Mogli gefällt es im Menschendorf eigentlich recht gut, aber in seinem
Inneren ruft der Dschungel. Eines Tages folgt Mogli dem Bär Balu, der
sich ins Dorf geschlichen hat, zurück in den Urwald. Zwei Kinder folgen
ihrem Freund, da sie denken Mogli würde sich in Gefahr befinden. Das ist
auch gar nicht so verkehrt, denn der Tiger Shirkan sinnt auf Rache...
Aus dem Dschungel in den Dschungel...
Die Walt Disney Studios haben schon lange den finanziellen Reiz von Fortsetzungen großer Disneywerke und solcher die es gerne wären entdeckt. Meist kommen sie direkt auf Video heraus, Ausnahmen wie „Bernard und Bianca im Känguruland“ und „Peter Pan 2“ bekommen gar ihre Chance im Kino. Auch das Sequel zum sehr beliebten „Das Dschungelbuch“ (in Deutschland angeblich der beliebteste Trickfilm überhaupt) erlebte seinen Einstieg auf der großen Leinwand. Ich habe „Peter Pan 2“ nicht gesehen, aber im Hinblick auf den zweiten Teil von „Bernard und Bianca“ ist ein Unterschied sofort erkennbar: „Das Dschungelbuch 2“ hat keine erzählenswerte Geschichte.
Auch das zweite Abenteuer um zwei Mäusedetektive klaute einiges beim Vorgänger und erzählte eine ähnliche Geschichte. Aber er erzählte sie auf andere Art und präsentierte viele neue Figuren. „Das Dschungelbuch 2“ erzählt hingegen von Moglis Rückkehr in den Dschungel und wie er von seinen Menschenfreunden zurück ins Dorf geholt wird. Dazwischen findet lediglich Wiederholung bzw. ein Best Of des ersten Teiles statt, leider derart verkrampft, dass die Chemie missglückt.
Das liegt aber auch an der unterschiedlichen Zeit, die hier vereint wird. 1967 waren Charaktere und Geschichten noch das wichtigste. 2003 befand man sich schon lange Zeit im Würgegriff der Political Correctness und diese Unfreiheit in Form von Angleichung (übrigens durchaus vergleichbar mit Faschismus) sieht man an allen Ecken und Enden.
Zu Beginn fällt auf, dass man sich optisch zwar in einem indischen Dorf am Rande des Dschungels befindet, die Einwohner sich jedoch wie Amerikaner benehmen. Kinder in Moglis Alter sind wieder Kinder und am anderen Geschlecht doch noch nicht interessiert. Gleichberechtigung findet statt und Wasser holen ist keine Tätigkeit mehr einzig für die Frauenwelt. Das Gefühlsleben der Kinder ist angeglichen, ebenso die Erziehungsmethoden der Eltern und selbst das Verhalten der Tiere im Dschungel.
Da kann man zu recht entgegensetzen, dass die Vermenschlichung aktueller Lebensumstände damals den Witz am Original ausmachte. Aber in den 60er Jahren war die Gesellschaft auch noch lebendig. Heute, in Zeiten des Stillstands, werden Charaktere blass aus Teil 1 kopiert, ohne deren Sinn verstanden zu haben.
Aus Bagira, dem Panther, der in den Augen Moglis zum Verräter der Freundschaft wurde, ist eine Randfigur geworden, die den Eindruck macht nie großer Freund und Vertrauter von Mogli gewesen zu sein. Stattdessen darf er sich mit der Elefantenparade herumschlagen, die nun nicht mehr der Sinnlosigkeit einer Armee irgendeinen winzigen Sinn abgewinnen will, sondern Aufträge erledigt, wie das Suchen des Menschenkindes. Man erinnere sich an Teil 1, als der Chef überhaupt erst von seinem Sohn überredet werden musste, das hirnlose Marschieren zu unterbrechen, um etwas nützliches zu machen. Shirkan wirkt böse und unheimlich wie zuvor, verschont jedoch selbst jene Lebewesen, die ihn bis aufs Blut piesacken, obwohl sie weit unter ihm in der Nahrungskette stehen.
Komplett umgedreht wurde der Charakter von Balu, der vom sympathischen Faulpelz zum Vorzeigecharakter der Spaßgesellschaft degradiert wurde. Immer Party im Sinn, noch immer den Rhythmus im Blut, aber auch zivilisiert, wenn er sich selbst als Schmusebär statt als Raubtier definiert. Mogli muss ihn gar zurückerinnern, dass er es seinerzeit war, der dem Menschenjungen zeigte wie man gefährlich brüllt.
Neue Figuren gibt es kaum, aber immerhin eine recht lustige. Die eher zurückhaltenden Geyer bekamen Verstärkung, einen Geyer der völlig anders ist als sie. Er ist ein Spaßvogel, reißt Witze, geht für einen Vogel, der nur vom Aas lebt, gerne Risiken ein und kichert nonstop vor sich hin. Sein liebstes Spott-Opfer ist Shirkan. Aber politische Korrektheit sei Dank, deren Ziel es ist Kindern alles aus dem Blick zu stoßen was heiler Welt im Weg steht, überlebt der Vogel seine bösen Worte, obwohl er sich Gegen Ende in den Krallen des Tigers befindet.
