Liebevoll, lehrreich und emotional - so kindlich orientiert kann ein Anime ausfallen, wie Studio Ghibli ein Jahr nach "Akira" bewiesen hat, ohne dabei den Disney-Stil zu kopieren oder einzig ein junges Zielpublikum ins Visier zu nehmen. Aufgrund seiner frischen, cleveren und durchdachten Art für aufgeweckte Zuschauer trifft beides nicht zu, so dass Japan Jahre vor solchen Glücksgriffen wie "Das Mädchen, das durch die Zeit sprang" beweisen durfte, dass ihr Zeichentricksektor zu mehr fähig ist als zu Kitsch a la "Die Erzählung einer weißen Schlange" oder tentakellastigen Science Fiction- und Hentaiprodukten. "Kikis kleiner Lieferservice", der mittlerweile auch eine Realverfilmung erhalten hat, ist wahrlich ein Produkt für die ganze Familie, ohne dass eine von beiden Seiten über- oder unterfordert wird. Mag manches Mal auch der rote Faden ein wenig unter dem episodenhaften Charakter der Geschichte zu leiden scheinen, die Erlebnisse sind nie belangslos oder austauschbar, sondern fügen sich immer wieder einem übergeordneten Ganzen zu, so dass am Schluss sehr wohl eine zusammenhängende Geschichte erzählt wurde und ihr Ende findet.
Es darf abenteuerlich, lustig und traurig zugehen in der nie langweilig werdenden Welt einer jungen Hexe in der Großstadt, und das Finale weist gar ein überraschend hohes Spannungspotential auf, wie man es bei einem Familienfilm wohl nicht derart erwarten würde. Auch mancher Nebenstrang der Geschichte wird das Publikum, das eher im amerikanischen und deutschen Zeichentrickbereich unterwegs ist, manches Mal überraschen, bekommt die Erzählung doch nicht immer zwingend die glückselige Kurve, wie man es von dort gewohnt ist, so z.B. im Nebenaspekt um Kikis mangelnde Anpassung anderer Kindergruppen gegenüber, die ab einem gewissen Punkt in der Geschichte einfach nicht weiter verfolgt wird, eben weil sie für Kikis Entwicklung nicht wichtig ist. Manch kleine Nebenhandlung muss von allein verstanden werden, ohne dass einem bis zum letzten Detail alles erklärt wird, in einem kindgerechten Produkt wie diesem hält sich dieser Teil der Geschichte jedoch in Grenzen, gerade verglichen mit den vielen mündigen Trickfilmwerken für Erwachsene wie "Paprika", "Jin-Roh" und Co. Schönmalerei liegt den Autoren und Zeichnern fern, doch auch Pessimismus wird vermieden, so dass ein schönes emotionales Gleichgewicht innerhalb einer Geschichte um Freundschaft, Verantwortung und den anderen Wichtigkeiten des Lebens entsteht, die zu den schönen Dingen des Erwachsenseins gehören, wenn man sie erst einmal beherrscht.
Es geht also wie gerade erwähnt um das Erwachsenwerden, mitunter unter dem Aspekt wie jung die kleine Hexe noch ist, und wie sehr sich die Verantwortung in diesem Alter bei Menschenkindern im Vergleich zu damals gewandelt hat. Aber nicht nur in inhaltlichen Bereichen wie diesem gibt sich "Kikis kleiner Lieferservice" pfiffig, gut beobachtend und kritisch, auch die Animation weiß in ihrer detailreichen Art manches Mal diese Adjektive aufzugreifen, so z.B. in der erstaunlich abwechslungsreichen Darstellung der Stadt, in welcher der Hauptteil der Geschichte spielt. Hier wird nicht nur mit interessanten Perspektiven aufgrund von Kikis Flugfähigkeit gespielt, auch die unterschiedlichen Winkel einer Großstadt finden Beachtung, vom dreckigen Hinterhof, über urige Altstadtpflaster, bis hin zur Hauptverkehrsader und der Küstenseite des nie mit Namen ausgesprochenen Ortes. Wer also aufgrund der roten Bäckchen-Verwandtschaft zur populäreren Japan-"Heidi" im ansonsten individuell ausgefallenem Gesicht Kikis zunächst eine plume Animation vermutet, irrt sich damit ebenso, wie mit dem Vorurteil die Abenteuer um Kiki könnten kitschig ausgefallen sein. Das werden sie selbst bei größter Fröhlichkeit nie, so dass das auf Spielfilmlänge erzählte Abenteuer von Regisseur Hayao Miyazaki zu einem besonderen Erlebnis für Jung und Alt wird, welches man sich als Freund des gezeichneten Filmes nicht entgehen lassen sollte. OFDb
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