Als in Frankreich in den 00er Jahren mit "High Tension", "Frontier(s)" und "Inside" einst die harte Terrorhorror-Welle begann, ließ "Martyrs" als Weiterverfolgung dieser Idee nicht lange auf sich warten und wusste mit seinen harten, verstörenden Bildern erfolgreich Anschluss an besagte Publikumslieblinge zu finden. Die Geschichte um die ehemaligen Heimkinder Lucie und Anna ist in wahrlich extrem blutige Bilder getaucht, so dass es nicht verwundern muss, dass in Deutschland erst der Griff zur SPIO/JK-Fassung zum ungeschnittenen Ergebnis führt und nicht das FSK 18-Siegel. Pascal Laugier, der uns kürzlich "Ghostland" bescherte, spart nicht mit rotem Lebenssaft innerhalb einer provokativen Geschichte, die einiges vom Zuschauer abfordert. Ob es ein plötzliches Massaker nach einer friedfertigen Szene ist, oder der alte Identifikationsfiguren-Trick von Hitchcock aus "Psycho", der gute Mann, der nicht nur Regie führte, sondern auch für das Drehbuch verantwortlich war, zieht sämtliche Tricks aus dem Ärmel, um den Zuschauer herauszufordern, zu überraschen und ihm neue Blickwinkel auf die bisherigen Geschehnisse zu offenbaren.
Aufgrund guter, alles gebender Schauspieler, wunderbarer ekliger Bilder und Laugiers Gespür für Atmosphäre weiß das abartige Treiben vom Unterhaltungswert her auch tatsächlich zu funktionieren. Wahrhaft überzeugend wäre "Martyrs" jedoch erst ausgefallen, wenn er nicht rein der Provokation wegen seine wendungsreiche Geschichte vorwärts treiben würde, sondern auch psychologisch stimmig und glaubwürdig ausgefallen wäre und zudem mehr Nähe zum Innenleben seiner Hauptfigur gefunden hätte, damit wir das Drama das sie durchlebt auch emotional mitempfinden können. Die erste große Wende des Streifens empfinde ich noch als wirklich geglückt, weckt sie doch den Abenteuergehalt der Geschichte, wirft die Entdeckung Annas doch ein Rätsel auf, bei dem allein die dadurch im Raum stehende Frage ein Unwohlsein entstehen lässt, welches dem Zuschauer ein flaues Gefühl im Magen beschert. Leider beantwortet ein näheres Überprüfen dieser Entdeckung manche offene Frage zu schnell, aber das Einbringen einer neuen Figur beschert uns inmitten harter Momente, in denen sich die Verantwortlichen der Spezialeffekte freudig austoben durften, zumindest eine zu Herzen gehende Dramaturgie, die man im Restfilm nach Verschwinden besagter neuer Figur vergeblich suchen wird.
Von dem Zeitpunkt an, wo aus einer Entdeckerin ein Opfer wird, baut "Martyrs" schrittchenweise immer weiter ab aufgrund abstruser Wendungen, deren Erklärungen nicht zu überzeugen wissen - ja mehr sogar, aufgrund ihrer Naivität gar lächerlich anmuten, insbesondere die Schlusspointe, die mehr reißerisch als intelligent ausgefallen ist, aber lieber letzteres wäre. Aber dies ist ein Problem unter welchem das lange letzte Drittel der Geschichte ohnehin zu leiden hat. Laugier glaubt, und das merkt man anhand der Art wie die Geschichte ab hier ihre Überraschungen einstreut, eine recht tiefsinnige, philosophische Story zu präsentieren, tatsächlich liefert er nur pseudo-clevere Überraschungen ab, die ähnlich reißerisch ausgefallen sind wie die Brutalitäten des Streifens, im Gegensatz zu diesen jedoch nicht ihren Zweck erfüllen. Mit jeder neuen Erkenntnis wird zu schnell zuvor Rätselhaftes beantwortet, während neu aufgeworfene Fragen weit weniger interessieren, je mehr unsinnige Antworten wir geliefert bekommen. Das Geschehene ist für das anvisierte Ziel als zu umständlicher Weg gewählt, findet für die Antwortsuchenden innerhalb der Geschichte eigentlich auch zu spät statt und steht in der Umsetzung, der wir final beiwohnen dürfen, in manchem Widerspruch zu bisher gesichteten Ereignissen.
Nun könnte ich bei solch nervenzerrender Stimmung, die Laugier definitiv zu entfachen weiß, über eine unsinnige Geschichte gütigst hinwegsehen, ein Horrorfilm muss nun einmal nicht zwingend logisch sein um zu funktionieren. Aber leider vernachlässigt Laugier in seinem Drang nach Provokation außerdem das Studieren des Leidens Annas. Wir wohnen regelrecht voyeuristisch Gewalttaten bei, auf welche die Kamera minutenlang gnadenlos drauf hält, hart eingefangen aufgrund der nüchternen Art der Umsetzung (an sich ein guter Aspekt) und verstörend aufgrund der anonymen Art und der trotz gegebener Andeutungen noch immer unklaren Beweggründe (geht auch in Ordnung), aber ohne die Dramaturgie dieser Momente aufzugreifen. Was Anna widerfährt ist eine Tortur höchsten Ausmaßes, und anstatt ähnlich wie in Cronenbergs "Die Fliege" das körperliche Leiden und die hervorragenden Spezialeffekte zum mitfühlenden Drama werden zu lassen, ruht Laugier sich auf den Brutalitäten aus und vernachlässigt somit, wie an einigen anderen Stellen des Streifens aus selbigen Gründen ebenfalls, den möglichen Tiefgang seiner Terrorgeschichte. Was bleibt sind oberflächliche Gewaltbilder, beeindruckend echt in Szene gesetzt, so dass man ein harter Brocken sein muss, um nicht verstört auf das Gezeigte zu reagieren, aber zu oberflächlich abgearbeitet und wie erwähnt aufgrund der gelieferten, naiven Erklärungen leider lächerlich anstatt tiefsinnig ausgefallen.
Laugier würde mit den Geheimnissen, die "Martyrs" zu Tage fördert, gerne zum nachdenken anregen. Der Zuschauer soll sich über den Schluss hinaus noch mit den gemachten Entdeckungen auseinandersetzen, über das Unbeantwortete nachgrübeln und darüber zu welch abscheuliche Taten Angst die Menschen verleitet. Aber hierfür ist jeglicher Hintergrund zu dümmlich und aufgeblasen ausgefallen. Reißerische Beweggründe stehen als Antrieb hinter den Ereignissen, ein wackelndes Gerüst einer Organisation kreierend, die in dieser Form unglaubwürdig ausgefallen anstatt faszinierend geartet ist, zu viele Fragen aufwirft um sie so ernst nehmen zu können wie jene aus den "Hostel"-Filmen und zu wenig durchdacht ist, um die mit ihr aufkommenden Provokationen ernst zu nehmen. Gerade wenn man versucht sich in die Drahtzieher der Hintergründe hineinzuversetzen (was aufgrund der dafür zu ignorierenden Naivitäten für einen denkenden Menschen bereits unglaublich schwer ist), macht die Schluss-Pointe so gar keinen Sinn mehr und entlarvt den Streifen endgültig als reißerisch anstatt als durchdacht.
An sich ist das sehr schade, denn von der Erzählung und den Bildern her ist das alles recht ordentlich umgesetzt. Mag auch nur selten ein echter packender Spannungsbogen entstehen, verstörend ist das Treiben in "Martyrs" definitiv ausgefallen, auch in der dümmlichen Phase, da braucht man den Streifen nicht schlecht reden. Hätte Laugier dies inmitten einer durchdachten Geschichte und einer mitfühlenden Inszenierung abgeliefert, anstatt ewig nur provozieren zu wollen, wäre großes Kino entstanden. So aber ist es dies nur für Denkverweigerer und jener Gattung Zuschauer, die sich einzig an Gewalttaten aufgeilt ohne psychologische Stimmigkeit zum stützen dieser zu benötigen. Im Gegensatz zu vielen anderen harten Provowerken weiß Martyrs" aber immerhin in seinen Quantitäten derart gut zu punkten, dass er mit seinem schlichterem Ergebnis trotzdem noch zu funktionieren weiß.
Trotz aller Defizite hat mir der gnadenlose Film definitiv gefallen, eben auch weil Laugier zumindest inszenatorisch mit Wendungen zu schocken weiß, wenn schon kaum inhaltlich. Auch der Aspekt des Perspektivwechsels zum Schluss weiß trotz missglücktem Tiefgangs zu punkten. Und eins ist klar, egal ob man "Martyrs" zum Himmel hochlobt, ihn lediglich als sympathischen Streifen annimmt, so wie ich es tue, oder ob man das Gezeigte verabscheut: so oder so wirkt das Gesehene noch lange nach. Dies nicht aufgrund der aufgeworfenen Fragen, so wie Laugier das gerne hätte, sondern einfach aufgrund der schockierenden Bilder, die uns gnadenlos vorgesetzt wurden. Die muss man erst einmal verarbeiten, auch als Dauergast in diesem Genre. OFDb
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