25.10.2020

DOGVILLE (2003)

Welch bitterböse Idee: eine verfolgte Frau darf sich über längere Zeit mit Einverständnis der Bewohner in einem kleinen Dorf verstecken und hilft als Gegenleistung jedem vor Ort bei diversen Tätigkeiten. Als nach einigen Wochen klar wird, dass sie von der Polizei gesucht wird, reichen die bisherigen Dienstleistungen nicht aus. Die Forderungen an die Versteckte werden immer größer und unerträglicher, sodass sie nach und nach in die Position einer Gefangenen rückt. Diese Geschichte ist äußerst reizvoller Natur und lässt einen vermuten, dass die Abrechnung mit den ach so braven Spießbürgern in einer düsteren, spannungsgeladenen Thriller-Variante daher kommt. Doch letztendlich lässt sich diese Satire gar nicht so leicht in ein Genre stecken. Die oftmals sehr dramatisch dargebotene Geschichte kommt schwarzhumorig, verspielt und bitter gleichermaßen daher, besitzt definitiv einen Spannungsbogen, der jedoch keineswegs auf Thrillerbasis daher kommt, sondern aufgrund der sich zuspitzenden Geschichte für Anspannung sorgt. Mit Nervenkitzel hat diese Art der Spannungserzeugnis im üblichen Sinne nichts zu tun. Zudem weht ein gewisser Märchen-Touch über den Dingen, ein Gefühl das stark dadurch beeinflusst wird, dass "Dogville" im Stile eines "Die fabelhafte Welt der Amelie" über die komplette Laufzeit von der sanften Stimme eines Geschichtenerzählers im Off begleitet wird, dessen ruhige, friedliche Stimme und Betonung selbst dann keinen Wandel erhält, wenn die Zustände, unter denen die Hauptfigur leidet, immer düsterer und leidender Natur werden. 

Zu diesem ungewöhnlichen Umgangston der Erzählung gesellt sich nun noch die experimentelle Optik des Streifens, spielt "Dogville" über seine kompletten 170 Minuten doch in einer großen Halle, auf deren Boden die Straßen(namen), die Häuser und die Namen ihrer Bewohner auf den Boden ge(kenn)zeichnet sind und die professionellen Schauspieler innerhalb dieser Markierungen agieren. Dieser Minimalismus funktioniert überraschend gut und kommt keineswegs so pseudo-intellektuell daher, wie diese ungewöhnliche Herangehensweise zunächst anmuten mag. Das liegt aber auch daran, dass man dieses Set als selbstverständlich einsetzt und ganz für sich, ohne Zusatzeinfluss, wirken lässt. Zudem ist "Dogville" geistreich, reflektiert, kritisch und kompromisslos erzählt. Lars von Trier, der auch für das Drehbuch verantwortlich ist, präsentiert einen Film für mündige Cineasten und konfrontiert sie mit der Natur des Menschen. Der Blick auf diese mag pessimistischer Natur sein, doch ganz so falsch wird der gute Mann nicht liegen, wenn es darum geht wie Menschen, frei von Kontrolle, immer hemmungsloser Macht ausüben. Dabei geht es der Geschichte nicht einzig um den dramatischen Aspekt der im Zentrum stehenden Frau und den Taten ihrer Peiniger, sowie nicht nur um den Wandel der braven Bürger zu unterdrückenden Wesen, es geht auch um die Rechtfertigung der Täter, um ihren Blickwinkel, aus dem sie sich noch immer für normale Bürger halten, und bei dem seltenen Fall der Einsicht einer Fehltat maximal Schuldzuweisungen auf Seiten des Opfers suchen, anstatt Reue zu zeigen. 

