19.04.2021

KOKON (2020)

Fast nur mit Amateur-Darstellern besetzt, manch junges Gesicht im Zentrum aber dann doch der professionellen Schauspielerei angehörend, schaut sich "Kokon" in diesem illusionierenden Mix derart authentisch, dass man meint jeder stelle sich ganz natürlich so dar, wie er wirklich ist. Wie man es schafft derartig glaubwürdige Direktheiten einzufangen, ohne dass die Anwesenheit einer Kamera das Verhalten der Teenager verfälscht, ist mir ein Rätsel und gleicht einem Wunder. Denn von dieser Realitätsnähe lebt das Drama "Kokon", welches weder überdramatisch, noch belanglos erzählt ist. Wir erleben alles durch den tatsächlichen Blickwinkel eines heranreifenden Mädchens, das sich in einer Entdeckungsphase befindet, so dass sich nicht einmal der lesbische Aspekt, der weit weniger stark als vermutet das Zentrum der Erzählung beherrscht, als festgefahrene Endgültigkeit erweist. Wir erleben Momentaufnahmen eines Sommers, des Sommers des Erblühens, weder verschönt, verkopft, noch wie erwähnt überdramatisiert eingefangen. Da teilt man auf ganz natürliche Art Gedanken, Eindrücke und Gefühle, unverfälscht, nicht Gefahr laufend ein Suizid-nahes Außenseiter-Drama dadurch zu entfachen, aber auch nicht blauäugig eingefangen, so als lebe Nora und ihr Umfeld in einer heilen Welt. Medien, hoher Ausländeranteil, Freude am Rappen und an der Raupentier-Zucht, der Versuch des Mutterseins an einer Übungspuppe, der Alkoholismus und das Desinteresse der Mutter, Gruppenzwänge, Selbstentdeckungen, Wagnisse, Peinlichkeiten, Annäherungsversuche, Aussprachen, "Kokon" fängt die Welt eines Teenagers der Moderne ein, so wie sie in der Großstadt tatsächlich ist. 

Und aufgrund seiner Natürlichkeit schließt er seine Geschichte mit vielen offenen Eindrücken, denn das Leben geht weiter. Ebenso natürlich finden Klärungen aufgekommener Probleme statt, dies fast schon gleichgültig akzeptiert, aber alles andere als gefühlskalt oder ignorant verarbeitet. Mit 14 erlebt man in erster Linie nun einmal Eindrücke, kann Misserfolge, Entdeckungsversuche und Irrtümer als Erlebnis wegstecken, als Bereicherung der Erfahrung, ohne gleich ein großes Drama aus allem werden zu lassen. "Kokon" zeigt distanziert und doch empathisch, dass das Vorurteil der emotional erstarrten Mediengesellschaft nicht greift und hinter den Smartphones und der Flut an Informationen dennoch sensible Gestalten stecken, die mit ihrer Unsicherheit und Unerfahrenheit ebenso die Welt, sich selbst und die anderen entdecken müssen und wollen, wie es jede Generation hinter sich hat. "Kokon" ist ein überraschend süßer Film, der weder mit seinem Anteil an Bitternis übertreibt, noch arg naiv anmutet und somit ein Gleichgewicht hinbekommt, um uns einen glaubwürdigen, authentisch wirkenden, Einblick in die aktuelle Teenagerwelt zu ermöglichen. Die Regisseurin und Autorin Leonie Krippendorff ("Looping") nimmt ihre Figuren ernst, greift sie in ihrer Verletzlichkeit sanft und beutet sie selbst in den geschickt frei von Voyeurismus eingefangenen Nacktaufnahmen nicht aus. Dass Hauptdarstellerin Lena Urzendowsky während der Dreharbeiten bereits 20 Jahre alt war, sieht man ihr wahrlich nicht an.  OFDb

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