16.12.2012

IN DEN SCHUHEN MEINER SCHWESTER (2005)

Schon vor dem Tod ihrer Mutter waren die beiden Schwestern Rose und Maggie unzertrennlich. Im Erwachsenenalter angekommen besteht diese Zusammengehörigkeit jedoch nur noch in der Rolle von Rose die verantwortungslose jüngere Schwester aus jedem Schlamassel zu holen. Gedankt wird es ihr von Maggie mit Diebstahl des Geldes und dem Beischlaf mit Roses neuem Freund. Das bedeutet für die Schwesternfreundschaft den Schluss-Strich. Rose wirft Maggie, die sich gerade in der Wohnung ihrer Schwester breit gemacht hat, aus eben dieser heraus und beginnt ihr Leben neu zu sortieren. Maggie schnorrt sich derweilen bei ihrer Großmutter Ella durch, von deren Existenz sie erst kürzlich erfuhr. Ella riecht den Braten und verhilft ihrer Enkelin zu einem Reifeprozess, der längst überfällig war...

Über sich hinauswachsen und doch noch in die Schuhe passen...
 
Wie der Name des Genres schon sagt beherbergt eine Tragikomödie sowohl humoristische als auch dramatische Elemente. Bei letzteren ist es in amerikanischen Filmen häufig der Fall, dass das Drama nicht lebensnah sondern verträumt erzählt wird, was letztendlich zum Kopf ausschalten führt, bei wachem Verstand jedoch häufig zu einem Desaster wird in den Punkten Glaubwürdigkeit und Logik.

„In den Schuhen meiner Schwester“ ist erfrischend anders. Zwar kann sich der Film auch nicht davon frei sprechen den Zuschauer zum Träumen zu verführen, dies ist aber letztendlich die Aufgabe eines Märchens, und genau dies ist der hier besprochene Film, und das will er auch sein. Immerhin sind märchentypische Bereiche deutlich zu erkennen. Wir haben da die böse Stiefmutter, den holden Prinzen, welcher der Glücklosen hilft, eine bevorzugte leibliche Tochter der bösen Stiefmutter, und geht man tiefer erkennt man auch noch Elemente aus speziellen Märchen wie „Frau Holle“, „Das hässliche Entlein“ und in Geschichte so wie Titel selbst „Aschenputtel“.

Der Name „In den Schuhen meiner Schwester“ soll jedoch nicht nur Pate für den märchenhaften Stil sein, in ihm spiegeln sich die Haupteckpfeiler der Geschichte wieder. Der Titel ist symbolisch gemeint, denn Maggie lebt in den Schuhen ihrer Schwester. Sie verlässt sich immer drauf, dass ihre Beschützerin sie rettet und nimmt die Gutherzige gnadenlos aus. Als es zur Trennung kommt nähern sich beide Frauen den Schuhen ihrer Schwester. Ihr Lebensstil gleicht sich dem des jeweiligen anderen an. Rose lernt die Liebe kennen und findet Gefallen an einem alternativen Lebensstil, den sie in ihrem Tunnelblick von einst fälschlicher Weise als verantwortungslos gesehen hätte. Maggie lernt auf eigenen Füßen zu stehen, Verantwortung zu übernehmen und die Schuld nicht immer bei allen anderen Menschen zu suchen.

Was den Film von Regisseur Curtis Hanson so angenehm macht, ist der richtige Mix aus verträumten Märchen und Realitätsnähe. Um eine glaubhafte Geschichte zu erzählen gibt es wohl kaum eine schwere Aufgabe zu bewältigen, und kritisch muss man erwähnen, dass auch Hanson nicht jederzeit glaubhaft bleibt. Wenn Maggie lesen lernt ist der Weg wie sie dorthin geschuppst wird nicht kompatibel mit der Art des Charakters, der uns zuvor vorgesetzt wird. Hier gibt sich „In den Schuhen meiner Schwester“ meiner Meinung nach zu blauäugig. Auch das Altern wird mir eine Spur zu verzuckert präsentiert, auch wenn sichtlich versucht wird, sich an den Gefühlen und Gedanken alter Menschen zu orientieren.

Ein Störfaktor ist das alles nicht, der Film guckt sich wunderbar. Diese kleinen Mankos sind lediglich die Antwort auf die Frage, durch was das gute Ergebnis hätte noch mehr aufgewertet werden können.

Immerhin gibt es dafür in der schlichten Geschichte nichts zu meckern. Zunächst scheint die Story fast ein Nichts zu sein, das lediglich durch die verschiedenen Personen zusammengehalten wird. Es entwickelt sich jedoch sehr sensibel und zurückhaltend eine echte Geschichte mit roten Faden, die zu einem erzähltechnischen Ende führt. Und neben all der Dinge, die dem Zuschauer deutlich nahe gebracht werden, gibt es auch einige versteckte Pluspunkte im Drehbuch, die der Betrachter selbst entdecken muss.

Oft sind dies psychologische Feinheiten, wie der gedankliche Kniff, dass es für die Weiterentwicklung der beiden Hauptfiguren zur Trennung kommen muss. Beide Schwestern hinderten sich am charakterlichen Fortkommen. Während die verantwortungslose Maggie Rose unbewusst dazu zwingt in eine biedere Aufpasserrolle zu schlüpfen, hindert Rose Maggie am Weiterkommen, da sie in ihrer psychologisch uncleveren Art Maggie nicht motiviert sondern zum bocken bringt. Kaum haben die Damen keinen Kontakt mehr, können sie sich auch beide weiterentwickeln und von da an wieder gemeinsam durchs Leben gehen.

Aber auch hier sei wieder einmal die Blauäugigkeit erwähnt, die weiter geht als jedes Märchen tragen könnte. Ist so etwas schwerwiegendes wie der Beischlaf mit dem Freund der Schwester wirklich mal eben so zu verzeihen? So sehr, dass nach der Hochzeit sogar in Anlehnung an dieses bittere Erlebnis gefrotzelt werden kann? Wie man an Beispielen wie diesen sieht fehlt es auch dem Film an mancher Stelle noch an Reife. Wie das Beispiel ebenso zeigt, liegen diese Defizite jedoch nicht in den Haupteckpfeilern sondern eher in schlichten Randerscheinungen.

Schauspielerisch macht jeder Teilnehmer seine Sache gut. Besonders hervorzuheben ist Shirley MacLaine, die ihrer Rolle auf verschiedensten Ebenen Leben einzuhauchen weiß. Ihre Rolle umgeht jedes Klischee und jedes Schablonendenken. Das kann man von den anderen Charakteren nicht behaupten, ist aber nun einmal auch das Wiedererkennungsmerkmal eines jeden Märchens.

Regisseur Curtis Hanson beweist wieder einmal, dass er in seinen Beruf hineingehört. Ich kenne nicht all zu viele Filme von ihm, finde es bei den wenigen die ich sah jedoch hervorragend, dass er immer ein großes Ergebnis erzielte, obwohl er nie auf ein wiederholendes Rezept oder ein Stamm-Genre zurückgreift. „L.A. Confidential“ und „Wonder Boys“ sind beides ebenfalls so großartige Filme, dass es echt nicht wundert, dass der Herr für seine Werke stets viel Prominenz an Land ziehen kann. Um so erstaunlicher, da seine Filme meist in den fast unsichtbaren, stillen Bereichen ihre größte Qualität besitzen.  OFDb

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