Filme über Frauen, die ins Prostitutionsgewerbe gelangen, gibt es immer wieder. Manches Mal wird uns das Thema auf die erotische Art gezeigt, manches mal auf die dramatische Art, hin und wieder auch auf eine rein reißerische explizite Folter-Art. „Studentin, 19, sucht...“ geht das Thema überraschend nüchtern und sachlich an, beleuchtet eher die stillen bis gravierenden Abgründe einer Branche die bei Regisseurin und Autorin Emmanuelle Bercot nicht gut weg kommt. Und doch kann man nicht gerade behaupten, dass das Thema dämonisiert wird. Der Film orientiert sich an schlechten Erfahrungen. Am Rand der Geschichte treffen wir auf sich prostituierende Studentinnen, die mit ihrer Arbeit kein Problem haben. Aber die sind für die Geschichte nicht wirklich von Bedeutung.
Zumindest verharmlost Bercot die Situation nicht. Sie lässt uns eintauchen in eine wirre Welt aus Gewalt und Zärtlichkeiten, in der aus einem Schaf schnell ein Wolf wird, und eine auf sich gestellte Prostituierte manche Erniedrigung und Verbrechen über sich ergehen lassen muss, ohne sich wirklich wehren zu können. Dass das Ganze außerhalb der üblichen Klischees funktioniert, liegt in einem bedeutenden Maße an dem Charakter der von Deborah Francois recht gut gespielten Laura. Die gar nicht mal positiv oder naiv charakterisierte Laura fühlt sich nicht wohl in ihrem Job als Prostituierte, steigt aber doch nie aus, kehrt Stammfreiern nicht einmal nach derben Ausrutschern den Rücken. Der Grund Geld zu verdienen klingt immer mehr wie eine Ausrede, so als ob eine Abhängigkeit entstanden wäre für etwas was der jungen Frau keine Lust bereitet.
Selbst als soziale Bindungen wie ihre Liebschaft zu dem arbeitslosen Benjamin in die Brüche gehen, und dies weniger aufgrund des fragwürdigen Jobs, sondern vielmehr deshalb weil auch Benjamin Lauras Motivation nicht nachvollziehen kann, kann sich die Studentin nicht aus dem Kreis der Perversion befreien. Sie versucht es flüchtig, doch ihr Engagement die Sache zu beenden wird nie von einer großen Überzeugungskraft begleitet. Das Abstoßende an ihrem Job motiviert sie auszusteigen, doch die Gewöhnung lässt sie bleiben.
Ihr Verhalten wirkt so schitzophren wie das ihres Hauptfreiers Joe, der auf dem ersten Blick ein lieber Kerl sein könnte, hinter dessen weicher Schale jedoch ein harter Kern steckt, dies immer gut getarnt, selbst dann wenn er zum gnadenlosen Tier wird. Die Selbstlüge und eine gewisse Arroganz machen ihn zum Heuchler auf der Freierseite, und damit bildet er den Gegenpol zu Laura auf der Prostituiertenseite, die ähnliche Charakterzüge aufweist, wenn auch in der wesentlich devoteren Rolle aufgrund der Machtverhältnisse.
Die Macht die das amouröse Geldverdienen in Laura auslöst, die Schattenseiten die sie schluckt, obwohl sie keine Nebensächlichkeiten sind, sondern schlichte Gemüter kaputt zu machen drohen, sind keine Themen für die schnell urteilende Küchenpsychologie für das RTL-Publikum. „Mes chères études“ (Originaltitel) zeigt die Parallelwelt am Rande der Gesellschaft unverschönt, direkt und widersprüchlich. Trotz des anklagenden Blickwinkels wird die Geschichte, die auf wahren Begebenheiten beruht, nie mit dem erhobenen Zeigefinger erzählt. Die Welt ist widersprüchlich. Die Menschen sind es auch. Oft ergibt nichts Sinn. Und dieser Eindruck verstärkt sich nach dem Sichten von Bercots Film. Dies nicht etwa weil er schlecht erzählt wäre, sondern ganz im Gegenteil, weil er recht gut erzählt ist.
