12.05.2021

APPASSIONATA - ERSTES VERLANGEN (1974)

In dem von Gianluigi Calderone inszenierten Drama "Appassionata" (Originaltitel) begegnen wir in den vier zentralen Rollen Menschen voll von Sehnsüchten und Enttäuschungen. Elisa träumt in ihrem pflegebedürftigen Zustand, der irgendwo zwischen fortgeschrittener Depression und Demenz pendelt, so sehr von der Vergangenheit, dass sie die Gegenwart kaum wahr haben möchte, Emilio sehnt sich nach der jungen Nicola, die sich ihm ohne das Alibi des Betäubungsmittels nicht nähert, Eugenia wünscht sich ihre erste sexuelle Erfahrung herbei und möchte diese am liebsten mit ihrem Vater vollführen, und Nicola mag sich sexuell holen was sie braucht, ist aber eine einsame junge Frau, deren wichtigster Kontakt, Eugenia, sich mehr und mehr von ihr entfremdet. So sehr die Erotik thematisch auch obligatorisch im Stoff gefestigt ist und auch in einigen Aufnahmen junger Körper Beachtung findet, so wenig ist Calderone daran gelegen einen Schmuddelfilm abzuliefern, einen Eindruck den glücklicher Weise auch das Endergebnis hinterlässt. 

Der mit Ornella Muti in einer der wichtigsten Rollen besetzte "Forbidden Passion" (Alternativtitel) widmet sich aus einer sachlichen Distanz heraus dem Treiben und Gefühlsleben seiner Figuren, zentral jenem von Emilio, und bietet dabei keinerlei Erklärungen für das Publikum. Das sieht zu und muss sich selbst einen Reim aus dem Miterlebten machen, was insofern interessant ist, als dass die Handlung keineswegs irgend einem Standard folgt, auch wenn die Figuren nicht ohne Stereotype auskommen. Dementsprechend verläuft das Geschehen nie wie erwartet, sondern lässt uns an individuellen Prozessen teilhaben, die sich kraftvoll der Norm standardisierter Sehgewohnheiten widersetzt. So lobenswert das ist, und so interessant sich "Passionate" (Alternativtitel) damit guckt, letztendlich fehlt es ihm an Bodenständigkeit, um seiner sachlich motivierten Betrachtungsweise gerecht zu werden. Während man den Charakteren, trotz nüchternem Blickwinkel, durchaus empathisch begegnet, schien man sich, im Gegensatz zu psychologisch sinnvollen Charakterzeichnungen, nicht mit psychologischen Prozessen auszukennen, so wenig wie die Handlung im Einzelnen sinnvolle Schritte vollzieht. Und eine gewisse Entfremdung aufgrund kultureller Veränderungen macht das durchaus engagierte Drama zwar zu einem faszinierenden Zeitzeugnis, macht es dem Zuschauer von heute aber um so schwieriger allein gelassen das Erlebte einzusortieren, eben weil doch alles aus einer gewissen Distanz heraus betrachtet wird. 

Durch diese Herangehensweise verzichtet das Werk glücklicher Weise aber zumindest auf Störfaktoren wie Theatralik, Kitsch und Hysterie, was gut zum Grundton des Streifens passt, der lobenswert reißerische Schauwerte meidet. Was "Appassionata" fehlt, um ihn rein als Gefühlsfilm annehmen zu können, ohne sich an der mangelnden Logik oder Konsequenz der gesammelten Erfahrungen aufzuhängen, ist ein sinnlicher Grundton, der den Zuschauer emotional eintauchen lässt. Da der Film aber eben fast einzig von Enttäuschungen lebt, kann der in seiner Distanz erzählte Film derartiges nicht verursachen. Angenehm schaut sich das Erotik-Drama für ein mündiges, aufgeschlossenes und auch geduldiges Publikum aber durchaus. Und ich muss gestehen, dass ich seine schockierende Schlusspointe nicht kommen sah, auch wenn im Nachhinein alles darauf hindeutete, und erst mit dieser ein erzählerischer Kreis geschlossen wird. Zudem bildet sie einen gekonnten Gegenpol zur Betäubungsszene und suggeriert außerdem mit dem Blickwinkel aus dem Fenster die Möglichkeit einer geplanten Einheit. In dem Alter der beiden Mädels ist dies nicht undenkbar und würde den Charakteren, psychologisch weiter gedacht als bisher dargeboten, tatsächlich gerecht werden. Vielleicht erleben wir am Schluss aber nur die Gegenvariante der bisher miterlebten, freundschaftlichen Verheimlichung, das bleibt Auslegungssache. Zu wissen wie ahnungslos Emilio ist, und selbst dies nur höchst wahrscheinlich, macht jedoch den wahren Reiz dieses verstörenden Endes aus.  OFDb

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