15.09.2024

VOLLBLÜTER (2017)

Eigentlich wollte Lily ihre ehemalige Freundin Amanda nur aus finanziellen Gründen treffen, nun wo Amanda nach dem Mord an einem Pferd eine Außenseiterin ist, und ihre Mutter für sie verzweifelt Sozialkontakte sucht. Doch die Teenagerin ist fasziniert von dieser Person, die nicht in der Lage ist Emotionen zu empfinden. Als Amanda bemerkt, dass die moralisch gelenkte, stets auf ihre äußere Wirkung achtende Lily Hass für ihren Stiefvater empfindet, schlägt sie vor diesen umzubringen. Lily ist empört, findet aber so nach und nach Gefallen an der Idee...

Angeborener und angelernter Egoismus...

Eigentlich wollte ich nur mal nachschauen worin die Süße aus "Quija - Spiel nicht mit dem Teufel" noch so mitgespielt hat, deswegen stieß ich auf die Inhaltsangabe von "Vollblüter" und habe ihn voller Interesse sogleich bestellt. In diesem entpuppte sich die im Horrorfilm eher routiniert wirkende Olivia Cooke als hervorragende Schauspielerin in einer reizvollen Rolle, an der Seite spielend von Anya Taylor-Joy, die nun spätestens als Furiosa in "Furiosa - A Mad Max Saga" populär wurde und hier ebenso zeigte was in ihr steckt. Ebenfalls dabei ist der kurz darauf verstorbene Jung-Mime Anton Yelchin, der mich schon in "Fright Night" und manch anderem Werk zu überzeugen wusste, in "Charlie Bartlett" komischer Weise hingegen kaum. Diese drei talentierten Mimen treten in einer Satire, die man am ehesten als Thriller-Drama bezeichnen könnte, auf, in denen Elemente aus "Heathers" (samt Szenen-Zitat) und "High School Confidential" enthalten sind, die in ihrer innovativen und künstlerisch wertvollen Art jedoch genügend Eigenständigkeit besitzt, um sich von diesen Einflüssen abzuheben. Dabei geht es in "Thoroughbreds" (Originaltitel) eigentlich nur bedingt um die Handlung, die keinesfalls uninteressant ausgefallen ist, es geht viel mehr um das Wie. 

Die Faszination der nichts empfindenden Hauptfigur im Kontrast zur lediglich moralisch auf sozialen Kompass gesetzten anderen Hauptfigur sind bereits ein Selbstläufer für sich und steuern psychologisch reflektiert auf eine Entwicklung hin, wie sie in vielen Werken wie "Hostel 2" und "Last Supper" schon des öfteren thematisiert wurden, jedoch nie so professionell entlarvend wie hier, frei von Klischees, einzig durch das zu erlebende Psychogramm, das eine Intelligenz auf hohem Niveau aufweist. Wir erleben hier so gut wie keine Szenenfotografie oder Mimik, die nicht völlig bewusst gesetzt wurde, alles besitzt eine Bedeutung, einen Einfluss, und selbiges gilt für den gewählten Soundtrack, am wenigsten subtil wohl in der Verwendung von Ave Maria präsent, inklusive lachfördernder Unterbrechung besagten Liedes. Humoristisch ist "Vollblüter" ohnehin ausgefallen, aber es ist ein tief schwarzer Humor, ein psychologisch dichter, stets Hand in Hand gehend mit der Bitterkeit der stets vorhandenen Dramaturgie. 

Ist die Entwicklung Lilys vollendet (ein wenig an jene von Ritherspoons Rolle in "Election" erinnernd), schließt der Film mit einer gekonnten Pointe, ein Schlusssatz der mehr ist, als nur ein hervorragender Schlag in die Magengegend, auch er zeigt gekonnt das psychologische Verständnis des Autors und lässt dieses Meisterwerk auf jenem Niveau enden, das wir über die komplette Laufzeit genießen durften. Der im Anschluss folgende, nun nachgeholte Vorspann lässt uns noch einmal das Spektrum all jener Gefühle mit seinem experimentellen Soundtrack erleben, die der Film in einem mit seinem nüchternen Grundton zu entfachen wusste. Denn der immer wieder zwischen Unterkühlung und Poesie pendelnde "Thoroughbred" (Alternativtitel) ist stets so inszeniert, dass er sich jeglicher Schauwerte verweigert. Ob Pferdemord, Tatfotos oder die entscheidende Couchszene gegen Ende, statt Taten erleben wir stets alles aus einer Distanz heraus, erleben durch die Mimik und das Verhalten der Figuren, was es zu sehen gegeben hätte, oder, wie in der Einstiegsszene geschehen, erst später durch Andeutungen in Dialogen. 

Wer sich der intellektuellen Magie von "Vollblüter" hingeben kann, erkennen kann wie meisterhaft er konzipiert ist, der erlebt mit ihm mehr als die gute Unterhaltung für einen Abend, die er ebenso für ein genügsameres Publikum sein kann. Wer ihn öfters guckt, bekommt immer mehr zu entdecken. Ob es die psychologische Art ist, mit welcher die drei Jung-Mimen das Haus Lilys erstmals gemeinsam betreten, die Einrichtung des Zimmers von Amanda im Elternhaus im Bezug auf ihre Begründung darüber, was sie mit dem Pferd getan hat, ob es der Grinser im Spiegel zu Beginn ist, oder die Art des Verwendens ein und des selben Fotos in Lilys Haus zu Beginn und in Amandas Zimmer am Ende, stets gibt es augenzwinkernde Vertiefungen dessen zu entdecken, was man ohnehin schon erlebt und begriffen hat. Und meiner Meinung nach wird "Vollblüter" mit jeder Sichtung besser, da man eingeweiht die vielen Verweise und das gesponnene Netz an psychologischem Verständnis für Ursache, Wirkung, Charaktere und Lebensumstände umso mehr genießen kann. Es ist schön zu sehen, dass ein Drehbuch einem oberflächlichen Menschen wie Lilys Vater genügend Reflexions-Kompetenzen zugesteht, um ihn als Selfmade-Vermögender die wahre Natur seiner Stieftochter erkennen zu lassen. Ebenso gesteht es einem Menschen, der frei von Gefühlen ist, eine hohe Intelligenz zu, und erkennt die Möglichkeiten und Grenzen eines solchen Charakters in seinen Denkprozessen. 

Einzig negativ mutet der Dialog zwischen dem Ehepaar im Treppenhaus an, der den Vater zu penetrant besitzergreifend wirken lässt, was sich als einziger Moment mangelnder Empathie entpuppt, so aufgesetzt wie diese Szene vorgetragen wird. Aber einen solchen Ausrutscher verzeiht man in solch einem großartigen Film gerne, ebenso wie jenen, der es schaffte in die sonst so meisterhafte Fotografie den Kameramann spiegeln zu lassen, und dies in einer Aufnahme, in der man regelrecht danach Ausschau hält ihn zu entdecken (der Zoom frontal direkt ans Auge). "Vollblüter" sollte man als interessierter Cineast gesehen haben. Er ist mehr als ein Rachefilm, mehr als eine Coming of Age-Geschichte, und mit beiden Grundlagen weiß er gekonnt zu locken und zu liefern was man zum Thema erleben möchte. Schön dass er über das was man sich von ihm erhoffte hinaus noch so viel mehr bietet - und dies mit jeder weiterer Sichtung immer wieder und immer intensiver.  Wiki

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