12.08.2018

JIN-ROH (1999)

Anime besteht nicht nur aus großen Kitschaugen und Tentakeln, so wie der japanische Zeichentrick gern im Klischee betrachtet wird, das Genre bringt sehr erwachsene Werke für mündige Bürger hervor, und dies ist auch im Science Fiction-Bereich der Fall. Während Werke wie "Ghost in the Shell" und "Patlabor" sich bei aller erwachsenen Herangehensweise noch kräftig in technischen Spielereien verlieren, meist im Roboter- und Cyborgbereich, kommen Werke wie "Wings of Honeamise" und "Jin-Roh" ohne nennenswerte Phantastereien daher, spielen doch beide Filme in einer alternativen Vergangenheit/Gegenwart und philosophieren dabei auf ihre Art, eher im Hintergrund ablaufend, über die Gesellschaft, über Ursachen und Wirkung und anderer Dinge in dieser Welt. Während erstgenannter, in Deutschland unverständlicher Weise noch nicht auf DVD erschienener, Streifen eher friedlich orientiert erzählt ist, kommt "Jin-Roh" hart, rau und zwischendurch auch actiongeladen daher. Okiuras Werk ist ein pessimistisches Werk und lässt die schönen Dinge des Lebens nur der Täuschung wegen Einlass in seinen Film erhalten.

Dieser basiert auf den Spielfilm "The Red Spectacles", der 1987 in Japan erschien und es ebenfalls nicht nach Deutschland geschafft hat (das vier Jahre später erschienene Prequel "Stray Dogs" ebenfalls). Eine Realverfilmung fürs Kino namens "Inrang" (oder Alternativ "Jin-Roh - The Wolf Brigade") ist jüngst für 2018 angekündigt, was ich jedoch erst beim Schreiben der Review erfuhr, sonst hätte ich mit dem Sichten noch bis zu dessen Fertigstellung gewartet, um beide Projekte direkt miteinander vergleichen zu können. Wie auch immer, da keines der mit "Jin-Roh" im Zusammenhang stehenden Werke je Deutschland erobert hat und ich diese dementsprechend bislang nicht gesehen habe, kann ich nach meiner Zweitsichtung bestätigen, dass man keinen der Vorgänger gesehen haben muss, um das hier besprochenen Thriller-Drama zu verstehen. Sehr wohl aber muss man ein aufmerksamer Zuschauer sein. Allein zu Beginn hageln derart viele wichtige Informationen per Off-Kommentar auf den Zuschauer nieder, dass ein halbherziges Nachfeierabendgucken nicht möglich ist. Mag es auch an Action und Tempo nicht mangeln, der Zuschauer wird intellektuell, wie emotional gefordert, "Jin-Rô" (Originaltitel) ist kein geistloser Zwischendurchverzehr.

Sicherlich ist er auch nicht so hochrangig anspruchsvoll ausgefallen wie ihm manch einer andichten möchte, dafür ist manche Provokation und mancher tiefsinnig scheinende Gedanke, gerade Gegen Ende, etwas zu bemüht ausgefallen. Aber das sind harte Worte meinerseits für einen Zeichentrickstoff, der in seiner Art eigentlich konkurrenzlos existiert und dem Bereich des Animes dementsprechend einmal etwas anderes zu bieten hat als übliche Veröffentlichungen, so dass "Jin-Roh" damit Werken wie "Paprika" und "Perfect Blue" als Sonderlinge in diesem beliebten Genre die Hand reichen kann. "Kerberos Panzer Cops" (Alternativtitel) vereint Science Fiction, Drama, Action und Thriller innerhalb eines politischen Stoffs, in welchem das Seelenleben der Protagonisten im Zentrum zu stehen scheint. Aber in der immer komplexer werdenden Geschichte ist nichts so wie es scheint, und bald schon weiß man nicht mehr was man überhaupt glauben darf, so stark wie es um Verrat, Spionage, Gegenspionage und Täuschung geht. Ein konsequenter Schluss entlässt uns aus einem großartig erzählten, weit weniger reißerisch als vermutet ausgefallenen, Szenario und beantwortet uns in einem Atemzug sogleich, ob die zentrale Figur der Geschichte alternativ hätte handeln können oder nicht.

Bis es soweit ist darf man innerhalb einer schwer zugänglichen Handlung großartige Animationen bestaunen, die einem Manga-Vorbild entnommen zu sein scheinen, so detailliert wie die Zeichner hier vorgingen, aber wie erwähnt basiert alles lediglich auf zwei Spielfilmen, so dass die beeindruckende Zeichentechnik einen auf doppelte Art zum Staunen bringen darf. Der ständige Verweis auf das Märchen Rotkäppchen findet überraschender Weise nicht subtil statt, man wird regelrecht auf diese berühmte Geschichte gestoßen. Die Spezialeinheit der Polizei legt es sogar regelrecht darauf an mit diesem Märchen identifiziert zu werden, das dürfte dann auch der einzig groteske Touch innerhalb eines ansonsten sachlich und rational nachempfundenen Geschehens sein. 

Freunde ungewöhnlicher Filme sollten "Jin-Roh - The Wolf Brigade" (Alternativtitel) nicht verpassen, auch dann nicht wenn man sich mit dem Bereich Anime schwer tut. Funkelnde Augen und anderweitiger Kitsch, sowie Tentakel, Cyborgs und anderweitige Gimmicks für große Kinder sind nicht enthalten. Alles was davon bleibt ist die sich für europäische Augen etwas fremd anfühlende Mentalität zum Thema Ehre und Schicksal, und diese schadet dem Sehwert wohl kaum. Regisseur Hiroyuki Okiura drehte erst 12 Jahre später seinen nächsten Film, warum auch immer. Es war erneut ein Anime. Und mit seiner friedlichen Thematik ist er völlig anders ausgefallen als der hier besprochene. Sein Name lautet "Ein Brief an Momo".  OFDb

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen