Wenn man bedenkt wie schon lange vor der Rialto-Buntfilm-Phase die Grenzen zwischen normal und gesund im Edgar Wallace-Universum vertauscht, verdreht, vereint oder wild durcheinander gewirbelt wurden, klingt es nur konsequent dass gerade in Zeiten der schrilleren Verfilmungen dieser Zustand einmal näher in den Fokus rückt. „Die blaue Hand“ erzählt innerhalb seiner wie immer weit verzweigten, unübersehbaren Kriminalgeschichte von Missständen in einer Nervenheilanstalt, davon wie schnell aus einem Ort der Heilung bei solch schwer zu beurteilenden Faktoren wie geistig gesund und geistig krank ein totalitäres System werden kann, in welcher ein Arzt zum Gott erklärt wird, während Unwissenden nur daneben stehen können und Diagnosen akzeptieren müssen.
Schön ist die Idee des Streifens, dass ein solcher Arzt zum Verbrecherischen neigt und sich von Menschen bezahlen lässt, die wen Störendes aus ihren Familien entfernt haben möchten. Aber selbstverständlich steht hinter dieser bösen Masche in einem Wallace-Film mehr als eine olle betrügerische Aktion. Da gibt es Henker und Strippenzieher eines viel größeren Anliegens, welches sich im Hintergrund abspielt und für welches Dave Emmerson die ungewollte Marionette sein soll.
Ebenso wie sein Zwillingsbruder Richard, der jedoch relativ wenige Auftritte beschert bekommt, wird Dave gespielt von Klaus Kinski, der hier zum letzten Mal in einem klassischen Wallace-Stoff auftaucht und nur noch einmal gegen Ende, als die Rialto-Reihe in die Hände italienischer Filmschaffender fiel, für „Das Gesicht im Dunkeln“ zurückkehrte. Wie Heinz Drache einige Filme nach ihm, bekommt Kinski zum Abschied eine besonders schöne Rolle beschert, die der gute Mann auch hervorragend zum Besten gibt.
Sein Spiel und der Spielort der Nervenheilanstalt entschuldigen für den etwas zu vorhersehbaren Hintergrund der Aktionen. Wenn die selbe Generation Familienmitglieder ermordet wird, von der einer für verrückt erklärt wird, wenn der Verrückte einen Zwillingsbruder hat, und die Frau des Hauses lediglich die Stiefmutter der Kinder ihres Mannes ist, der nur 6 Monate nach der Hochzeit spurlos verschwand, dann weiß zumindest der Wallace-erfahrene Zuschauer was gespielt wird, auch wenn die üblichen Wendungen und Verzwickungen im Finale trotzdem noch für eine Zusatzüberraschung gut sind.
„Die blaue Hand“ ist ein wahrlich gelungener Streifen der Reihe, stilsicherer umgesetzt als der am Schluss mit lobenden Worten angekündigte Nachfolger „Der Mönch mit der Peitsche“, was an dem gekonnteren Mix aus Ernsthaftigkeit, Humor und übertriebener Comic-Elemente liegt, die wesentlich feiner aufeinander abgestimmt sind. Das zeigt sich sehr deutlich in der Rolle Sir Johns, die noch nicht völlig verblödet ist wie später und seinen Adelsstand noch in den Vordergrund setzt, so dass allein seine Ankunft auf dem Rücksitz eines Motorrades für ein treffsicheres Schmunzeln sorgt, wenn der gute Mann steif sitzend wie ein Ritter in strahlender Rüstung zur Rettung Inspektor Craigs und einer vermissten Frau herbei eilt.
Kam mir Harald Lepnitz, der aufgrund meiner Rückwärtssichtung der Reihe nun zum ersten Mal auftauchte und damit zum letzten Mal für die Reihe, zunächst etwas anonym und blass vor, so liegt ein erheblicher Anteil dass „The Bloody Dead“ (Alternativtitel) trotz seiner Vorhersehbarkeit so gut funktioniert, doch bei ihm, der mit nötiger Zurückhaltung und in den richtigen Momenten aktiv agierend aufgrund seiner Glaubwürdigkeit zu den besten Kommissaren gehört welche die Rialto-Reihe je hervorgebracht hat, und das muss schon was heißen bei all den sympathischen Gesichtern, die Wallace-Kommissare spielen durften.
Manches Mal wird selbst für Rialto-Verhältnisse mit dem Nebel übertrieben, aber ansonsten übertreibt Vohrer nie und stimmt den Mix aus Spaß und Ernst gekonnt ab. Mag ich den albernen, späteren Buntfilmen der Reihe auch mit Sympathie gegenüber stehen, so tut es gerade der in „Die blaue Hand“ erzählten Geschichte gut noch in einer Phase der Serie entstanden zu sein, wo man noch versuchte echtes Grusel-Flair einzufangen, wenn auch bereits verdünnt mit peppigen, grellen Momenten. Der Ernst der Geschichte tut dem Film gerade immer dann gut, wenn es um die Schicksale der Unfreiwilligen in der Nervenheilanstalt geht.
Hier würde jeglicher Klamauk an der Wirkung nagen. Das hat Regisseur Vohrer scheinbar bemerkt, so dass er gerade in diesen Szenen jeglichen Humor ausblendet und lediglich mit einigen reißerischen Elementen, wie dem Einsatz von Schlangen, arbeitet. Die humoristischen Anspielungen auf besonders bescheuert konstruierte Geisteskrankheiten oder den Wortspielereien zwischen Inspektor und Vorgesetztem spielen entweder in der frühen Phase des Films in der Anstalt oder kurz vor Schluss. Ab da wo es um die Schicksale hinter Gittern geht, pausiert die Komik. Sind alle in Sicherheit darf sie wieder einsetzen.
Dass Vohrer dennoch bereits hier den Nonsens-Spielereien verfällt, wie der Einsatz eines ganz besonders ausgeflippten Mechanismusses zur Aktivierung einer Geheimtür zeigt, oder allen voran der Einsatz der grellblauen Mörderkralle, geht aufgrund seiner Dosierung in Ordnung und bereitet mit dem noch vergleichsweise zaghaften Einstreuen dieser Elemente den Weg für zukünftige Stoffe schriller und lustiger ausgelegt sein zu dürfen, was den Spätfilmen der Reihe auch sichtlich gut tat. „Die blaue Hand“ hingegen dürfte aufgrund dieser Zurückhaltung eventuell sogar den Befürwortern der Schwarz/Weiß-Filme gefallen, die in der Regel mit der schrilleren Buntphase der Reihe nichts anzufangen wissen. Allein Kinskis gekonntes Spiel sollte zum Einschalten einladen. OFDb
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