11.12.2020

THE KILLING OF A SACRED DEER (2017)

Mit seinem Folgefilm nach "The Lobster" wandert der Ton wieder zurück in die deutlich nüchternere Erzählrichtung von Yorgos Lanthimos brillanten "Dogtooth", die weit weniger offensichtlich humoristisch angereichert ist, sondern eher in bitterbösen Winkeln versteckt lauert, ebenso wie der gesellschaftssatirische Ansatz. Der Trumpf des Sehwerts und der von Lanthimos geschaffenen Atmosphäre, die surreale Wirkung alltäglich scheinender Abläufe, wird zugleich zu einem wichtigen inhaltlichen Element zur Mitte hin, wenn die von Martin geäußerten Regeln nach erstem Misstrauen für geradezu selbstverständlich angenommen werden, trotz ihres übernatürlich scheinenden Ursprungs. Aufgrund der surrealen Vorarbeit und der Abgeklärtheit der hier aufgezeigten Gesellschaft, nimmt man dies als Zuschauer an, findet einen derartigen Umgang mit der Materie zwar weiterhin bizarr, entdeckt aber, dass mit dem Akzeptieren von etwas, das man eigentlich nicht so schnell als Wahrheit akzeptieren würde, genau die interessanten zwischenmenschlichen Aspekte ins Laufen kommen, die "The Killing of a Sacred Deer" in dieser Phase die meisten Pluspunkte bescheren. So kommt es, weiterhin im zurückgeschraubten, nüchternen Grundton gehalten, zu einem Wettbewerb unter den Familienmitgliedern, zu Verzweiflungstaten und Gefühlsausbrüchen eines Mannes, der sich sonst stets unter Kontrolle hat und zu einer finalen Tat, die unabwendbar ist. Dass sie dies ist, wird einem als Zuschauer mit der Zeit bewusst, erst recht wenn man andere Werke des Regisseurs und Mitautors kennt, die stets seine spezielle Handschrift tragen und dem Zuschauer niemals eine Erlösung oder einen sanften Umgang schenken, um mit dem vorgesetzten Szenario leichter umgehen zu können.

Was an dem hier besprochenem, nur schwer in Genres einzuordnenden, Film so beeindruckt, ist dass er das surreale Element mit simplen Mitteln geschaffen bekommt und auf widersprüchlich scheinende Art. Die Geschichte ist rätselhaft, obwohl jeder, mit gelegentlichen Ausnahmen der Hauptfigur Steven, stets offen die Wahrheit sagt und stets mitteilt was er gerade denkt. Die Dialoge sind direkter und aufgeklärter Art, aber wie in Trance gesprochen. Trotz Wahrheiten kommt es zu Misstrauen, trotz offen gespielter Karten wirkt die Geschichte rätselhaft und mysteriös, trotz der damit geschaffenen Personennähe, betrachtet man die Figuren distanziert, in einer alternativen, ernüchterten Welt lebend, in welcher es keine positive Lebensenergie zu geben scheint. Alles wird als selbstverständlich angenommen, trotz heruntergefahrener Emotionen und nicht vorhandener Gefühlsregungen erkennt man die Herzlichkeit untereinander, das Mitgefühl, die Liebe und damit einhergehend das emotionale Dilemma, das Steven quält, aufgrund der von ihm erwarteten Entscheidung. Lanthimos schafft die entrückte Wirkung der hier geschaffenen Wirklichkeit mit solch simplen Mitteln, wie der Idee die Leute trotz vorhandenem Intellekt stets nur in kurzen Sätzen miteinander reden zu lassen. Nur selten kommt es zu einem Nebensatz. Dies gekleidet in besagter Sachlichkeit, fehlenden Emotionen und in Trance gesprochener Tonlage gibt dem Szenario bereits dann einen packenden Effekt, wenn man noch nichts vom Aufhänger, welcher die eigentliche Geschichte in Bewegung bringt, ahnt. 

Der Widerspruch in natürlichem und surrealen Verhalten zeigt sich auch wunderbar im absichtlich steifen Spiel der brillant besetzten Schauspieler. Wieder hat es Nicole Kidman nach "Birth" und "Dogville" geschafft überzeugend in einem außergewöhnlichen Stoff mitzuspielen, Colin Farrell überrascht wie eh und je, die Filmtochter wirkt allein schon dadurch, dass sie als der natürlichst und emotionalst agierende Mensch in dieser Welt etwas aus dem Muster herausragt, und der Darsteller des Martin spielt in einer Unschuld, die ihm einen unheimlichen Touch beschert, oder zumindest einen mysteriösen. Man versteht nie ob er Strippenzieher ist, oder einfach eine Regelmäßigkeit bemerkt hat und benennt, die anderen nie auffiel und über die er selbst keine Kontrolle hat, vielleicht nicht einmal ihr Verursacher ist. Er wirkt auch inmitten des entfremdeten Verhalten der anderen geistig leicht entrückt. Das wird innerhalb der Geschichte sogar benannt, wird also auch in der uns lethargisch scheinenden Gesellschaft, die uns hier präsentiert wird, dementsprechend empfunden. Letztendlich sind es aber nur sanfte Graustufen, die Martin diesbezüglich von den anderen Figuren im Film trennen. "The Killing of a Sacred Deer" ist stilistisch, inhaltlich und erzählerisch ein brillanter Stoff für Freunde andersartigem, abseitigen Kinos und somit definitiv zu empfehlen. Die Gedankenspiele sind ebenso faszinierend, wie die verstörende Wirkung des Streifens an sich. Die nüchterne Erzählweise erlangt eine eigene Energie und Dynamik, die den auf immerhin fast zwei Stunden laufenden Film nie ausbremst. Kurzum gefällt mir diese satirische Groteske Lanthimos' wieder eine Spur besser als der (auch nicht uninteressante) Vorgänger.  OFDb

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