29.09.2012

VERGISS MEIN NICHT (2004)

Die Beziehung zwischen Joel und Clementine ist beendet. Joel muss frustriert feststellen, dass Clementine sich mit einem neuen operativen Verfahren alle Erinnerungen an ihn hat löschen lassen. Auch Joel lässt sich auf besagte Operation ein, doch während der Prozedur merkt er, dass es schön wäre, wenn seine Liebste doch nicht ganz vergessen wird. Im Schlaf liegend versucht der gute Mann die Clementine in seinem Kopf vor der Löschung zu retten...

Betäubt anstatt geheilt...
 
„Vergiss mein nicht!“ ist in vielerlei Hinsicht ein Ausnahmefilm. Das beginnt damit, dass er ein Science Fiction ist, der in der Gegenwart spielt. Dieses Genre sieht man ihm zunächst gar nicht an. Es dauert, bis es sich herauskristallisiert, und selbst dann setzt der tragikomisch konzipierte Film seinen Hauptschwerpunkt auf Romantik, eine Seltenheit im Science Fiction-Bereich.

Manch einem mag dieses Rezept auf dem Papier nicht schmecken, jedoch schafft es Regisseur Michael Gondry die Romantik niemals kitschig erscheinen zu lassen. Sie ist nur Beiwerk eines  lebensbejahenden Filmes, was wiederum auch eine seltene Eigenschaft eines Werkes dieses Genres ist, erst recht wenn man bedenkt, dass die Grund-Thematik deutlich gesellschaftskritisch geprägt ist.

Es ist besser unglücklich geliebt anstatt nie geliebt zu haben. Dies ist ein berühmter Satz, und er könnte Grundlage gewesen sein, ist eine Kernaussage des Films doch die, dass Erinnerungen, auch jene schmerzhafter Natur, wichtig für uns Menschen sind. Wenn der Schmerz vergeht bleibt vieles Gutes in Erinnerung. Aber auch der Heilungsprozess kann nur mit Hilfe von Erinnerung stattfinden. Diese Theorie des Filmes findet sich zumindest zwischen den Zeilen, wenn man als Zuschauer resümieren darf, dass niemanden nach der Operation geholfen war.

Leer laufen die Geheilten durch ihren Alltag. Irgendetwas bedrückt sie, aber sie wissen nicht was. Das Problem ist aus ihrer Erinnerung gelöscht. Wie will man über etwas hinwegkommen, was einem nur noch unterbewusst quält? Nicht zu vergessen der Aspekt, dass man ohne sich an seine Fehler zu erinnern auch nicht aus ihnen lernen kann. Dieser Bereich blitzt gar auf positive Art auf, wenn man beobachten darf, wie sich die Liebenden instinktiv nacheinander sehnen, und da reden wir nicht nur von den von Jim Carrey und Kate Winslet verkörperten Hauptfiguren.

An der Besetzung gibt es nichts zu meckern. Es fällt etwas auf, dass Kirsten Dunst eher mit gutem Aussehen anstatt mit Schauspieltalent glänzt. Aber ihre Rolle ist relativ klein und auch so angelegt, dass ihre Defizite nicht auffallen. Letztendlich muss sie ohnehin das naive, gedankenlose Ding spielen, welches sie wohl auch privat nach Pressemeldungen zu sein scheint.

Ansonsten sind nur Profis am Werk. In einer kleinen Rolle erleben wir den einstigen Kinderstar Elijah Wood, der mittlerweile seit „Herr der Ringe“ auch der Masse etwas sagt, und er agiert einmal völlig anders. Kate Winslet beweist auf ein neues, dass sie sich nicht nur äußerlich sondern auch durch ihr Talent von anderen erfolgreichen Frauen Hollywoods unterscheidet. Passend zum Gesamteindruck des Films spielt sie glaubhaft realistisch, geradezu natürlich. Jim Carrey hat für Kalauer nur wenig Szenen und beweist mal wieder wie viel in ihm steckt, so dass sich „Vergiss mein nicht!“ sorglos in die Schlange seiner besten ernsteren Werke wie „Truman Show“ und noch mehr „Der Mondmann“ einreihen kann.

Regisseur Michael Gondry, der es in seinem Vorgängerfilm „Human Nature“ noch nicht schaffte sehr phantastische Ideen, Satire, Kritik und auch Groteske kompromisslos unterhaltsam umzusetzen, schafft mit „Vergiss mein nicht!“, einem nicht weniger inhaltlich außergewöhnlichen Film, ein Vorzeigewerk zu kreieren, von dem viele Filmschaffende lernen können. Umso enttäuschender ist, was er später mit „Abgedreht“ abgeliefert hat, spielte doch auch dieser Film mit einer interessanten Idee, wenn auch nicht mit der Klasse und Vielschichtigkeit von „Human Nature“ und dem hier besprochenen Film.

