„Das indische Tuch“ ist zweifelsohne mein liebster und am meisten gesichtester Wallace-Film. Wie könnte man ihn bei seiner klassischen Ausgangslage auch nicht mögen? Eine Testamentsverkündung, ein Ort abgeschottet vom Rest der Welt, ein 10 kleine-Negerlein-Szenario, der Handlungsort ein Schloss - das alles weiß zu wirken. Die Creme de la Creme die Alfred Vohrers Werk aber überhaupt erst zu einer solch unterhaltsamen Größe macht ist die hoch interessante Figurenkonstellation und ein Drehbuch, welches vorzügliche Dialoge und Monolge zauberte.
Es ist erstaunlich wie wenig konstruiert die gewitzten Worte wirken, selbst dann wenn sie ein wenig zu aufgesagt klingen. Aber im hier besprochenen Kammerspiel-artigen Kriminalfilm weht immer auch ein Hauch Theateratmosphäre mit, so dass man diese Art des Spiels nie als mangelndes Schauspieltalent abtun könnte, zumal die Wirkung ihren Zweck erfüllt. Eddi Arent mimt den höchst skurrilen Butler, dessen Humor auch gerne mal morbider Art ist, die Hausherrin ist ein eiskaltes Biest und eine übervorsorgliche Mutter, ihr Sohn ein in einer eigenen Welt lebender Wunderling, dessen erstes Klavierkonzert kurz bevor steht. Kinski mimt den Bastard der Familie, Schürenberg einen stets auf Safaris reisenden Engländer, und der amerikanische Ehemann einer Verwandten der Familie Lebanon sorgt für die ersten Höhepunkte des Streifens.
Wenn nach einer Mordanschuldigung dem Amerikaner gegenüber ein Gespräch unter vier Augen zwischen den Eheleuten stattfindet, dann ist die Dramaturgie und die Charaktertiefe auf einem Hoch. Auch hier erweisen sich die Dialoge als des Zitierens wert, und Alfred Vohrer beweist, dass er auch in seiner überspitzten Inszenierung, die stets Augenzwinkern und Humor zulässt, bittere Momente kompatibel einbauen kann - erstaunlicher Weise ohne den augenzwinkernden Aspekt zu pausieren. Ihm gelingt eine Meisterleistung, die selbst der höher geschätzte, ebenfalls von Vohrer inszenierte, „Der Hexer“ trotz seiner gelungenen Art nicht zu erreichen weiß.
Vohrer ist bekannt dafür die Reihe spätestens in der Buntphase durch seine immer drastischeren Überspitzungen in eine andere Richtung gelenkt zu haben. Das schmeckte vielen Fans der Schwarz/Weiß-Phase nicht, führte aber schließlich zum zweiten Höhepunkt der Reihe, den völlig in Komik badenden „Der Mann mit dem Glasauge“. Ob man diese Entgleisung einer halbwegs ernster gestarteten Krimireihe nun mag oder nicht, bereits in „The Indian Scarf“ (Alternativtitel) schwingen die Experimente Vohrers stark mit, noch jedoch ohne das Geschehen vollends zu dominieren.
Dennoch fallen solch schräge Ideen wie der selbstfahrende Wagen des Butlers, oder dessen Ritual des Gedeckabdeckens eines jeden Verstorbenen als lustige Besonderheiten auf, ebenso wie besagte lustige Dialoge, wie z.B. der Kommentar darüber, dass das Telefon in den kommenden Tagen aufgrund einer Funktionsstörung nur noch als Zimmerschmuck dienen wird. „Das indische Tuch“ könnte von diesen schrägen Stärken alleine leben, was ihn jedoch nicht zu einem der Höhepunkte der über 30 Filme beinhaltenden Reihe werden lassen würde. Was an Vohrers Beitrag neben all der verspielten Art und der gut gelaunten Schauspieler so viel am brillanten Ergebnis ausmacht, ist zudem das Spiel des Mörderratens für den Zuschauer.
Nicht nur dass die Auflösung sich sehen lassen kann, so toll wie sie selbst dann in ihrer Konsequenz zu wirken weiß, wenn man den Braten bereits zuvor gerochen hat, die Motivation bei solch einer Gruppe interessanter Figuren mitzuraten, ist enorm groß, wahrscheinlich größer als bei jedem anderen Wallace-Beitrag der Rialto-Reihe. Zwar muss man faier Weise sagen, dass das Mörderraten nie zu den Haupttrümpfen der Reihe gehörte und damit kein Pflichtrezept war, aber „Das indische Tuch“ atmet diesbezüglich Agatha Christie-Flair, und das kann auch in der komödiantisch angehauchten Form kein Fehler sein, wie auch der legendäre „16 Uhr 50 ab Paddington“ mit Margaret Rutherford beweist.
Wallace-Stars auf einem Hoch ihrer Spielfreude, alle klassisch besetzt und damit ihre Stärke voll einbringen könnend, ein augenzwinkernder Grundton der auch Dramaturgie und einen Spannungsbogen zulässt, an „Das indische Tuch“ gibt es bishin zum flotten Titellied und der ewig im Hintergrund ertönenden Klaviermusik des Sohnes nichts zu meckern. Alles greift perfekt ineinander, so dass der Film wahrlich ein Liebhaberstück der Reihe, aber auch seines Genres geworden ist. Sicher lohnt sich aufgrund vieler geglückter Beiträge ein intensiver Blick auf Rialtos Wallace-Filme, wer aus welchem Grund auch immer diese jedoch meidet, sollte zumindest beim hier besprochenen Film eine Ausnahme machen. Man verpasst sonst einen wahrhaften Schatz des deutschen 60er Jahre-Kinos. OFDb
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