06.07.2015

THE STENDHAL SYNDROME (1996)

Nach seinem erfolglosen selbstproduzierten Versuch mit „Trauma“ in Amerika Fuß zu fassen, lieferte Dario Argento, Schöpfer solcher Werke wie „Suspiria“ und „Profondo Rosso“, drei Jahre später mit „The Stendhal Syndrome“ sein Folgewerk ab, welches er wieder wie einst in Italien produzierte. Auf Nummer Sicher ging er für seine Rückkehr nicht, lieferte er doch keinen klassischen Giallo ab, jene Gattung Film für die sein Name Pate steht. Stattdessen serviert er uns eine wirre Erzählung, die fast schon solch phantastische Elemente wie „Phenomena“ enthält, auch wenn man sie versucht mit einem Krankheitsbild zu erklären.

Der Film steigt zunächst mit einer Szene ein, in welcher über mehrere Minuten nicht gesprochen wird. Wir werden Zeugen des Stendhal Syndroms. Wir dürfen mit der Protagonistin miterleben wie Bilder in einem Museum sich zu verselbstständigen scheinen, dürfen die Geräuschkulisse während eines solchen Anfalles miterleben, bis es schließlich zum Zusammenbruch unserer Heldin kommt. Die nächste entscheidende Szene, welche dieser folgt, gibt sich noch rätselhafter, wird doch nun ein Gemälde im Hozelzimmer der in Florenz zu Gast agierenden Polizistin zu einem Tor durch welches sie schreitet, woraufhin sie auf den gesuchten Serienkiller trifft, der gerade mit seinem nächsten Opfer beschäftigt ist.

Nun ist dieser Moment jedoch keine Vision wie einer jener vergleichbaren Momente aus Wes Cravens „Shocker“, im Nachhinein erfahren wir dass Anna tatsächlich vor Ort war und auch gleich von dem Serienkiller vergewaltigt wurde. Mag sein dass es daran liegt dass ich nicht die Langfassung des Streifens gesehen habe, aber wirklich gekonnt wird der Zuschauer hier nicht an die Hand genommen, so dass es einer Überraschung gleicht im Laufe der Zeit zu erfahren, dass hier kein Irrtum oder eine traumatische Täuschung vorliegt, sondern dass die Vergewaltigung tatsächlich stattgefunden hat.

Die Erzählung stellt dies glücklicher Weise dennoch zügig klar, was sonst fatal gewesen wäre, so entscheidend begangene Tat für den weiteren Verlauf des Streifens ist. Dieser schaut sich eigentlich wie zwei Filme und erzählt in der ersten Hälfte davon wie die Polizistin von jenem Täter im Griff gehalten wird, den sie eigentlich jagt, bis es schließlich in Gefangenschaft geraten zur Gegenwehr kommt. Die zweite und wesentlich interessantere Hälfte beschäftigt sich nun damit, dass die Bedrohung weiter geht, jedoch nicht klar ist ob der uns bekannte Täter tot ist oder nicht.

Erst in der zweiten, etwas regulärer erzählten, Hälfte, die sich kaum noch für das titelgebende Stendhal Syndrom interessiert, wird der Streifen zum klassischen Giallo und auch ab hier erst so richtig gut, da der Film bis hier hin etwas zu umständlich und teilweise auch zu bemüht erzählt ist. Die Gefangenschaft wirkt wie ein halbherzig angegangener Storyaspekt, ohne den es nun einmal nicht geht. Die Befreiung aus dieser ist zumindest in der von mir gesichteten Kurzfassung nicht nachvollziehbar. Und die phantastisch anmutenden Sequenzen des Bildereintauchens wirken zwar surreal und wissen trotz mancher sich heutzutage erbärmlich anschauender Computersequenzen ein gewisses Interesse zu wecken, aber letztendlich wirken sie doch zu aufgesetzt, so als wolle man der Geschichte viel zu aufgezwängt eine besondere Basis schenken. Die wesentlich idiotischere Idee aus „Phenomena“, dass die Heldin dort mit Insekten kommunizieren konnte, wirkt dort wesentlich stimmiger und für die Geschichte förderlicher eingebracht, als der nachvollziehbarere Aufhänger des hier besprochenen Filmes.

Sehenswert ist die erste Hälfte von „La Sindrome di Stendhal“ (Originaltitel) mit etwas heruntergeschraubten Erwartungen trotzdem allemal, allein schon um den Wandel von Annas Persönlichkeit mitzukriegen, der, und das finde ich eine hervorragende Idee, über andere festgestellt wird, denn die Ur-Anna durften wir als Zuschauer ja nur rein optisch kennen lernen. Damit fällt uns Zuschauern aber auch die Identifikation mit der vergewaltigten Anna leichter, die in großer Gefahr schwebt, während sie gleichzeitig verarbeiten muss was ihr geschehen ist.

In der zweiten, etwas kürzeren Hälfte der Geschichte darf man nun rätseln was es mit der aktuellen Bedrohung auf sich hat. Ist Anna geistig so abgedriftet, dass ihr die Taten selbst zuzutrauen sind? Lebt der Ur-Killer noch? Gibt es jemandem im nahestehenden Umfeld Annas, der als Trittbrettfahrer tätig wird? Hier kämen ein eifersüchtiger Ex-Freund und ein zwielichtig wirkender Psychiater als Idealtäter in Frage. Vielleicht ist es aber auch wer ganz anderes? Es ist zwar etwas schade, dass am Ende die wahrscheinlichste Variante auch die tatsächliche Auflösung ist, aber trotzdem schließt der Film damit sehr gekonnt, auch stilistisch im Übergang, wenn Argento uns in den Abspann entlässt.

Gegen Ende bekommt man ohnehin den Eindruck, dass Argento mit einer offensichtlichen Tatsache spielt, so als wüsste er, dass der Zuschauer die Auflösung weiß. So oder so kann der Schluss überzeugen, und der Restfilm kann es trotz einiger Abstriche auch, auch wenn sich „The Stendhal Syndrome“ nicht so flüssig schaut wie die richtig guten Arbeiten Argentos. Fünf Jahre später, mit dem umstrittenen „Phantom der Oper“ zwischendurch eingereicht, lieferte er mit „Sleepless“ wieder einen klassischen Giallo ab, schlichter in seinen Schwerpunkten, aber auch flüssiger inszeniert und mit besserer Auflösung versehen. Rein vom künstlerischen Aspekt her gesehen ist jedoch „The Stendhal Syndrome“ wesentlich gewitzer ausgefallen als diese Standard-Ware, was sich nicht nur in den eingebildeten Fantasy-Sequenzen zeigt, sondern auch in manchem Schattenspiel, manch blutiger Sequenz und in vielen anderen großartig eingefangenen Aufnahmen.  OFDb

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