In den fast 35 Jahren seit Teil 1 hat sich noch etwas im Disney-Universum geändert: die Musik. Während damals meist einzelne Personen sangen oder mit wem Zweites ein Duo bildeten, da findet heutzutage meist Massengesang mit einstudierter Tanz-Choreographie statt, die der Gesangssituation noch mehr Realität raubt, als es das plötzliche Singen im Alltag ohnehin schon tut. Wo im altmodischen Gesang die Figur und/oder der Inhalt des Textes im Vordergrund steht, da steht heutzutage die Selbstpräsentation an erster Stelle in pompöser Melodie. Die Musik bekommt Musical-Stil und verliert gänzlich jeden Charme vergangener Disneylieder.
Zwar versucht man im „Dschungelbuch 2“ beide Musik-Stile zu vereinen, aber auch das geht nach hinten los. Die Huldigung des Top-Songs „Probiers mal mit Gemütlichkeit“ fruchtet zunächst, entpuppt sich aber mit andauernder Wiederholung eher zum Verzweiflungsakt der Produzenten sich an etwas Beliebtem zu klammern, anstatt sich vor dem Song zu verbeugen.
Peinlich wird ein Song, der versucht auf „Probiers mal mit Gemütlichkleit“ anzusetzen. Balu geht in die Dschungeldisko, man geht die selbe Musikrichtung wie das große Vorbild an, und auf routinierter Ebene funktioniert der Song gar halbwegs, bis sich wieder jede weitere Figur des Szenarios in den Song einmischt und den eigentlich musicalfremden Song wieder in ein Musical verwandelt.
Leider ist die Aufzählung meiner negativen Beobachtungen damit noch nicht am Ende. Es gibt nämlich noch etwas, das die Macher nicht verstanden haben. Mogli konnte die Tiere verstehen, weil er mit ihnen aufwuchs. „Das Dschungelbuch 2“ greift hingegen die Logik eines „Bernard und Bianca“ auf, dass die lieben Kinder allgemein Tiere verstehen können. Umgekehrt natürlich auch. Balu darf verstehen was Shanti, Moglis Freundin, erzählt.
Das passt jedoch zum Kinderspielplatz, welcher der Dschungel geworden ist. Einst ein bedrohlicher Ort, können heutzutage zivilisierte Dorfkinder durch den Urwald stapfen, ohne sich ein Leid einzufangen.
Man sieht an all diesen Beispielen sowohl wie naiv die Fortsetzung geworden ist, als auch wie anders die Sehgewohnheiten geworden sind. Ich will niemanden seinen „Aladdin“ und Co absprechen. Manche Disney-Musicals wissen wirklich zu gefallen. Aber eine Fortsetzung von „Das Dschungelbuch“ war der falsche Ort für aufgeblasene Musicalsequenzen. Und das Bemühen zweier Stile in einem Film hat nicht funktioniert.
Für Kinder ist das Ergebnis dieses Sequels jedoch nette Kurzweile geworden. Die freuen sich über das Wiedersehen alter Gesichter, stören sich nicht an meinen oben aufgezählten Punkten und genießen die schönen Bilder. „Das Dschungelbuch 2“ ist kein Zusammenschnitt einer TV-Serie, und das sieht man seiner Optik an. Mögen die Hintergründe auch schlichter sein, die Figuren wissen zeichnerisch zu begeistern. Und in der deutschen Version bekommen sie hilfreiche Unterstützung einer guten Synchronisation.
Shirkan bekam die beste Stimme, die Schlange Kaa und Balu klingen fast wie ihre deutschen Stimmen aus Teil 1. Der verstorbene Edgar Ott wurde durch jenen Sprecher ersetzt, der auch seinen „Benjamin Blümchen“-Part übernahm. Die Stimme des Mogli nervt zwar beim Gesang, in den Sprechszenen ist aber auch sie eine sehr passende. Einzig negativ fiel mir auf, dass Bagira die deutsche Stimme von Tom Hanks beschert bekommen hat, die leider so gar nicht passte. Ansonsten gibt es über die Vertonung nichts zu meckern.
Und um beim Positiven zu bleiben: so sehr die obigen Negativpunkte auch stören, sie machen nicht den kompletten Charme der liebgewonnenen Sippschaft kaputt. So sehr diese Fortsetzung einen auch die Augen verdrehen lässt, hin und wieder kommt sie auf, die Sympathie der Fortsetzung, das Freuen nun erfahren zu dürfen, dass es den Figuren des Originals noch immer gut geht.
Aber das sind kurze Gefühlsausbrüche, die schnell wieder in ihre Schranken gewiesen werden, wenn ein neues Ärgernis auf der Bildfläche erscheint. Handwerklich ist „Das Dschungelbuch 2“ jedoch geglückt, und ein junges Publikum wird Gefallen am oberflächlichen Treiben der Dschungelbande finden. Einen großen Bogen sollten die erst vor den „Dschungelbuch Kids“ machen. Die waren noch viel weiter unter Niveau. OFDb
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