Unter Einfluss all dieser Faktoren schaukelt sich das Geschehen immer weiter hoch, während sich am äußeren und inneren Stil des Streifens nichts ändert. Das weiß den Zuschauer gekonnt zu verstören. Ob man den Kniff wie alles endet ebenfalls als derart gekonnt wie den Rest ansieht, liegt sicher im Auge des Betrachters. So gewitzt auch hier auf anderer Ebene die Natur des Menschen und seine Rechtfertigungen thematisiert werden, ich wurde den Eindruck nicht los, dass der Film diese Rechtfertigung als Gerechtigkeit gut heißt, und das hinterlässt einen recht fragwürdigen Eindruck. Es ist aber eben nur ein solcher, wer anders mag das anders interpretieren und sagen, dass von Trier keineswegs Stellung bezieht und hier ebenso objektiv lediglich berichtet, wie er es zuvor tat. Der Wandel der in den letzten Szenen des Films in der Luft liegt, ist jedoch bemerkbar. Eine andere Tonart bricht an, eine Debatte über Recht und Unrecht wird offiziell geführt, anstatt wie bisher mal mehr, mal weniger subtil im Hintergrund mitzuschwingen. Generationenkonflikte werden zu einem wichtigen Element, ebenso das Überprüfen der eigenen Persönlichkeit, die Korrektur daran, der Einfluss von Familie und eigenem Willen wird als wichtiger Fakt mit herangezogen, und inmitten all dieser Methodik empfand ich das dort gezeigte Bereinigen der Ereignisse durchaus als vom Film gerechtfertigte Revanche, während ich selbst hingegen dachte, dass sich hier keiner in irgendetwas nachsteht. 

Mit Gerechtigkeit hat das nichts zu tun, nicht einmal mit der klassischen Entladung nach einer Extremsituation. Ich kann aber wie gesagt nicht wirklich einschätzen, wie sehr der Autor und Regisseur hinter den finalen Taten steht, sprich wie sehr es ein Zugeständnis an die eigene Natur ist, derartiges Handeln als Gerechtigkeit zu empfinden, quasi als angewandte Reflexion dessen was zuvor über Fremdpersonen analysiert würde an sich selbst, sowie als Spiegel für den Zuschauer, um sich ebenfalls als Mittäter zu fühlen, als jemand der mit im Boot sitzt, eben weil in ihm ebenso die Natur des Menschen schlummert. Im umgekehrten Fall wäre es zumindest ernüchternd, dass dieser Schluss auch stumpf gemeint sein kann. Wie auch immer man zu diesem ungewöhnlichen Stilwechsel steht und ihn definiert, auch hier weiß "Dogville" so oder so definitiv zu beeindrucken, mitunter weil er wie erwähnt seinem ruhigen, märchenhaften Erzählstil treu bleibt, selbst wenn über Dogville gerade die Hölle hereinbricht. Aus dem ruhigen Geschehen wird frei von Spezialeffekten ein lautes, ereignisreiches Szenario, das ebenfalls von Taten, deren Drang bislang unterdrückt wurde, handelt. Selbst in dieser Phase bleibt von Triers Darstellung der Ereignisse, des Umfelds und der Akteure stets symbolisch. 

Kalt dürfte "Dogville" nur jene lassen, die sich nicht auf die Entfremdung, durch welche die Symbolik zum Zentrum des Filmstils wird, einlassen können. Dialoge, Schauspiel und Handlungsverlauf sind derart packend dargeboten, dass man sich eigentlich wunderbar auf "Dogville" einlassen und von dessen Ereignissen mitgerissen werden kann. Einem Publikum mit vielseitigem Filminteresse und Anspruch müsste das Ergebnis eigentlich schmecken. Hier maulen lediglich die Gewohnheitszuschauer, die nur ungern aus ihrer Wohlfühlzone geholt werden und das Hobby des Filmeschauens schlichtweg auf das Filmeschauen reduzieren.  OFDb

2 Kommentare:

  1. Tatsächlich ist "Dogville" im Oeuvre des Regisseurs derjenige, den ich noch nicht gesehen habe. Dabei mag ich von Triers Art der Filme eigentlich ganz gern. Irgendwann muss ich den wohl doch mal noch nachholen.

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    1. Bei mir ist es umgekehrt, es ist bisher einer der wenigen die ich von ihm kenne. Aber er macht definitiv neugierig auf mehr von Trier. :)

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