07.09.2019

WIR (2019)

Mit "Get Out" hatte Jordan Peele ein beeindruckendes Erstling als Autor und Regisseur umgesetzt. Der Aufhänger seines Folgefilms "Wir" klang ähnlich interessant, und ein gutes Covermotiv motivierte zusätzlich sich den zweiten Horrorbeitrag des Mannes zu Gemüte zu führen. Als die stimmig erzählte, nett fotografierte Vorgeschichte ebenfalls zu funktionieren wusste, schien alles gut zu gehen, die Euphorie, der ich im Netz bezüglich dieses Filmes begegnete, schien sich zu bestätigen. Eine halbwegs natürlich agierende Figurenkonstellation im Jetzt angekommen wusste auch noch zu gefallen, ebenso die Bedrohung im Dunkeln, die irgendwie faszinierend unnatürlich als Schatten auf dem Grundstück stand. Doch ausgerechnet mit dem Aufdecken des Aufhängers, dass die Wilsons es mit Doppelgängern zu tun bekommen, geht die Magie des Streifens flöten. Aus einer stimmigen Atmosphäre wird erstmals eine Ernüchterung, wenn das Gegenstück der Mutter mit krächzender Stimme gewollt auf unheimlich getrimmt ist, das schweigende Gegenstück zum Vater einem zurückhaltenden Brüllbär entspricht und Sohnemann wie ein Tier gehalten wird, während die Tochter unauffällig psychopathisch bleibt. Zu schnell findet der Wechsel vom Unheilvollen zum lauten Bildhaften statt, ganz anders als in Peeles Vorgänger.

Konnte dieser aufgrund einer tief eintauchenden Verunsicherung von psychologischen Schwachpunkten ablenken, sie sogar Teil des Geschehens werden lassen, so dass man nie wusste was Dummheit des Autors ist und was zur Verwirrung der Chose dazu gehören soll, fällt bei "Wir" sehr schnell auf, dass er lediglich auf äußere Schauwerte setzt, während er bemüht versucht mit einem angeblich intelligenten Plot davon abzulenken. Nur hebelt dieser sich bereits bei jedem ersten Gedankengang von selbst aus, so dass der Film mit jeder weiteren Entblätterung seines Geheimnisses immer unsinniger wird und kein Hinterfragen von Zusammenhängen besteht. Dass ist nicht nur insofern schade, als dass die Hauptdarsteller gut agieren, der Aufhänger ein gelungener ist und die Inszenierung theoretisch professionell angegangen wurde, gerade was die Kamera betrifft, es ist auch schade um manche nicht durchdachte Zusatzidee. Mit diesen streift "Us" (Originaltitel) manches Mal den Bereich des Zombiefilms, aber auch Werke zum Thema Klonen wie "Die Insel" und "Alles, was wir geben mussten", kommt an deren gelungenes Ergebnis jedoch nicht heran, weil sich "Wir" weder als gut funktionierender Geistlosfilm schaut, noch als durchdachtes Intellektkino. Alles was wir hier präsentiert bekommen ist Schaumschlägerei, die beeindruckend klingt, es bei näherer Betrachtung jedoch nicht ist. Der wissenschaftliche Hintergrund der Geschehnisse wird nicht exakt genug hervorgehoben, die Aggressoren wirken nie bedrohlich genug, lassen sich ganz im Gegenteil sogar schnell entledigen, die Motivation der Doppelgänger ist hanebüchener Natur, und der vorhersehbare Schlusstwist beweist, dass Peele jegliche Chance für den Überraschungseffekt nutzt, frei losgelöst von allem zuvor Gesehenen, so als würde man alle fünf Minuten vergessen was vorher geschah, um alles was darauf folgt glauben und akzeptieren zu können. Warum sollte es nach allem zuvor Gezeigten Sinn ergeben, dass die Hauptfigur als Kind seinerzeit ausgetauscht wurde?

Dass Peele ohne zu hinterfragen und zu verstehen einzig auf Sehgewohnheiten setzt, die den Zuschauer faszinieren und ablenken sollen, beweist er beispielsweise in der Vorphase der Geschichte, wenn diverse Omen darauf verweisen, dass bald etwas Unheimliches geschieht. Nie entscheidet sich der Autor ob das was geschieht eine persönliche Sache der Mutter, ihrer Doppelgängerin und ihrer Kindheitserfahrung sein soll, oder ein Massenphänomen. Die Antwort diesbezüglich erhalten wir nicht einmal mit der Information, dass ihr Klon, der eigentlich das Original ist, der Anführer der Klon-Revolution ist. Fragen wie jene, warum die Doppelgänger sich nicht früher befreit haben, und warum sie glauben sie müssten das Original ersetzen, anstatt einfach in die Ferne zu ziehen, werden ebenso wenig beantwortet wie die Frage, warum das Experiment dazu führen sollte Menschen zu lenken. Warum verlässt man das Experiment und lässt die Produkte für sich allein? Und hat nach all den Jahren überhaupt noch jeder ein ortsansässiges und noch lebendes Gegenüber? Warum sollte das Original seinen Austausch zu Kinderzeiten vergessen? Wie kommen die religiös angefixten Doppelgänger zu all den Scheren und pseudo-sinnbildlichen Gefängnisklamotten, die lediglich dazu dienen dem pseudo-intellektuellem Publikum eine Gesellschaftskritik verschiedener Schichten vorzugaukeln? Warum sind die Klone mal direkt an die Erlebnisse ihres Originals gebunden, so als seien sie marionettenartige Spiegelbilder, und dann wieder überhaupt nicht? Keine dieser theoretisch oft sympathischen Ideen ist ausgereift, durchdacht und sinnvoll für die Geschichte eingesetzt, weder intellektuell, noch unterhaltungstechnisch. Und da es an atmosphärischer Mystik, einem packenden Spannungsbogen, einem brauchbaren Endzeit-Feeling und einer spürbaren Bedrohung fehlt, wird "Wir" zu einem Rohrkrepierer, einem peinlichen Fremdschämwerk für ein denkfaules Publikum, dem man wirklich jeden Rotz vorsetzen kann, sofern er hübsch abgefilmt ist und den Stempel innovativ und clever vorgaukelt.  OFDb

2 Kommentare:

  1. Hui, gewaltig abgewatscht, das Werk. "Wir" habe ich noch nicht gesehen, werde aber sicher - trotz deiner negativen Stimmung - mal reinschauen. Muss mir dann ja doch ein eigenes Bild machen... :)

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    1. Die meisten im Netz mögen ihn. Bin mal gespannt was Du dazu schreibst, wenn's soweit ist. :)

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