An beiden Werken war Charlie Kaufman als Drehbuchautor und Ideengeber beteiligt, jenem Mann, der die Cineasten schon 1999 mit seinen ungewöhnlichen und fast filmuntypischen Ideen in „Being John Malkovich“ überraschte. Dieser eigentlich recht gute Film hatte jedoch noch Ecken und Kanten, an denen geschliffen werden mussten, vielleicht weil die Figuren dort so grotesk erschienen wie die Erlebnisse selbst. Mag sein dass ich „Vergiss mein nicht!“ auch deshalb als einen Schritt nach vorne verstehe. Denn trotz der irrsinnigen Idee, auf welcher Gondrys Film aufbaut, sind seine Figuren doch alle griffig, und ideal als Identifikationsfiguren geeignet.

Es sind Außenseiter und Normalos zugleich. Und ihre Probleme, Wünsche, ihre Gesprächsthemen und ihren Alltag kann man alles nachvollziehen. Parallelen zum Publikum sind genügend vorhanden. Und gerade dieser Aspekt beweist die sensible und feinfühlige Ader des Streifens. Sie zeigt sich ebenso im Verzicht jeglichen Klischees. Es zeigt sich in der wohligen Dosierung von Spannung, Dramatik und Humor, ohne je in eine Extreme zu rutschen. Gerade der reißerische Bereich findet keinerlei Niesche. Aber die Menschlichkeit, welche die Seele des Zuschauers wiederspiegelt, bleibt eine Rezeptur die nicht von irgendwem kopiert werden kann. Alltägliches, vielleicht auch Selbstverständliches, natürlich zu greifen beherrscht man als Geschichtenerzähler entweder oder eben (noch) nicht.

Nur an wenigen Stellen zeigen sich Schwächen. Am deutlichsten in einer Szene, die in einer Kindheitserinnerung von Joel spielt. Hier hätte der Film in falschen Händen schnell in eine alberne Komödie abrutschen können. Gondry verliert sich glücklicherweise lediglich für einen kurzen Augenblick in diese Richtung, fasst aber schnell genug wieder Fuß. Es scheint an Regie, Jim Carrey und vielleicht auch dessen deutsche Synchronstimme zu liegen, dass diese Szene etwas albern wirkt. Denn rein vom Dialog ist der Text nah am Denken und Sprechen eines Vierjährigen orientiert.

Nicht nur hier erkennt man das Verständnis der menschlichen Psyche. Auch jene Kindheitserinnerung, welche Joel glaubt überwunden zu haben, weist psychologische Raffinesse auf. So erwachsen und weiterentwickelt man sich auch fühlt, die Dämonen der Vergangenheit wissen einen noch immer zu beeinflussen, so gezeigt in einer Szene, in welcher Joel beschließt sich nicht mehr von seinem ehemaligen Peiniger erniedrigen zu lassen, um sogleich in das alte Muster zurückzufallen.

Für einen Science Fiction fast schon untypisch ist auch die eher unauffällige Verwendung von Spezialeffekten. Ohnehin scheinen sie relativ selten verwendet zu werden. Simple Kniffe wie das plötzliche Ausblenden von Passanten wissen als Verdeutlichung des Löschvorgangs ebenso emotional zu funktionieren, wie der noch simplere Kniff Clementine auf dem Eis ins dunkle Schwarz zu ziehen. Erstaunlich dass dieser besonders banale Effekt mit am besten zu schockieren weiß.

Bei all den positiven Worten über ein Werk, das sich in vielerlei Hinsicht, gerade auf sein Entstehungsland betrachtet, mit dem etwas abgenutzten Begriff Ausnahmefilm kleiden darf, bleibt doch am erstaunlichsten die Glaubwürdigkeit dieser Erzählung zurück. Gondry und Kaufman passieren keine Schnitzer. Die skurrile Grundidee ist glaubwürdig umgesetzt und lässt auch im Bereich der Logik nichts zu wünschen übrig. Der Grund warum Joel sich seines Zustandes und aktueller Geschehnisse bewusst ist, wird ebenso aufgearbeitet, wie der Aspekt warum Joel und Charlotte aufgrund einer Abmachung im realen Leben aufeinander treffen, obwohl die Verabredung lediglich in Joels Kopf getroffen wurde. In solchen Punkten orientiert sich der Film jedoch an ein aufmerksames Publikum, denn die Begründungen dahinter werden einem anhand simpel scheinender Nebensächlichkeiten präsentiert, so dass einem der Sinn mancher Geschehnisse nicht auf dem silbernen Tablett serviert wird.

„Vergiss mein nicht!“ ist eine Geschichte, die es all jenen noch einmal zeigt, die jammern es hätte schon alles gegeben und man könnte nur noch kopieren und variieren. Kaufmans Idee ist das wofür Kino gemacht wurde, auch wenn man sich vor Sichtung kaum vorstellen kann, wie eine solche Geschichte mit dem Medium Film überhaupt einzufangen ist. Gondrys Werk ist sensibel, witzig, spannend und dramatisch. Er ist tiefsinnig, poetisch, philosophisch und lebensnah. Er ist lebensbejahend und überrascht damit Stellung zu beziehen. Wer vom gängigen Popkornkino-Rezept noch nicht abgestumpft ist, wird sich freuen einen Film zu erleben, der nicht nur auf der Unterhaltungsebene prima, da relativ manipulationsfrei funktioniert, sondern einen emotional sanft an die Hand nimmt und bereichert.  OFDb

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