13.10.2012

CARGO (2010)

Eine Schnecke erwacht am Morgen im Grünen und macht sich auf den Weg...

Schnecke Katy in der großen Stadt...
 
Cargo ist englisch und steht für Frachtgut. Das passt zur Schnecke, die ihr Leben lang ihr Haus als Fracht mit schleppen muss, auf ihrem müßig langsamen Gang über unseren Planeten. Dass es längst nicht mehr unser Planet im Sinne aller Lebewesen ist, sondern jener der Menschen, mag eine bildlich versteckte Aussage sein. Hinter dem Kniff Stiebers, uns die Mühe der Schnecke zunächst in der Natur zu zeigen, erst mit Perspektivwechsel die Wahrheit zu verkünden, dass der Lebensraum der Schnecke lediglich eine Grünfläche in der Stadt ist, um das Tier Richtung Ende komplett in der Stadt aktiv sein zu lassen, steht jedoch für mehr.

Strahlt der Weg der Schnecke zu Anfang im Grünen noch Ruhe und Einklang aus, so arbeitet Stieber in den Stadtszenen mit Zeitrafferaufnahmen. Das Bewusstsein einer Schnecke und ihr Lebensstil sind langsamer als das hektische Treiben der Menschen. War der Hintergrund in den Naturaufnahmen noch ruhig und somit im Einklang mit dem Tier, so ist das hektische Grau unserer Gattung ein Widerspruch zur Welt der Schnecke. Aber selbst die Szene in der Stadt hinterlässt den Eindruck, dass unser Treiben dem vor sich hinwandernden Tier ziemlich schnuppe ist, mehr noch, es nimmt das Alltagsleben nicht wahr. Es ist nur eine Schnecke, ob das was besseres oder schlechteres ist als der Mensch sollen Philosophen beantworten.

Dass Stieber die Schnecke nicht nur der Langsamkeit wegen wählt (immerhin leistet das Tier in der kurzen Zeit ungerecht betrachtet weniger als der flinke Mensch, gerecht betrachtet mehr als er) verrät er uns bereits in der Einganssequenz, in welcher man das Spiralen-Muster des Schneckenhäuschens in einem langsamen Zoom beobachten darf. Schon der sehr geniale „Pi“ arbeitete viel mit dem Spiralmuster, das es häufig in der Natur zu sichten gibt, und sei es nur für uns unsichtbar im Körper als DNA-Strang. Eine solche Spirale scheint endlos. Sie wiederholt sich und dreht sich gewissermaßen im Kreis. So wie der Alltag der Schnecke, der an jedem x-beliebigem anderen Tag nicht sonderlich anders ausgefallen wäre.

Ob der Regisseur uns mit diesem Film nun das Leben des Tieres zwischen Aufstehen und schlafen legen zeigt oder provokativer und sinnbildlich das Leben zwischen Geburt und Tod, wird nicht ganz deutlich. Zu vermuten wäre letzterer Gedanke, ist es doch sicherlich kein Zufall dass das Erwachen im Grünen beginnt, das Ende jedoch in der grauen Stadt stattfindet.

Wie auch immer, das Leben ist ein ständiges Wiederholen, dem Menschen fast genau so unbewusst wie der Schnecke. In seinem hektischen Treiben vergisst es selbst der Mensch und wirkt neben dem Alltag des Tieres lächerlicher. Was halst er sich da unsinnigerweise alles auf, wenn es doch nur um fressen und gefressen werden und um leben und sterben geht. Alles ist Wiederholung, im eigenen Leben, im Leben der von uns in die Welt gesetzten Nachfahren, im Leben einer jeden Kreatur, bis hin zum Baum.
 
So steht die Schnecke für vieles und hätte nicht simpel durch ein anderes Tier ersetzt werden können. Der Film wäre nicht der selbe, und er wäre es auch nicht mit anderer Musikuntermalung. Stieber wählte ein ruhiges Lied von Beethoven aus, das sicherlich nicht zufällig eine monotone bzw. wiederholende Melodie beinhaltet (so wie das Leben der Schnecke und das Muster auf ihrem Haus), freilich ohne zu langweilen. Ganz im Gegenteil, das Lied macht die Hälfte der Wirkung des gesamten Kurzfilmes aus. Eine Tatsache welcher sich der Regisseur sichtlich bewusst war, ist die Erwähnung des Titels und Komponisten im kurzen Abspann doch die einzige Nennung neben seiner eigenen.

Was von Stieber bewusst gewollt war oder vielleicht auch intuitiv eingebracht wurde, wo er zustimmen würde oder mich beim überinterpretieren erwischt, so oder so ist ihm ein interessantes und besinnliches Stück Film gelungen, das zeigt dass er auch anders kann. An sich eher auf Humor und Zitierfreudigkeit abonniert wie in „Nesn Nose“, „Checkmate“ oder „Splatterer“, zeigt er sich hier von seiner sensiblen Seite, eine Seite die ihm nicht peinlich sein muss und höchst wahrscheinlich auch nicht ist.

Denn hinter den Albernheiten der anderen Werke steckte neben dem eigentlichen Können, dem Talent, immer auch eine gewisse Reife, ohne die das dort angewendete Humorverständnis nicht möglich wäre, so unreif sich die Produkte für manch einen auch schauen lassen. Bei „Cargo“ muss nun auch der letzte Spötter zugeben, dass mehr hinter seinem Können steckt als lustig sein, pubertär herumzualbern, Filme zu verarschen und mit Spezialeffekten um sich zu werfen.

Dabei ist der dramatische „Cargo“ ebenso Special Effect-Movie wie „Checkmate“. Schön allerdings, dass Stieber nicht erneut auf typische Computer-Tricksereien setzt, sondern auf Knetgummi-Animation, die einen schönen Mittelweg zwischen flüssigem Ablauf und ruppigen Bewegungen setzt. Die Schnecke ist im Nachhinein mit Bildbearbeitung in die Umgebung eingesetzt, in welcher sie tätig ist.

Zwar wie Knete aussehend, versucht der Regisseur das Tier in seinen Bewegungen jedoch so natürlich wie möglich wirken zu lassen. Das ist ihm gelungen. Wie erwähnt gibt es als zusätzlichen Effekt den Zeitraffer, der sicherlich 1/3 des Films rein von der Laufzeit in der er vorhanden ist, ausmachen dürfte.

„Cargo“ ist ein schöner Film geworden, ein kurzer Streifen der den Zuschauer selbst entdecken lässt, was es zu entdecken gibt. Eine Aussage wird nicht direkt getroffen. Mag sein dass wer anders das Werk anders interpretiert als ich. Allerdings sind meiner Meinung nach die gesetzten Muster in ihren unterschiedlichen Bereichen sehr deutlich vertreten und sicherlich kein Zufall.

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