13.08.2023

NINE MEALS FROM CHAOS (2018)

"The Tutor" war ein intelligenter Film, der gekonnt Schwächen der Gesellschaft reflektierte, und ein emanzipiertes Publikum intellektuell geprägt zu verstören und zu verwirren wusste. Zwei Jahre danach (dazwischen entstand der von mir bislang nicht gesichtete Kurzfilm "La Carrera") folgte Iván Noels nächster Langfilm, und der schien nichts von den Eigenschaften zu besitzen, die ich am Vorgänger zu schätzen wusste. Zwar bietet er eine interessante Geschichte, wenn er von einer Gruppe Kindern erzählt, die nach einer Katastrophe, welche die Zivilisation zerstörte, hungrig und auf sich gestellt durch die Gegend ziehen, auf der Suche nach einem Ort, wo es ihnen besser geht. Im Gegensatz zu "Herr der Fliegen" konzentriert er sich nicht auf Machtstreitigkeiten untereinander, die Kinder sind abgesehen von kleinen Zwischenfällen ein Team, müssen gegen kannibalistische und gewaltbereite Erwachsene in dieser Endzeitwelt kämpfen, in welcher die Kinder als Parasiten gelten, anstatt als etwas, das beschützt gehört. Lebensmittel sind knapp, die Werte von einst vergessen, blase Erinnerungen an das gute Leben kommen im Kampf ums Überleben kaum noch auf. 

Was spannend klingt, wird in jeglicher Szene, in welcher es zum Kampf kommt, mit einer Wackeloptik zerstört, die es nicht zulässt etwas zu erkennen. Es ermöglicht Noel die harten Szenen optisch zu umgehen, wahrscheinlich um den jungen Darstellern nicht psychisch zu schaden. Aber das wäre auch anders zu regeln gewesen. Zudem begleitet das eigentlich spanisch gesprochene Szenario ein englischer Off-Kommentar, so als habe man diese Produktion im Ausland mit einem Sprecher ergänzt, der das subtile Treiben zusätzlich für Dümmere noch einmal plump erklärt. Dass vieles von dem was er redet plakativ ist, manchmal am Thema vorbei oder überinterpretiert, vor allem aber pseudo-philosophisch ist, geht jedes Mal auf den Senkel. Das ist schade, denn wenn mit der Zeit dank immer wenig werdender Kämpfe alles optisch gut und interessant zu begleiten ist, und damit eine echte Identifikation mit den Kindern aufkommen kann, gewinnt "Nine Meals from Chaos" seine erzählerischen Stärken, die immer wieder von besagtem Sprecher unterbrochen werden. 

Hinterher ist man immer schlauer, denn wenn man es schafft trotz dieser Negativpunkte, die dem Intellekt des Vorgängerfilms zu widersprechen scheinen, dran zu bleiben, erlebt man gegen Ende eine Wendung, die das meiste von dem was verärgerte, zu einer intelligenten Gesellschaftskritik werden lassen. In dieser Auflösung wird zwar auch das Verwenden der Wackeloptik entschuldigt, aber die ist im Nachhinein nicht wiedergutzumachen, im Gegensatz zu den so plump wirkenden Off-Kommentaren. Dass nicht jedes Szenario glaubwürdig mit dieser herrlich geglückten Auflösung zu erklären ist, reduziert das Niveau des Streifens dennoch in Bezug auf seine Möglichkeiten. Und da dem ein Film voraus ging, der zu großen Teilen nervte, kann man trotz der doch vorhandenen Intelligenz und der treffsicheren Pointe nicht von einem sehenswerten Werk sprechen - nicht in der ersten Sichtung. Eine zweite wird hingegen weit angenehmer ausfallen, so dass man die Gesellschaftssatire dort in vollen Zügen eingeweiht genießen kann. In seiner Kritik deutlich an "Nackt und zerfleischt" erinnernd, bietet uns der Schluss nach dieser Auflösung noch eine besonders bitterböse Zusatzpointe, welche den Menschen hinter der Aktion, der wir unbewusst beiwohnten, noch verachtenswerter macht, als ohnehin schon. 

Also! Bleibt tapfer bis zum Schluss dran, dann lohnt sich dieses Endzeit(aber trotzdem nicht Science Fiction)-Drama. Mit dem Vorwissen meiner Worte ahnt man jedoch woher der Hase läuft und kann den Schluss erahnen. Das hat den Nachteil als geduldiger Zuschauer, der es bis zum Schluss schaffte, nicht mehr derart von der Wendung überrumpelt zu werden. Es hat aber zumindest den Vorteil den Hauptteil des Streifens genießen zu können, ein Zustand der den Unwissenden hingegen erst, wie erwähnt, beim zweiten Sichten bevorsteht - vorausgesetzt man kann mit nüchtern dargebotenen, erwachsenen Stoffen, die einen selbst entdecken lassen und die trostlos, monoton und dialogarm ausgefallen sind, etwas anfangen.  OFDb

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