1942 findet ein Treffen führender Nazis statt, um die Endlösung mit
allen betroffenen Ministerien und Organisationen zu organisieren...
Ganz rational...
Ganz rational...
Bislang kannte ich nur die britisch-amerikanische Version der „Wannseekonferenz“ aus dem Jahr 2001, der wie die hier besprochene Erstverfilmung auf original Dokumenten beruht und von einer erschreckend nüchternen Diskussion eines kaum fassbaren Verbrechens erzählt. Das rationale Diskutieren über ein solch irrationales Thema war der Grund der Faszination meinerseits für diesen Film. Da störten mich in erster Linie auch nicht manche Klischees, die sich bei der Nazi-Thematik in britischen wie auch US-Produktionen wohl nie vermeiden lassen. Sie störten mich nicht, aber der Gedanke dass ein deutsches Original existierte, welches zudem noch aus einer viel interessanteren Filmdekade stammt, weckte Hoffnung in mir, dass man das Thema einst sicherlich realitätsorientierter umsetzte.
So war es auch, keine Frage und mit Sicherheit auch keine Überraschung, aber was das Sichten der 1984er Version von „Die Wannseekonferenz“ hervorbrachte warf einen noch viel dunkleren Schatten auf das Remake, ist die Thematik doch nur bedingt übereinstimmend. Während in der 2001-Version die Gäste geladen werden um der Endlösung zuzustimmen, ist sie im Original bereits im Bewusstsein aller Beteiligten der Konferenz. Auf welchem Weg die Tötung stattfinden soll, ein zentrales Thema der Neuverfilmung, wird hier nur am Rande erwähnt und dies erst gegen Ende.
Die Pluspunkte des Remakes wurden zu Pluspunkten eines Spielfilms anstatt die einer authentischen Wiedergabe. Ihre Pluspunkte, die leider nur noch unterhaltungstechnischer Natur sind, sind im Original von Regisseur Heinz Schirk nicht enthalten. Dessen Version wirkt noch theoretischer als die der berühmteren Auslandsversion, denn nun sitzen hier allerhand ranghohe Nazis, die lediglich das Wie der ganzen Sache klären. Hier geht es nicht mehr um überrumpelte Mitglieder der Sache, die einer radikalen Idee zustimmen müssen, selbst wenn sie dies trotz ihrer Ideologie nicht wollten. Ein Gewissen findet hier keinen Platz. Das macht den Film um so kühler und schockierender - für Freunde heutiger Kinokultur allerdings auch langweiliger.
Sollen diese nach reißerischem Material gierenden Cineastengeier doch klagen. In „Die Wannseekonferenz“ geht es um so viel mehr. Der Film zeigt auf wie die Realität einer bestimmten Zeit und/oder Gruppe zu einer völlig verzerrten Wahrnehmung einer anderen Zeit wird. Hier diskutieren Nazis rational über ein Thema an das man heute nicht mehr glaubt. Kühl werden wirtschaftliche, kriegsorganisatorische und andere Bereiche über das Lebensrecht von Menschen gestellt. Es gibt Übermenschen und Untermenschen, und das steht 1942 in einem Raum voller Nazis (logischer Weise) gar nicht zur Diskussion.
Und da sitzen sie nun alle um den Tisch herum, sind sich lediglich nicht einig beim Thema Mischlinge und sticheln die Minderheit, welche im Rasselehre-Wahn aus ihrer Sicht sachlich dagegen argumentiert, das deutsche Blut sei stärker als das des Juden, und deswegen könne man Misch-Ehen gutheißen. Ein Kompromiss nach längerem Schlagabtausch soll schließlich die Sterilisierung sein. Dass am Tisch nicht nur halb gebildete Karrieristen sitzen, sondern auch kluge Köpfe, verstört umso mehr. Zwar wird in „Die Wannseekonferenz“ grob gesehen nichts erzählt was man nicht schon wüsste, aber Theorie ist nun einmal etwas anderes als das (zugegebener Maßen passive vor dem Fernseher sitzende) Dabeisein einer solchen Runde.
Am Beispiel „Wannseekonferenz“ sollte man nicht nur sein Mitgefühl auffrischen und sich nicht nur über Geschichte re-informieren, es ist auch ein Lehrstück dessen über welch kranke Dinge man sachlich klingend reden kann, und dass wir die Augen auch im Jetzt offen halten müssen. Denn Verbrechen, gerade politische, finden immer wieder vor unseren Augen statt. Und nur weil diese sachlich diskutiert und menschlich vorgetragen werden, müssen sie noch lange nicht legitim oder gar sinnvoll sein. Schirks Film ist diesbezüglich konsequent, zeigt er uns die Nazis doch als Menschen und nicht wie das Remake als Monster. Er lässt sie lachen, flirten, sticheln, tierlieb sein, Schwächen besitzen, Gefühle besitzen, usw.
Das gibt dem Film Authentizität, die wiederum durch die Art der Diskussion unterstrichen wird. Einzelne Ämter tauschen sich zum Thema Endlösung aus. Was muss bedacht werden, wer ist für was zuständig, wie muss organisiert werden, haut der wirtschaftliche Aspekt hin, ...? Ginge es hier um ein alltägliches Thema könnte man zu Recht von Langeweile sprechen. Aber „Die Wannseekonferenz“ braucht keinen zusätzlichen Auslöser um der Geschichte genügend Zunder zu geben. Das unmenschliche Verbrechen, dem diese komplette Diskussion zu Grunde liegt, gibt dem nüchternen Debattieren eine Dynamik mit solch erschreckendem Ergebnis, von dem man sich aus dem Blickwinkel der verwöhnt luxuriösen und kriegsfreien Alltagswelt unserer Tage erst einmal erholen muss. OFDb
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