02.01.2022

DOCTOR SLEEPS ERWACHEN (2019)

Es hat wohl niemand jemals ernsthaft gehofft, dass es eine Fortsetzung von Stanley Kubricks "Shining" geben würde, so eigenständig (fast schon losgelöst von Stephen Kings Romanvorlage) wie sich das fertige Werk anfühlte, so abgeschlossen wie die Geschichte war und so faszinierend wie offene Rätsel (zumindest in der europäischen Fassung) nachwirkten. Aber manchmal ist es gut wenn wer ein scheinbar unsinniges Projekt in die Hände nimmt, denn herausgekommen ist mit "Dr. Sleeps Erwachen" eine gelungene Fortsetzung, die ebenfalls lange Zeit auf Eigenständigkeit setzt, bevor sie das Verehren des Vorgängers zelebriert und mit dieser Verneigung und dem Nutzen bitter-nostalgischer Elemente sich dennoch auch in dieser Phase nie in einen reinen Fanfilm der Kopie wandelt. Nicht nur dass es Regisseur und Drehbuchautor Mike Flanagan, der mit "Still" drei Jahre zuvor bereits ein interessantes Horrorprojekt angegangen ist, gelungen ist den Vorgänger aus dem Jahr 1980 interessant weiter zu erzählen (und dafür ähnlich wie "Psycho 2" und "Trainspotting 2" den langen Zeitabstand zwischen beiden Werken gekonnt zu nutzen), es ist ihm auch ein kleines Wunder im Erzählrythmus geglückt, beweist "Doctor Sleep" (Originaltitel) doch noch einmal die Stärke einer langsamen Erzählweise, in welcher sich nach und nach die Zusammenhänge entwickeln und Charaktere tief beleuchtet werden. Zwar nutzt Flanagan des öfteren Zeitsprünge, aber auch diese Methode wirkt nicht hektisch oder unsensibel, dient sie doch der Vertiefung einer gehaltvollen Geschichte und dem Aufzeigen der Dimension dessen, was sich da an Geschehnissen schicksalhaft anbahnen wird. 

Nach besagter Fortsetzung von "Trainspotting" und dem überraschend geglückten "Christopher Robin" ist Ewan McGregor zum dritten Mal per Hauptrolle an einem Projekt beteiligt, das nostalgisch und interessant zugleich recht weit in der Vergangenheit liegende Filme fortsetzt. Alle drei sind völlig unterschiedlicher Natur, und McGregor spielt in allen brillant, so wie man es von ihm gewohnt ist. Oberflächlich betrachtet wird aus der Geschichte rund um telekinetisch begabter Menschen zwar eine abgeänderte Vampirvariante, die Aggressoren aus "Doctor Sleeps Erwachen" darauf zu reduzieren würde ihrem Potential jedoch nicht gerecht werden. Das qualvolle Leiden der Kinderopfer, die Rituale, der Zusammenhalt, der Mythos rund um die begehrte Nahrungsquelle, die Unterschiede der Fähigkeiten und wie man sie sowohl miteinander als auch gegeneinander einsetzen kann, sind alles reizvolle Erzählzutaten, denen dank geduldigem Einblick in die Motivation eines jeden Einzelnen nicht nur viel Beachtung geschenkt wird, sondern über diese Methode auch ein Kennenlernen der anderen, uns zuvor unbekannten, Kultur entsteht, so dass wir uns spätestens im letzten Drittel des mit 146 Minuten recht lang laufenden Werkes fast komplett in der uns zuvor fremden Mentalität befinden, uns in dieser auskennen und dort einer Geschichte beiwohnen, die mit der uns bekannten Welt nicht derart trickreich und wendungsreich hätte erzählt werden können. Ähnlich wie in Cronenbergs "eXistenZ" zweifeln wir immer öfter an der Wahrnehmungsebene, in der wir uns gerade befinden, so sehr wie Gut und Böse sich link mit Täuschungen bekämpfen, Drehbuch und Regie behalten währenddessen die Übersicht, so dass es nie zu nennenswerten Lücken in der Logik kommt. 

Eine charismatische Besetzung in den wichtigsten fünf Rollen liefert das Fundament dieser großartigen Erzählung, von welchen die Dame mit Hut auf Seiten der Shining-Vampire als besonders nennenswert hervor sticht. Sie macht einen guten Teil der mystischen Wirkung der Gesamtatmosphäre aus. Wer keinen Narren an ihrem simplen, wie wirkungsreichen Erscheinungsbild frisst, hat schon halb verloren in die Welt von "Doctor Sleep" komplett eintauchen zu können. Freilich gibt es aber genug weitere Schauwerte, sowie einen durchdachten Plot und jede Menge Entdeckungen für Kenner des ersten Teils, um dennoch gut unterhalten werden zu können. Flanagans Werk ist eine Wundertüte von einem fast schon epischen Horrorfilm, sowohl bezogen auf das Fortführen einer in sich perfekt geschlossenen Geschichte des Vorgängers, als auch im Ignorieren sämtlicher Erzählpflichten des modernen Mainstream-Kinos zur Rückbesinnung auf ruhige und durchdachte Methoden, mit Respekt vor Figuren, Geschichte und Zuschauer versehen. Dass immer auch ein kleiner Hauch Massentauglichkeit und zu dick aufgetragener Nostalgie vor dem Erstling mit weht, sei allerdings noch erwähnt, macht aber aufgrund des vorhandenen restlichen Potentials meiner Meinung nach herzlich wenig an der Wirkung der teils tragischen, teils unheimlichen Geschichte kaputt.  OFDb

1 Kommentar:

  1. Die Dame mit Hut. ;-) Ja, Ms. Ferguson ist ne ziemliche Wucht in diesem Film.

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