wahren Herrscher. Zur allgemeinen Ablenkung soll der Zauberer von Oz ein paar seiner Tricks zeigen. Nun wird das Kind, dem die Geschichte erzählt wird, ungeduldig. Es möchte von Dorothy hören. Also setzt der Erzähler die Geschichte in Kansas fort.

Dort haust besagte Dorothy, die erwachsener als vermutet aussieht, ist sie doch immerhin bereits 17 Jahre alt. Tante Emmy ist eine liebe Person, Onkel Henry ein aufbrausender Dicker mit dem Herz am rechten Fleck. Zwei der drei Mitarbeiter am Hofe schwärmen für die hübsche Dorothy, der eine mutig und direkt, der andere heimlich und arg trottelig. Zu ihrem 18. Geburtstag muss Dorothy erfahren, dass wer Fremdes sie einst in Kansas aussetzte, und sie beginnt ihre Herkunft zu ergründen. Böse Ausgesandte aus dem Lande Oz versuchen dies zu verhindern. Letztendlich kommt es zum obligatorischen Unwetter, und Dorothy wird in einer Scheune ins Lande Oz geweht. Dieses Land liegt nicht hinter dem Regenbogen, wie es in der Buchvorlage der Fall war, sondern auf der Erde, und Dorothy wird auch nicht, wie im späteren Erfolgsfilm, alleine dorthin geweht, die drei Mitarbeiter, der Onkel und die Gesandten aus Oz sind alle mit dabei.

Der unrechtmäßige Herrscher muss verhindern, dass Dorothy den Thron besteigt, ist sie doch laut der Papiere die Königin. Also soll der Zauberer etwas unternehmen. Dieser ist aber, ebenso wie in Buch und Musical, ein Scharlatan, der über keinerlei Zauberkunst verfügt. Außerdem gilt seine Sympathie heimlich der jungen Dorothy. Um ihr zu helfen verbündet er sich mit den Mitarbeitern vom Bauernhof. Der eine verkleidet sich als Vogelscheuche und wird dem bösen Herrscher als das Zauberprodukt des Magiers präsentiert. Ein anderer wird zum Blechbüchsenmann. Dies allerdings recht kurz. Der Löwe hingegen muss noch warten, der wird erst später gebraucht. Der dritte Mitarbeiter, in dieser Verfilmung ein Schwarzer, verkleidet sich zu gegebener Zeit als Löwe, um die bösen Mitarbeiter des Herrschers von Oz zu verschrecken. Es entsteht ein Kampf um den Thron, und wir alle wissen wer diesen gewinnen wird.

Hat man all dies hinter sich gebracht, kann man wahrlich überrascht sein. Was man hier sehen durfte war eine völlig andere Geschichte als erwartet. Kleine Elemente stimmen mit dem Buch und der späteren, berühmteren Verfilmung überein, und bis auf den Flug mit der Scheune gibt es nicht ein einziges phantastisches Element, höchstens manche Übertreibung zu Komikzwecken. Denn „Der Zauberer von Oz“ ist als Komödie angelegt und dies für seine Entstehungszeit typisch im Slapstickbereich. So ist es z.B. eine interessante Tatsache, dass in dieser Verfilmung zwar das Schicksal Dorothys im Zentrum der Geschichte steht, Dorothy selbst jedoch nicht. Im Mittelpunkt steht der „Hofnarr“, der heimlich verliebte Trottel, der sich später in Oz in die Vogelscheuche verwandeln wird.

Verkörpert wird er von Larry Semon, einem schon damals erfahrenen Pantomimen und Komiker, der hier gleichzeitig Regie führte (und auch in diesem Bereich bereits allerhand Erfahrung hatte). Die sympathische, tolpatschige Art seiner Figur wird herrlich überzogen dargestellt. Er stolpert von einer absurden Situation in die nächste. Bis man Oz erreicht dauert seine Zeit. In der langen Phase, die in Kansas spielt, wird er von einem Esel getreten, von Bienen geärgert und verfolgt, flüchtet er auf hohe Türme, auf denen er herum turnen und von einem auf den anderen springen muss. Es ist herrlich mit anzusehen, wie verspielt hier zu seiner Zeit getrickst wurde. Aus Eiern in der Hose (nicht falsch zu verstehen) schlüpfen Küken aus dem Hosenbein heraus. Die eben erwähnten Bienen sind in den Film hinein gemalt (bereits hier musste ein Schauspieler mit unsichtbaren Elementen spielen, die erst später in den Film eingebracht wurden),  und die Szenen auf den Türmen sind tricktechnisch für seine Zeit hervorragend ausgefallen. Zwischendurch darf unser Antiheld von einem Bauernhof-Vogel angekotzt werden, eine Szene die man selbst gesehen haben muss, um sie zu glauben. An absurden Situationen mangelt es nicht. 
 
Deren Anteil lässt auch dann nicht nach, wenn die Geschichte endlich einmal in Oz angekommen ist. In seinem dort erst zum Einsatz kommenden Vogelscheuchenkostüm wirkt Semons Slapstick noch eine Spur grotesker. Aus heutiger Sicht sieht er ohnehin in seiner Verkleidung interessant aus, erinnert sein geschminktes Gesicht doch entfernt an eine plumpe Version von „The Crow“. Neben den „Klamottenkiste“-üblichen Verfolgungsjagden und Hinplumpsern gibt es z.B. noch chaotische Situationen mit echten Löwen zu sichten (an denen auch der schwarze Darsteller beteiligt ist, der erst ab dem Zeitpunkt seiner Verkleidung die Aufmerksamkeit beschert bekommt, die er schon vorher verdient hätte, so nett wie er spielt). Hier dürfen Pfotenattrappen den leidenden Hofarbeitern eine scheuern. Die gemeinsamen Szenen mit echten Löwen scheinen dennoch nicht getrickst zu sein. Ich vermutete erst eine Bildschirmteilung, da der Vogelscheuchenmann (und in einer parallel ähnlichen Szene der Löwenverkleidete) links im Bild sitzt, und der echte Löwe rechts. Da Semon allerdings bewusst jede Regung des Löwen wahrnimmt, um seine Reaktionen auf ihn in belustigende Gestik oder Mimik umzusetzen, denke ich dass er wirklich neben der Raubkatze sitzt. Andererseits wurde in Sachen Spezialeffekte fast alles was damals möglich war eingebracht: Aufnahmen, die rückwärts laufen, Taschenspielertricks, hinein gemalte Elemente,...
 
„Wizard Of Oz“ (Originaltitel) ist definitiv ein interessanter Beitrag filmischen Schaffens. Das wäre er bereits ohne seinen 14 Jahre später entstandenen großen Bruder. Durch ihn wird die Stummfilmversion allerdings erst recht interessant. Ohne wirklich nennenswerte Fantasy-Elemente und ohne Gesang (versteht sich von selbst) darf man die bekannt geglaubte Geschichte völlig anders erleben, präsentiert in einem völlig anderem Gewand: jenem des Slapstick-Kinos. Als eigenständiger Film kann „Der Zauberer von Oz“ ebenso punkten wie als Vorgänger des großen Bruders. Untermalt durch eher belangloses, manchmal aber durchaus atmosphärisches, Klaviergeklimper wird man auf Spielfilmlänge gut unterhalten. Leider wirkt manches etwas ermüdend, da diverse Auseinandersetzungen mit den Bösewichtern einfach mehr Laufzeit einnehmen als vorteilhaft gewesen wäre. Wo der Kansasbereich trotz seiner langen Laufzeit diesbezüglich noch Kurzweile versprühte, kann die Oz-Hälfte die ein oder andere Länge nicht verbergen. Das ist schade, aber auch nicht sehr gravierend für das sympathische Endergebnis.  OFDb

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