Es ist immer wieder erstaunlich festzustellen, wie viel mehr Potential ein hoch qualitativer Zeichentrick aus Japan besitzt, im Vergleich zu amerikanischen Genre-Beiträgen gleicher technischer Professionalität. "Das wandelnde Schloss" besitzt jegliche Vorzüge des familienfreundlichen Trickfilms der Werke Disneys und dem was daraus wuchs und erweitert diese durch eine Mündigkeit des Zuschauers ihm kompliziertere Geschichten zuzumuten und ihm die Fähigkeit mitzudenken anzuerkennen. Dementsprechend kann sich die Grundlage einer solchen Geschichte um so mehr entfalten, da sie mit überraschenden Wendungen, Verästelungen, komplizierteren Sachverhalten, wahrlich rätselhaften Geschehnissen, empathischen Nebensächlichkeiten und dem Abwerfen von Gewohnheit und festgefahrenen Zuschauererwartungen arbeiten kann und damit sowohl den Schöpfern, als auch den Zuschauern, mehr Fantasie und Vielfalt zugesteht und abverlangt. Das sieht man "Das wandelnde Schloss" zu Beginn eher in quantitativen Bereichen an, da er sich jede Menge Zeit lässt die Geschichte in ihrer Reichhaltigkeit entfalten zu lassen, aber Geduld ist ebenso Pflichtvoraussetzung zum Glücklichwerden mit derartigen Werken, wie der erwachsene Umgang des Zuschauers mit derartigen Stoffen, die zu mehr gedacht sind als sie plump zu konsumieren.
Der hochwertige und oftmals beeindruckende Zeichenstil macht es einem leicht sich auf einen solch vielschichtigen Film einzulassen, und eine interessante und tief gehende Charakterzeichnung der meisten Figuren, sowie der Verzicht von Vorurteilen und Selbstgerechtigkeit erleichtern einem den Zugang zu einem solch herzlichen und dennoch stark Kitsch-befreitem Stoff umso mehr. Die Bilder sind eine wahre Wucht, das wandelnde Schloss in seiner Detailfreude ein konstruktives Meisterwerk, die Farbgebung emotional ansteckend und manche Charakterentwicklungen so überraschend und stark ausgefallen, wie die Geschichte an sich, von der man lange Zeit nicht weiß, worauf sie eigentlich hinaus will. Man wird in eine fremde Welt geschubst, in der Zauberei und Magie selbstverständlich zum Alltag dazu gehören. Man erfährt ohne nähere Hinweise vom Krieg, indem man sich zur Zeit befindet. Und den Fluch der beiden Hauptfiguren hat man ebenso zu akzeptieren, ohne tiefer in die Materie begleitet zu werden. Dies entsteht nicht aus einer halbherzigen Haltung heraus, oder aufgrund einer Drehbuch-Überforderung um der Laufzeit gerecht zu werden. Mündig hat man sich die Zusammenhänge selbst durch Beobachtung und Verstehen zugänglich zu machen. Und wer dies nicht schafft, kann sich dennoch traumgleich, geistlos durch die wunderbare Fantasiewelt des Streifens unterhalten lassen.
Dass "Howl's Moving Castle" (Alternativtitel) bei mir trotz dieser hochwertigen Qualität keinen lupenreinen Eindruck hinterließ, liegt darin begründet, dass mir der Stoff etwas zu sehr seiner Zaubermentalität verfällt und mit diesem Schwerpunkt mein Interesse nicht konstant halten konnte. So fühlte sich "Hauru no ugoku shiro" (Originaltitel) für meinen persönlichen Geschmack ein wenig zu lang gezogen und verfahren an, am Schluss gar ein wenig überhastet. Aber das ist ein sehr subjektiver Eindruck, den viele zum Glück nicht nachvollziehen können und somit ohne Nachteile an "Das wandelnde Schloss" herangehen können, um in ihm das Meisterwerk zu erkennen, welches er eigentlich geworden ist. Vielleicht muss ich ihn beizeiten auch nur noch ein weiteres Mal gucken, um diese Hemmnisse abzuwerfen, die ich mir selbst mit meinen Erwartungen und meiner manchmal festgefahrenen Einstellung in den Weg gestellt habe. Vorerst ist es aber so wie es ist, was mich aber nicht davon abhält den liebevoll erarbeiteten Streifen jedem Freund des phantastischen Films ans Herz zu legen. Ein Geheim-Tipp ist er ohnehin nicht, dafür ist das Ghibli-Studio und Hayao Miyazaki in Anime-Kreisen und darüber hinaus viel zu berühmt. Und meine persönlichen Einschränkungen schmälern meine Bewunderung ohnehin nur im kleinen Rahmen. Wie könnte ein derart vielschichtiger und aus vielen Gründen hervorzuhebender Film auch aufgrund kleiner, der Einfalt des Rezipienten geschulter, Defizite nicht funktionieren?
Immerhin lebt er neben seiner Hauptgeschichte um Liebe, Zauberei und Freundschaft auch von vielfältigen, für den Film nicht minder wichtigen, Rand-Thematiken. Da sei zum einen der Appell gegen Krieg genannt, sein Umgang mit dem Verständnis fürs hohe Alter, sowie sein offenherziger Umgang mit zweiten Chancen, sowie seinem Blick darauf dass nichts und niemand festgefahren, oder rein gut oder böse ist. Nichts ist hoffnungslos, nichts immer so wie es zu sein scheint, Bitterem folgt Angenehmes und umgekehrt, Macht kann sich wandeln, ebenso wie Eindrücke, und das schlimmste was der Welt passieren kann ist die Engstirnigkeit des Einzelnen und der Verlust des Mitempfindens. Frei von erhobenem Zeigefinger und unangenehmen Kitsch werden derartige Aussagen zu ehrlich gemeinten Anliegen und damit zu positiven Eigenschaften eines Zeichentrickfilms, der den Unterschied zwischen Kinderfilm und Familienunterhaltung sehr deutlich macht. OFDb
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