Horrormeister Dario Argento lieferte den enttäuschenden "Trauma" ab, Jean-Pierre Jeunet drehte den unter seinem üblichen Niveau abgefertigten "Alien 4", Oliver Hirschbiegel lieferte mit "Invasion" lediglich netten Durchschnitt ab. So erging es immer wieder Regisseuren aus der Ferne, die nach Erfolgen innerhalb ihres Landes ihr Glück in Amerika versuchten, eingekauft als Hoffnungsträger aufgrund individueller Arbeiten daheim und gescheitert an den Produktionsmühlen der USA, die stets Mitspracherecht forderten, bis aus einer guten Idee ein massentaugliches Produkt für jedermann und niemanden wurde. Pascal Laugier gelang in Horrorfilm-Kreisen ein kleiner Erfolg mit seinem provozierenden Schocker "Martyrs". Vier Jahre später sollte sein nächster Film in den Vereinigten Staaten umgesetzt werden. Im Gegensatz zu den eben aufgezählten Vergleichspersonen tat ihm der Wechsel jedoch gut. Es ist nicht so, dass sein amerikanischer Film "The Tall Man" nicht auch unter manchen Kompromissen leiden müsste, welche die Geschichte handzahmer wirken lassen, aber wenn man bedenkt, dass es Laugier in seinem Erfolgsfilm lediglich darum ging zu provozieren, tut ein Hinwenden zum Mainstream einem Geschichtenerzähler sichtlich gut, bekommt so sein Talent interessante Stoffe atmosphärisch einzufangen doch die Chance etwas sehenswertes hervorzubringen.
Laugier ist erneut Autor und Regisseur zugleich, und das mag aufgrund der sehr unterschiedlichen Schwerpunkte beider Filme überraschen, wirkt der gute Mann doch wie ausgetauscht. Zwar weiß man in Ami-Produktionen nie in wie weit von Produzentenseite aus mit ins Drehbuch reingeredet wurde, aber auch unter deren Einfluss muss man die Vielseitigkeit des französischen Regisseurs doch als beeindruckend bezeichnen, wenn von meiner Seite aus auch erst aufgrund zwei verglichener Filme bemerkt. Anfangs fühlt sich der Streifen wie ein Stephen King-Film an, spätestens an "Es" erinnernd, in dem es ebenfalls um das rätselhafte Verschwinden vieler Kinder in einer Kleinstadt ging. Schnell löst sich dieser Vergleich jedoch auf, wenn die Geschichte sich mit jeder Wendung doch vom Vergleichsstoff entfernt und dabei immer rätselhafter wird, was scheinbar ein Fetisch von Laugier ist, funktionierte auf diesem Weg doch auch das Fortschreiten von "Martyrs". Während dieser jedoch von Wendung zu Wendung unsinniger wurde, tut das Aufdecken der Geheimnisse um den "Tall Man" dem Folgefilm sichtlich gut, zumal dessen Geschichte ohne all zu verkrampft daher zu kommen stets Gut gegen Böse austauscht und erst zum Ende hin die tatsächliche Tendenz von beidem durchscheinen lässt.
Und darin sich diesbezüglich nicht festlegen zu wollen liegt der Kniff des Gezeigten. In einer selbstgerechten Gesellschaft ewig über alles klagender Menschen, in einer Gesellschaft in der klar abgetrennt scheint was gut und böse ist und was Menschen gut tut oder nicht, da kann man über Gut und Böse, sofern man die Welt überhaupt so banal trennt, streiten. Während der Horrorpart von Schritt zu Schritt Richtung Wahrheit immer weiter schwindet, macht sich auf Seiten der Rechtschaffenheit der Geschichte ein immer größerer Zweifel beim Zuschauer breit. Laugnier signalisiert das Verstehen dessen mit den letzten Worten aus dem Off, lässt diesen Aspekt ansonsten jedoch nur subtil und ganz selten mit einfließen. Am Ende darf man darüber, ob "The Tall Man" von einem Happy End erzählt oder nicht, diskutieren, und da wird es verschiedenste Meinungen zu geben, und diese Wirkung lässt manch kleine Ungereimtheit verzeihen, bzw. jene kleinen Löcher in den Erklärungen, die weitreichende Fragen aufwerfen, gerade mit unseren technologiefortschrittlichen Errungenschaften im Hinterkopf.
Irgendwo zwischen Horror, Märchen und Drama schwankend, entsteht so eine interessante Geschichte, die düster und rätselhaft anfängt, bislang Geglaubtes gekonnt immer wieder umzuschmeißen weiß, um uns am Ende ein fragwürdiges Licht zu präsentieren, das sich wohl und gerecht anfühlt, aber einen fiesen, bitteren Beigeschmack bereit hält. Letztendlich lässt sich "The Tall Man" kaum in ein Genre einteilen und lebt zu einem großen Teil von seiner Auflösung. Dank guter Mimen, schönen Kameraaufnahmen und Laugiers bereits bekanntem Talent eine relativ spannungsfreie Geschichte aufgrund einer atmosphärisch dichten Umsetzung dennoch packend gestaltet zu bekommen, wird aus der rätselhaften Ausgangslage bis zum Schluss ein gut erzählter Film, der insgesamt sicherlich ein wenig zu blauäugig ausgefallen ist, aber auch mit diesem Manko versehen auf seine komplette Laufzeit zu gefallen weiß. Ob das gute Ergebnis nun Laugier oder amerikanischen Produzenten zu verdanken ist, wird die Zeit zeigen. Der aktuell im Kino laufende "Ghostland" ist wieder eine französische Produktion, und dürfte ebenso wie ein Blick auf "Saint Ange - Haus der Stimmen", der vor "Martyrs" entstand, eine Antwort auf diese Frage geben. OFDb
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen