21.07.2022

SWALLOW (2019)

"Swallow" kommt so unaufgeregt und reflektiert daher, dass man meinen könnte eine europäische Produktion zu sichten, dabei entpuppt sich Frankreich eher als der kleinere Produktions-Part neben den USA. Der Versuchung das verstörende, wie auch faszinierende Krankheitsbild, welches zentral thematisiert wird, reißerisch anzugehen, widersteht das Drehbuch komplett. Ursache und Wirkung schwingen stets im Hintergrund, beileibe nicht subtil eingestreut, aber vernünftig und glaubwürdig reflektiert. Vorurteilsfrei und sensibel erzählt und passend dazu in ruhigen Bildern abgefilmt, lebt "Swallow" zum einen von seiner Dramatik, ebenso aber auch von dem beunruhigenden Szenario, das einen Spannungsbogen auf ganz eigene Art zu entfalten vermag. 
 
Der zurückhaltende Inszenierungsstil verlässt sich zu einem guten Teil auf seine Hauptdarstellerin Haley Bennett, die einst im Horrorfilm "Molly Hartley" ebenfalls jemanden mimen durfte, der unter einer Störung litt, hier aber nun endlich in allen Facetten zeigen darf, was sie kann. Sie weiß ebenso zu beeindrucken wie das Drehbuch. Gerade wenn einem der Aufhänger des Streifens bekannt ist, fragt man sich im Vorfeld wohin eine solche Geschichte steuert, sowie wann und wo sie ihre Höhepunkte entfalten mag. Dementsprechend überrascht war ich, dass der Aspekt so weit zu gehen selbst eine Reißzwecke zu schlucken (womit auch das Covermotiv wirbt) bereits der zweite Gegenstand ist, dem sich die Protagonistin annimmt. 

Gefangen im goldenen Käfig, stets nur bemüht andere glücklich zu machen, während man für sein Umfeld eigentlich unsichtbar ist, steuert sie in eine psychische Katastrophe hinein. Das unsensible, angeheiratete Umfeld gießt mit jeder egoistischen Bemühung der Schadensbehebung stets Öl ins Feuer. Verrat aus vertrauten Ecken, Missdeutungen von Gesten, aber auch Hilfe von unerwarteter Seite warten als Überraschungen auf den Zuschauer. Dass ein solcher Film auch optimistische Momente bereit hält, weiß zu gefallen, zumal "Swallow" damit in keine Blauäugigkeit oder Naivität abdriftet. Die Dosis diesbezüglich ist ohnehin gering, aber sie ist da. Und dass eine derartige Thematik keinen tatsächlichen, endgültigen Schlussstrich bereit hält, der dem Zuschauer von Wohlfühlkino wichtig wäre, dürfte klar sein. 

Ein solches Publikum gehört ohnehin nicht zum Klientel dieses ungeschönten Problemfilms. Ein komplett offenes Ende, wie es dies auch häufig in europäischen Dramen zu sichten gibt, erlebt man in "Swallow" jedoch ebenso wenig. Man muss relativ frei von Vorurteilen und Moral sein, um das erlangte Stück Freiheit am Schluss des Streifens als solches zu akzeptieren, vielleicht sogar als leichtes Happy End anzuerkennen. Schafft man es Empathie zur Hauptfigur aufzubauen, dürfte man den Schluss jedoch nicht missverstehen, auch wenn er den eigenen Werten mancher Zuschauer sicherlich widersprechen mag. "Swallow" lebt jene Toleranz und jenen offen ausgesprochenen Umgang, den unsere und die US-Gesellschaft oftmals nur vorheucheln zu leben. Besonders beeindruckt war ich über diese erwachsene Haltung in einer näher beleuchteten Vergewaltigungsthematik gegen Ende, in welcher ein Täter offen zu Wort kommen darf. 

"Swallow" ist wahrlich ein Film für ein mündiges Publikum, für Leute die sich einer Thematik konzentriert und aufmerksam annehmen, bevor sie sich anmaßen zu urteilen, für Menschen die in Graustufen denken, die sich unangenehmer Themen nicht verwehren und für die Kino nicht nur Träumerei und Ablenkung bedeutet. Dass ich ausgerechnet mal in einem solchen Film auf "Sledge Hammer" David Rasche stoßen würde, hätte ich nie vermutet. Das zeigt aber auch ziemlich deutlich wie sehr auch ich Vorurteile lebe.  OFDb

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