Nach 15 Minuten fragt man sich was nun kommen soll, denn jeder andere Film würde nun das Finale einleiten. So wie bis dorthin erzählt, hätte man höchstens einen Kurzfilm erwartet, aber "Hush" (Originaltitel) schafft es tatsächlich seine Geschichte weiterhin interessant zu halten, anstatt das Produkt lediglich zäh mit Standards in die obligatorische Länge zu ziehen. Das funktioniert zum einen aufgrund der Charakterzeichnung des Mörders, denn jeder andere wäre entweder längst durch eines der Fenster eingedrungen, oder würde dies aufgrund eines idiotischen Drehbuchs nicht machen. In "Still" wird jedoch sehr früh die perverse Verspieltheit des Aggressors deutlich, der sich absichtlich Zeit lässt, um mit seinem Opfer zu spielen. In deren Wahrnehmung werden wir gelegentlich akustisch hineinversetzt, um zu verdeutlichen wie verloren sie selbst dann ist, wenn sie sich fern des Blickwinkels am Fenster von Außen in einem Winkel eines Zimmers versteckt, ohne dies komplett im Blick behalten zu können. Jeder andere könnte noch auf sein Gehör vertrauen, Maddie hingegen muss ihre Augen überall haben. Auch Ablenkungsmanöver werden in ihrer eingeschränkten Wahrnehmung zu beängstigenden Aktionen, weiß man doch nie, ob sie sich bei Fluchtversuchen offensichtlich bemerkbar macht und dem Täter geradewegs in die Arme läuft, oder eine echte Chance gewehrt bekommt. Ein Arthouse-Film hätte eventuell versucht diese Geschichte in Stummfilm-Form zu präsentieren, hier reicht es aus uns lediglich gelegentlich die taube Wahrnehmung der Heldin teilhaben zu lassen. Ich halte das für eine gute Wahl, um unverkrampft zu unterhalten.
Zudem ist "Still" inszenatorisch kein Schnellschuss, im Gegensatz zu so vielen Genrebeiträgen, in welchen maskierte Killer einer Frau auflauern. Der Film ist zwar bei geringen Kosten entstanden, aber auf einem handwerklichen Hoch erzählt. Die Optik stimmt, die Atmosphäre knistert, Spannung liegt in der Luft. Ebenso stimmt die Dynamik der Geschichte, die nie überhastet erzählt ist, aber auch nie zu gebremst. Eine Nähe zur Figur wird glücklicher Weise aufgebaut, so dass einem ihr Schicksal nicht egal ist, zeitgleich legt man es auch nicht auf ein Blutbad an, so dass der Horror eher im Kopf stattfindet. Wenn es dann mal blutig wird, überzeugen die Spezialeffekte, und das Leiden des jeweils Betroffenen (was innerhalb eines abwechslungsreichen Szenarios auch gelegentlich der Täter sein kann) empfindet man mit. Der Killer mag kein mystischer Unbekannter sein, leider wirkt er trotz herrlicher psychotischer Art immer eine Spur zu normal, aber wir sind auch Teil seiner Wahrnehmung. "Still" ist mal aus seiner, mal aus Maddies Perspektive erzählt. Mögen wir den Drang und die Motivation des Mörders auch nicht verstehen, wir bekommen dennoch immer mit was er fühlt.
Nur selten bekommt in diesem Katz- und Mausspiel die Maus die Oberhand. "Still" wird nicht wie das Finale von "Scream" zu einem Wechsel der Positionen, Erfolge Maddies sind stets nur von kurzer Dauer. Und da "Still" für einen Horrorfilm überraschend häufig auf Realismus setzt, wird auch eine sich zugezogene Wunde für die Geschichte wichtig, denn Maddie muss sich beeilen dem Käfig ihrer Behausung zu entkommen, bevor der Blutverlust sie zu sehr einschränkt. Freilich ist sie dennoch die Hauptfigur eines Horrorfilms und kann vieles, was in der Realität unmöglich wäre. Dennoch hält sich der Streifen diesbezüglich zurück und beschert uns den Minimalismus seiner Idee nicht stattfindend in einer alternativen Kinorealität, sondern orientiert an der unseren. Überzeugende Darsteller unterstützen das interessante Drehbuch, und die stimmige, jede Situation sorgfältig aufgreifende, Inszenierung von Regisseur Mike Flanagan, der drei Jahre nach dem hier besprochenen Film auch die spät nachgereichte Fortsetzung von "Shining" namens "Doctor Sleeps Erwachen" drehte, sorgt für den Rest. "Still" mag keine Innovation im Horrorbereich sein, dennoch schaut er sich erfrischen anders und ernstzunehmend und bietet einem einen spannenden Filmabend in stimmiger Atmosphäre. OFDb
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