Mit seinem amourösen DVD-Cover wird er sicherlich manch falsches Publikum locken und manch richtiges wegstoßen, könnte man „Studentin, 19, sucht...“ doch aufgrund der Nackedeibildchen und der provokativen Frontaufnahme mit einem Erotikfilm verwechseln. Doch prickelnd wird das Gezeigte nie, dafür demonstriert uns Francois mimisch zu sehr wie sehr sie unter der Situation leidet. Keine Nacktaufnahme von ihr mag zu bezaubern. Das Leid und der Widerwille stehen ihr stets ins Gesicht geschrieben. Nach einer gewissen Phase wird es ausgetauscht gegen Gleichgültigkeit und Arroganz. Damit vollzieht sich auch in Laura ein Wandel, der jedoch nicht von Unbehagen ins Wohlfühlen stattfindet. In ihr stirbt lediglich ein Teil, und diesen Zustand bemerkt sie zu spät.
„Studentin, 19, sucht...“ endet nicht pessimistisch. Er lässt Laura einen Weg aus ihrer Misere finden. Allerdings lügt er kein Happy End vor. Die Wunden bleiben, und zwar jene dessen was Laura sich selbst antat, nicht vordergründig aufgrund dessen was sie körperlich erdulden musste - auch wenn sie manches Mal wie menschlicher Müll behandelt wurde. Der Film macht deutlich dass Laura stets eine Mitverschuldung ihrer unangenehmen Erlebnisse zu verzeichnen hat, allerdings ohne die andere Seite zu verharmlosen. Laura hatte Alternativen und Chancen, und doch kann man sie in ihrer Opferrolle nicht dafür tadeln nicht ausgestiegen zu sein. Die eigene Psyche macht einen auf manch rätselhafte Weise gerne zu einem Gefangenen seiner selbst, sei es aus Gewohnheit, Selbsthass oder anderweitiger Gründe.
„Studentin, 19, sucht...“ zeigt wie das Leben funktioniert. Er zeigt es uns inhaltlich und psychisch auf eine Art mit der wir ungern konfrontriert werden wollen. Er verurteilt nicht, auch wenn er deutlich macht wie gefährlich es sein kann sein Studium auf diese Art zu finanzieren. Er zeigt uns das was passieren kann, wenn man diesen Weg wählt. Er zeigt uns dass das was Laura passiert ist in dieser Branche schnell passieren kann. Aber auch wenn er mit dem finalen Interview die Prostitution in den Vordergrund rückt, so täuscht dies doch über das eigentliche Anliegen des Filmes hinweg. Der interessiert sich schließlich viel mehr für das was Prostitution seelisch aus einem macht und zeigt uns dies dank der Rolle Joes auch von der anderen Seite aus, die Opfer und Täter zugleich ist.
Bercots Werk weiß zu faszinieren, eben weil er so verstörend, sachlich und widersprüchlich erzählt ist. Es ist ein Film den ich gerne mehr mögen würde als ich es tue. Allerdings ist er mir zu distanziert erzählt um für mich ein wahrlich großer Film zu sein. Ich wäre gerne tiefer in die Seele Lauras eingetaucht, eben weil sie kein Sympathiecharakter ist und bereits vor der Prostitution ein auf sich bezogener, oberflächlicher Mensch ist. Ich weiß aber auch, dass „Studentin, 19, sucht...“ diesen nüchternen, distanzierten Blickwinkel benötigt, um nicht etwas anderes zu sein als er will. Da bin ich in meinem Urteil ebenso widersprüchlich wie es die Figuren aus dem Film sind. Wie er zeigt muss das nicht bedeuten, dass ein Fehler vorliegt. Oftmals existieren zwei Wahrheiten zur selben Zeit. OFDb
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