Dass ausgerechnet der Kinogänger schnell zum Voyeurismus zu verführen ist, braucht nicht verwundern, schaut er sich doch ohnehin die Erlebnisse Fremder all zu gerne an, und dass Hitchcock ihm diesen Spiegel vorsetzt, ist allgemeinhin bekannt. Was durch „Big Brother“ und Co heutzutage in den Medien zum Alltag gehört, fand seinerzeit in dieser Form einzig vor dem eigenen Fenster statt oder außerhalb der Wohnung, möglichst mittels eines Fernglases. Ersteres führt jedoch eher in Versuchung, fühlt man sich doch etwas verbundener mit der Nachbarschaft, die zumindest aus Bekannten besteht, wenn auch keine die wir gut kennen. Und es sind ihre Banalitäten im Alltag, die locken, eben weil sie sich in ihren eigenen vier Wänden natürlich geben, unbeobachtet wie sie sich glauben. Und dass es uns als Zuschauer solch einen Spaß bereitet von Hitchcock derart angesteckt zu werden hinzugucken, liegt an dem Grundton, den er seinem Film verleiht.
Der ist lange Zeit schließlich keineswegs düster, wie es sich theoretisch für einen Thriller gehören würde. Viel mehr schaut sich „Rear Window“ (Originaltitel) lange Zeit eher wie ein Lustspiel, so locker und leicht präsentiert er seinen Stoff. Leicht humoristisch angehaucht lebt er den Schabernack, das harmlos Verbotene, zu das sich wer zuwendet, der dies vom Typ her im Alltag eigentlich nie tun würde. Nun mit Gipsbein an die Wohnung gefesselt, fällt Jeffreys nichts besseres ein, um mit der endlosen Langeweile umgehen zu können. Es ist die verschmitzte Art, die den Charakter der von James Stewart verkörperten Rolle zeichnet, welche „Das Fenster zum Hof“ so entspannt und vergnügt schauen lässt.
Da fallen lässige Kommentare im Dialog mit der Krankenpflegerin, augenzwinkernde Angriffe werden mit seiner Herzallerliebsten ausgetauscht, und selbst in der Spätphase des Streifens bleibt dieser Grundton bestehen, z.B. in der Art mit welcher Jeffreys gegen seinen Polizistenfreund stichelt, der in den Geschehnissen gegenüber nichts Besonderes zu sehen meint.
Wer von den beiden im Recht ist, steht auch in der langsam immer spannender werdenden Thrillerphase längst nicht fest. Die Spannung wird über die Taten derer die wir kennen erzeugt. Bloß nicht beim Spannen entdeckt zu werden, sorgt schon für manch spannungsgeladenen Moment, denn Jeffreys ist freilich ebenso deutlich zu beobachten wie die Leute die er selber ausspioniert. Aber auch manch waghalsige Situation, in welcher die Protagonisten selber zu Ungesetzlichen werden (weit über das harmlos illegale Treiben hinaus), treibt den Spannungsbogen gegen Ende immer mehr in die Höhe.
Durch die Reaktionen des Verdächtigten, den wir stets nur aus der Ferne betrachten, sind wir auch nahe am Finale noch immer unsicher ob der zwielichtige Mann nun einen Mord begangen hat oder nicht, reagiert er doch recht nachvollziehbar auf die Konfrontationen der ihm Fremden. Dies treibt Hitchcock bis zum Schluss auf die Spitze. Mag man gegen Ende auch ziemlich sicher sein ob der Nachbar nun ein Mörder ist oder nicht, erst kurz vor Schluss erfahren wir es endgültig, bis dahin gäbe es stets noch alternative Erklärungen, die das Gegenteil bestätigen würden.
Mit diesem Mix aus lockerer Atmosphäre und spannungsgeladenem Thrill, mit der ansteckenden Lust am Voyeurismus, den kleinen psychologischen Kniffen Hitchcocks (wie das Einfangen des Verdächtigen, das stets nur aus der Distanz stattfindet, oder das Einweihen des Zuschauers in einen Fakt, den Jeffrey aufgrund dessen dass er schläft nicht mitbekommt) und mit der Besetzung des immer wieder charmanten James Stuart und der verführerisch süßen Grace Kelly, ist Hitchcock ein Meisterwerk geglückt, ein Film der trotz des zunächst weniger qualitativ klingenden Aufrufs zum Voyeurismus in den Feinheiten und den geistreichen Nebensächlichkeiten seine wahre Größe offenbart, gleichzeitig aber auch in den Vordergründigkeiten durch den verschmitzten Grundton nie das Niveau und die Würde des Stoffes beraubt. „Das Fenster zum Hof“ ist eine stilsichere Angelegenheit und lädt alle paar Jahre immer wieder zum erneuten Sichten ein. OFDb
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