25.07.2012

ZUG UM ZUG IN DEN WAHNSINN (2010)

Mit 7 Jahren lernt Bobby Fischer das Schach spielen, mit 9 ist er bereits überdurchschnittlich gut darin. Nach dem erreichten US-Meister-Titel soll er in Zeiten des kalten Krieges in Island gegen den russischen Weltmeister antreten, was trotz einiger Macken Fischers auch gelingt. Dieser Moment soll der Höhepunkt im Leben des Schachgenies bleiben, denn so nach und nach entgleitet ihm der Sinn zur Wirklichkeit...

Verdienter Erfolg...
 
Das Phänomen Bobby Fischer weiß auch nach all den Jahren noch immer zu begeistern und zu packen - ebenso wie seine Spiele, die von vielen Menschen damals am Fernseher mitverfolgt wurden, ein Zustand den man sich heutzutage kaum vorstellen kann, so langsam und ruhig ein Schachturnier doch eigentlich vonstatten geht und so unterhaltungsüberflutet und flott wie heute ein Produkt sein muss um überhaupt die Aufmerksamkeit des Massenpublikums zu erlangen. Doch Fischer ist ein Künstler seines Fachs, überrascht immer wieder mit für ihn völlig untypischen Schachzügen und weiß auf diesem Weg auch den Weltmeisterschafts-Titel zu holen, eine Trophäe mit der Wochen zuvor keiner mehr rechnete.

Denn Bobby war ein schwieriger Mensch. Ohnehin schon menschenscheu und arrogant, stellte er sonderbare Regeln auf, die eingehalten werden mussten, damit er überhaupt spielt. Kameras summten zu laut, Preisgelder sollten angehoben werden, usw. Erst spät erscheint er in Island, dem Austragungsort der Weltmeisterschaft. Zum ersten Spiel erscheint er viel zu spät, zum zweiten schon gar nicht mehr. Zeitzeugen sind hin und her gerissen ob sein Verhalten Teil psychologischer Kriegsführung gegen den russischen Konkurrenten war, oder schlichtweg zur Natur des Sonderling Fischers gehörte, der sich (nicht nur zu Trainingszwecken) immer mehr von der Außenwelt abkapselte.

Was Bobby machte, machte er richtig. Körperliche Fitness schien ihm als Vorbereitung zur Weltmeisterschaft wichtig, also wurde sie auch gleich in einer Extreme studiert und ausgeführt. Als Kind verbrachte er seine Freizeit einzig vor dem Schachbrett. Die kluge Mutter, die dies nicht für gesund hielt, gab auf dagegen anzukämpfen, nachdem ein Psychiater bescheinigte Schach spielen könne nicht krank machen.

Heutige Experten sehen es anders. So werden in „Zug um Zug in den Wahnsinn“ genügend Beispiele aus der Vergangenheit genannt, in welcher Schachspieler den Bezug zur Realität verloren haben, eben weil sie im Spiel so abstrakt denken müssen und im wirklichen Leben damit manchmal nicht aufhören können. Im Extremfall kann es zu einer bestimmten Form der Schizophrenie kommen. Was es bei Fischer war, wird wohl ziemlich ungelöst bleiben, da er schon vor seiner Erkrankung ein Sonderling war, der auf Vorschriften und Werte geschissen hat.

Nach der Weltmeisterschaft hofften noch viele auf eine Rückkehr. Zu dieser ist es erst ganz spät für ein Altherrenspiel gegen den ehemaligen russischen Gegner gekommen, zu einer Zeit wo beide Genies nur noch Schatten ihrer Selbst waren. Fischer war zwischendurch gläubig geworden, kehrte der ihm zugetanen Sekte jedoch den Rücken nachdem er bemerkte dass alles Schwindel war. Trotz seiner nachweislich jüdischen Herkunft versteifte er sich immer mehr in den Antisemitismus und faselte, wenn er sich mal öffentlich oder vor Freunden äußerte, immer verstärkter von irgendwelchen Verschwörungstheorien, mit denen er sogar sein sonderliches Verhalten einst bei der Ankunft in Island entschuldigte. Die CIA habe damit zu tun. Er würde es ein andermal genauer erklären.

Ihm schwebte immer vor ein Buch zu schreiben, zu dem es nie kam. Freunde kehrten ihm den Rücken. Und als später die Familie starb, hielt gar keiner mehr zu einem Mann, welcher der Welt noch so vieles in seinem Sport hätte zeigen können. Im Film wird der Vergleich zu Picasso gezogen: Stellen sie sich vor er hätte nach 5 Jahren aufgehört zu malen. Welche Kunstwerke wären nie entstanden? So erging es der Schachwelt mit Bobby Fischer, nachdem er nicht mehr öffentlich spielte.

Der deutsche Titel setzt zu verstärkt auf das geistige Abdriften Fischers, was zwar ein sehr reizvolles Thema ist, jedoch nicht zum Zentrum von „Zug um Zug in den Wahnsinn“ wird. Die Regiearbeit der Dokumentarfilmerin Liz Garbus ist ein respektvoller Umgang mit dem Phänomen Bobby Fischer, angereichert mit allerhand Archivmaterial und Informationen von Menschen, die dem Sonderling sehr nahe standen. Es gibt allerhand Interviews, und in Spekulationen verfranst man sich nie, auch wenn man sie hin und wieder streift. Gelegentlich werden Vermutungen geäußert in Bereichen die nicht recherchiert werden konnten.

Der Originaltitel „Bobby Fischer Against the World“ wird dem Dokumentarfilm gerechter als die deutsche Namensgebung, da er bereits in der Rolle des Sonderlings ansetzt und nicht erst bei der geistigen Erkrankung des Weltmeisters. Dennoch ist auch sie ein wichtiger Teil des Phänomens Fischer und wird zu einem erstklassigen Beispiel zum Thema „Genie und Wahnsinn“. Mich würde es nicht wundern, wenn Fischer Pate stand für den Mathematiker aus „Pi“, dem es bezüglich seiner Paranoia ähnlich erging. Die Fähigkeit gegen sich selbst zu spielen ist hingegen ein Bereich, der an das sehr interessante Buch „Die Schachnovelle“ erinnert.

Es ist schön, dass „Zug um Zug in den Wahnsinn“ trotz aller Bewunderung für den im Zentrum stehenden Mann meist sachlich bleibt und Bobby Fischer seine Leistungen anerkennt, wie auch Respekt davor zeigt, dass er nun einmal nicht so leben wollte wie es die Masse als normal empfinden würde. Auch ein Sonderling hat das Recht ein solcher zu sein. Und da der mittlerweile verstorbene Schachweltmeister dank Archivmaterial auch immer wieder durch Interviews zu Wort kommen darf, darf der Zuschauer auch einen glaubwürdigen Blick auf das Phänomen Bobby Fischer werfen. Die guten und die schlechten Seiten, die erfolgreichen und die wunderlichen Phasen, und das ganze mit reichhaltig Informationsmaterial vollgestopft, so muss ein Portrait aussehen! „Zug um Zug in den Wahnsinn“ ist so fesselnd ausgefallen wie die Spiele die den Mann berühmt machten.  OFDb

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