03.12.2016

SCHREI, WENN DER TINGLER KOMMT (1959)

Obwohl er der alten Gattung Film inhaltlich kaum ferner sein könnte, versteht sich William Castles „The Tingler“ (Originaltitel) als Hommage an den Stummfilm, lässt er Nebenfiguren des Streifens doch nicht nur ein Kino besitzen, in welchem lediglich stumme Filme laufen, der Streifen selbst bekommt Szenen geschenkt, die nah am Stil vergangener Zeiten orientiert sind. Wenn einer taubstummen Frau in der wohl besten Szene des Filmes Angst eingejagt werden soll, dann agiert besagte Frau wie einst die Schauspieler der vergangenen Kinodekade, und das Schwarz/Weiß des Streifens, zu das man sich trotz der Farbfilmzeit entschied, weiß mehr denn je zu wirken.

So herrlich unsinnig die Thematik des Filmes ist, und so sehr das titelgebende Monster zum Schmunzeln animiert, egal wie sehr man dem Film eine ehrliche Chance geben will, William Castle schafft es tatsächlich trotz des naiven Retrocharmes des öfteren einen wirksamen Spannungsbogen aufzubauen. Und diesen verdankt „Schrei, wenn der Tingler kommt“ eben nicht dem so gar nicht angsteinflößendem Monster, sondern jenen Szenen, in welchen die Angst vordergründig thematisiert wird. Wenn der Arzt in seinem Wahn nach der Einnahme eines Halluzinogen glaubt die Wände des Raumes würden ihn erdrücken, während wir das ganze Szenario aus dem realistischen Blickwinkel heraus betrachten, dann sorgt allein die Vorstellung des Protagonisten zusammen mit dem exzellenten Mimenspiel Vincent Prices für wohliges Unbehagen jenseits des verspielten Charmes, von dem der restliche Großteil des Filmes lebt.

Eindringlicher spürt man diesen Spannungsmoment in besagter Angstszene um die taubstumme Frau, die einen geradezu zu fesseln weiß. Diese Szene funktioniert auf verschiedenen Ebenen zugleich. Der Zuschauer kann sich mit dem Opfer identifizieren, ihr Angstgefühl überträgt sich im herabgeschraubten Sinne auf das Publikum, und stilistisch weiß der Aufbau des Stummfilmszenarios zu gefallen, der mit dem überraschenden Einzug von Farbe einen beabsichtigten Bruch erhält und die Spannungsschraube mit diesem Gimmick tatsächlich zu erhöhen weiß. Selten vertrugen sich die Gegensätze des verspielten Schundes und des wirksamen Horrors so harmonisch wie in dieser liebevoll gestalteten Szene, die zudem als Paradebeispiel dessen dient, dass man bei Castles Werk mit allem rechnen muss. Selbst die Schuldzuweisungen, die einem während des Sichtens dieser Sequenz durch den Kopf geht, wird sich noch als trügerisch herausstellen.

Zugegeben, dieser überraschend wirksamen Horrormomente gibt es wenige im hier besprochenen Film, aber dass sie in einem eher wegen des Retrocharmes heutzutage so interessantem Streifen überhaupt enthalten sind, ist schon eine kleine Überraschung für sich, die das schmackhafte grundlegende naive Programm, wegendessen man überhaupt zugegriffen hat, erst zum kulinarischen Hochgenuss werden lässt. „Schrei, wenn der Tingler kommt“ steht ziemlich für sich allein, ist im Gegensatz zu „Die Fliege“, der ebenfalls wirksamen Horror mit naivem Nonsens vereinte, in seinem Mix dieser beiden Einflüsse zu unausgegoren ausgefallen, da sich belustigender Retrocharme und wirksame Horrorsequenzen meist abwechseln anstatt dauerhaft insgesamt zu harmonieren, so wie es im Vergleichsfilm der Fall ist. Castles Werk verkommt dabei jedoch nie zur Witzfigur seines Genres, auch in den Monsterszenen nicht, da der Streifen nie zu billig und reißerisch daher kommt. Ein gewisses Niveau wird immer beibehalten. Und dass man weiß, dass man eigentlich gerade ziemlichen Unsinn erzählt, ist den Verantwortlichen des Tinglers stets bewusst.

Dennoch richtet sich Castle an den besonders naiven Part des Publikums zu Beginn des Streifens. Er warnt es, so als würde man mit dem bevorstehenden Film wahres Grauen erleben. Castle geht hierbei jedoch weiter als ein Hitchcock, der mit selbigen Methoden die Werbetrommel mancher seiner Filme zu rühren wusste. Richtung Finale unterbricht der Horrorregisseur parallel zu den Geschehnissen im Film das zu sehende Werk, lässt uns lediglich auf einen dunklen Bildschirm starren, während er dem Publikum Verhaltensregeln zum Schutz gegen den Tingler in uns gibt. Da diese Unterbrechungen während jener Szene eingebracht werden, in welcher der Tingler in einem Kino wütet, wird mit diesen Zwischensequenzen stets kurzfristig der Eindruck eines Metabebenen-durchbrechenden Stilmittels suggeriert, obwohl die beiden Ebenen Film und Unterbrechung eigentlich sauber getrennt sind.

Wie bereits erwähnt, im höchst charmanten „Schrei, wenn der Tingler kommt“ muss man immer wieder mit Überraschungen rechnen. Dies zeigt sich auch in der Schlusssequenz, die zu den Höhepunkten des Streifens zählt und uns eigentlich einen Moment präsentiert, der einer Fortsetzung eigenständige Möglichkeiten bieten würde, ohne Teil 1 lediglich zu wiederholen. Leider ist es zu einer solchen Fortsetzung nie gekommen, was schade ist, gilt „The Tingler“ heutzutage doch als Geheimtipp unter Monsterfilm-Fans und ist damit längst zum Kultfilm geworden, dessen Geschichte man als Freund des nostalgischen Kinos gerne weitererzählt bekommen hätte.  OFDb

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen