So bizarr uns der Alltag der hier präsentierten Gesellschaft auch erscheinen mag, er ist denkbar und macht uns deutlich wie anders die Welt wird, wenn Extremisten sich die Oberhand erschleichen. "The Handmaid's Tale", dessen Buchvorlage bereits 1990 als "Die Geschichte der Dienerin" von Volker Schlöndorff verfilmt wurde, zeichnet ein düsteres Zukunftsbild, schubst uns in diese zunächst unvorbereitet hinein, um uns schließlich in Rückblicken parallel zu den Ereignissen im Jetzt zu zeigen, wie es zu dem neuen Staatssystem kommen konnte. Der Mangel an gebärfähigen Frauen spielte religiösen Fanatikern zu, Elektronik und Militär machte es den Schöpfern eines neuen Reichs relativ einfach das System Schritt für Schritt umzukrempeln, und wir sind mitten drin wenn dies geschieht, nah dabei und spüren wie der Hauptfigur die Kehle immer weiter zugedrückt wird, während sie zunächst fassungslos zuschaut und später handlungsunfähig tapfer weiter durchhält, in der Hoffnung eines Tages ihre Tochter zurück zu gewinnen.
In der ersten Hälfte erfahren wir jeglichen Rückblick über June, der zentralen Magd, zur zweiten Hälfte der ersten Staffel beginnen sich die Rückblicke auch orientiert an den uns in der Zwischenzeit vielschichtiger bekannt gewordenen Nebenfiguren abzuspielen, die alle überzeugend besetzt wurden. Wir erfahren wie Rituale entstanden sind, die Motivationen der Volksverräter, wie einige Schöpfer selbst unter der neuen Welt leiden, ohne es sich zuzugestehen. Wir erfahren so einiges über Machtmissbrauch, darüber ungeahnt selbst kontrolliert zu werden, über Heuchelei, Mitläuferschaften, politische Verflechtungen, Notsituationen, kurzum über das komplette Spektrum an Sichtweisen, die in einer solchen Welt zur Verfügung stehen. Nur wenn es der Geschichte vorerst zum Vorteil gereicht, bleiben Hintergründe unbeleuchtet, wie im Fall des Auges, welches im Haushalt der Waterfords beheimatet ist.
Das radikal und ungeschönt Befremdliche und gleichzeitig tatsächlich Denkbare weiß zu schocken, der empathische Blickwinkel hilft selbst ungewöhnlichste Neuerungen, wie das bizarre Paarungsritual, als Tatsache zu verstehen und zu akzeptieren, was uns stark an die Hauptfigur und ihre Mitleidenden bindet, während wir die Vorteile dieser Unterdrückung über die Peiniger miterleben. Das Drehbuch und Schauspiel fällt empathisch genug aus, um auch deren Tragik mitzuerleben, sie alle sind Menschen, wenn großteils auch penetrant in Gut und Böse aufgeteilt. Aber auch diese typische Herangehensweise eines US-Produktes weiß hier zu funktionieren und die Welt in "The Handmaid's Tale" dennoch realitätsnah wirken zu lassen. Emotional trifft die Serie, die Science Fiction und Drama gekonnt vereint, den richtigen Punkt beim Zuschauer, zu einer Zeit, in welcher in der Gesellschaft immer häufiger radikales Denken zu bemerken ist, leider auch beim Mainstream, der glaubt derartiges zu bekämpfen.
Nun sticht die Serie aber nicht nur lustvoll in die Wunden einer aktuellen Situation, sie versteht die Zusammenhänge, sie versteht die Gefühle der einzelnen Figuren, sie versteht die Gesamtsituation, die Chancen, die Versuchungen, das Leiden. In nur wenigen Szenen einer einzelnen Folge schafft sie es z.B. uns miterleben zu lassen, wie man sich als Flüchtling fremd in einem neuen Land fühlt, während alles um einen herum versucht einem den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen. Wir erleben die Mechanik, die Routine im Handeln derer, die helfen, bzw. die aus beruflichen Grunde helfen müssen und erleben das Alleingelassensein von jemanden, der das Schlimmste hinter sich hat, sich aber nicht gerettet fühlt. Und diese Vielschichtigkeit für nur einen kleinen Nebenaspekt in der Gesamthandlung steht Pate für das komplette Konstrukt, das hier innerhalb der Serie aufgebaut wird.
In derartigen Feinbereichen findet auch das gekonnte Spiel der Mimen statt, und optisch werden uns immer wieder beeindruckende Kamera-Aufnahmen präsentiert, die auf höchstem Kino-Niveau eingefangen sind und unauffällig eingebunden entdeckt werden wollen, anstatt sich aufzudrängen. "The Handmaid's Tale" behält im Verlauf seiner bislang drei Staffeln sein empathisches und psychologisches Niveau leider nicht konsequent bei, was mitunter daran liegt eigene Wege zu spinnen, welche die Printvorlage nicht bereit hielt. Aber selbst mit Kenntnis der kommenden Ärgernisse und Inkonsequenzen funktioniert die erste Staffel auch beim zweiten Sichten aufs neue gleicher Maßen gut, derart stark entführt sie einen intelligent erzählt in diese Warnung, in die wir jeden Tag mit offenen Armen drohen hinein zu laufen. OFDb
In derartigen Feinbereichen findet auch das gekonnte Spiel der Mimen statt, und optisch werden uns immer wieder beeindruckende Kamera-Aufnahmen präsentiert, die auf höchstem Kino-Niveau eingefangen sind und unauffällig eingebunden entdeckt werden wollen, anstatt sich aufzudrängen. "The Handmaid's Tale" behält im Verlauf seiner bislang drei Staffeln sein empathisches und psychologisches Niveau leider nicht konsequent bei, was mitunter daran liegt eigene Wege zu spinnen, welche die Printvorlage nicht bereit hielt. Aber selbst mit Kenntnis der kommenden Ärgernisse und Inkonsequenzen funktioniert die erste Staffel auch beim zweiten Sichten aufs neue gleicher Maßen gut, derart stark entführt sie einen intelligent erzählt in diese Warnung, in die wir jeden Tag mit offenen Armen drohen hinein zu laufen. OFDb
Ich bin bisher nicht über Staffel 1 hinausgekommen. Aber die sehe ich ähnlich stark wie du. Muss mir wohl doch mal vornehmen, da weiterzuschauen.
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