Das tolle an „her“ ist, dass man ihn auf zwei Ebenen gucken kann. Entweder erlebt man ihn als romantische Tragikomödie, in welche man mitfühlend eintaucht, oder man schaut ihn sich als intelektuelles Warnbild dessen an, wie sehr die Gesellschaft in ihrer Isolation entgleisen kann, um neue Formen einer Geisteskrankheit herbei zu führen. Beides funktioniert wunderbar dank eines Drehbuches welches nie den erhobenen Zeigefinger demonstriert, sondern schlicht und einfach seine Idee konsequent erzählt, die auf Beobachtungen heutiger Situationen beruht.
Das heißt wir haben einen Stoff der trotz seiner Zukunftsperspektive stark im Jetzt verankert ist und uns eine gar nicht so fremdartige Welt von Morgen präsentiert, die nicht all zu fern und durchaus denkbar ist. Dank eines hoch empathischen Drehbuchs und einer ebensolchen Regie (beides von Spike Jonez, der auch für „Being John Malkovich“ verantwortlich war) sind wir immer nah am Gefühlsleben von Theodor dran, der höchst glaubwürdig und sensibel von Joaquin Phoenix verkörpert wird. „her“ kommt ebenso poetisch wie philosophisch daher und ist somit jener Glücksfall mit dem Tagträumer ebenso glücklich werden wie Realisten.
Im Idealfall schwankt man zwischen beiden Perspektiven hin und her. Dann kann man Samantha als Lösung und Problem zugleich erkennen. Zum einen isoliert sie einen fast anonym lebenden Menschen noch mehr, der im gesunden Zustand eigentlich kontaktfreudig wäre und äußerst intelligent, zum anderen fühlt sie sich so echt an, dass die Frage wie in „Blade Runner“ und „Ghost in the Shell“ aufgegriffen werden kann, ab wann ein Bewusstsein ein wirkliches Lebewesen ist. Wenn Samantha sich selbstständig entwickelt, zu Gefühlen fähig ist und eigenständig reagiert, warum kann sie dann keine Alternative für einsame Menschen sein?
Dieses Hin und Her zweier extremer Beobachtungsformen des hier Erlebten macht den Stoff so unglaublich aufregend, der nicht nur konsequent zu Ende gedacht wurde, sondern auch etliche zusätzliche Ideen präsentiert, aus denen man locker ein Dutzend Filme hätte entwerfen können. „her“ läuft dabei nie Gefahr überfrachtet zu wirken und hat immer etwas neues zu erzählen, wenn die Geschichte droht auf der Stelle zu treten.
Letztendlich gibt der Film durch die Entwicklung Samanthas selbst eine Antwort darauf, ob es für den Menschen gesund sein kann sich emotional auf eine künstliche Intelligenz einzustellen. Denn während Menschen sich halbwegs überblickbar unterschiedlich weiterentwickeln, stößt die körperlose Samantha auf Dimensionen weiterer Möglichkeiten ihres Zustandes, die für den menschlichen Geist, und noch viel mehr für das menschliche Herz, nicht mehr greifbar sind, was kurz vor Schluss zu einer Erkentniss für Theodor führt, wie sie schmerzhafter kaum sein könnte - konsequenter für die hier ausgelebte Idee jedoch auch nicht, und allein dafür kann man das Drehbuch einfach nur lieben.
„her“ ist ein großer Film, der trotz seiner Traurigkeit, bzw. unter anderem auch aufgrund dieser, ein lebensbejahendes Werk geworden ist, das einen nachdenklich und emotional zart berührt zurücklässt, ähnlich wie „Vergiss mein nicht“, den Jonzes Kumpel Charlie Kaufman geschrieben hat. Beide stehen sich in nichts nach, sind große Werke ihrer Zeit, die es schaffen den Intellekt des Zuschauers ebenso zu füttern wie sein Seelenleben, indem die schwachen und verletzlichen Seiten des Menschseins ehrlich und gut beobachtet wiedergegeben werden ohne falschen Stolz, aufgebauschten Kitsch oder störenden Scham. OFDb
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