10.11.2017

KAHLSCHLAG (1993)

Es war interessant „Kahlschlag“ nach all den Jahren wieder zu sichten. Damals zu einer Zeit gesehen, als ich selbst noch im Rahmen einer jugendorientierten Mentalität lebte und dachte, reizte mich eine Neusichtung im Erwachsenenalter enorm. Zwar mochte ich Hanno Brühls Jugend-Drama zum Thema Rechtsradikalismus schon damals, im direkten Vergleich bevorzugte ich jedoch den ein Jahr später entstandenen (und leider noch nicht auf DVD erschienenen) „Hass im Kopf“, da sich die Hauptfigur dort gar nicht als Rechtsradikaler empfand, wohingegen mir die Orientierung von „Kahlschlag“ etwas zu glatt im Klischee badend erschien.

Zwar empfinde ich das immer noch ein wenig so, die mittlerweile erreichte Lebenserfahrung machte mir aber deutlich, dass vieles was ich einst als zu aalglatt empfand bei schlichten Gemütern tatsächlich Realität ist, so dass ich mit manchen zu dick aufgetragenen Momenten im Film, die eher der Dramaturgie wegen und um das jugendliche Zielpublikum zu warnen auf diese zu schlichte Art eingebunden wurden anstatt auf Authentizität zu setzen, nicht mehr so streng ins Gericht gehe wie einst, zumal diese Punkte erzählerisch ihren Zweck erfüllen. Manch anderen als Klischee empfundenen Aspekt würde ich mittlerweile gar überhaupt nicht mehr dieser Kategorie zuordnen.

Interessant wird „Kahlschlag“ gerade in Hinsicht heutiger Sorgendebatten zum Thema Ausländerfeindlichkeit, ist der Film doch weit weniger prinzipiell idealistisch orientiert wie heutige Debatten zu dem Thema, die mir oftmals an der Realität vorbei geführt scheinen, wohingegen Hanno Brühls Werk den richtigen Ton trifft, dort ansetzt wo Aufklärung von Nöten ist und dabei ehrlich erscheint, großteils auch deswegen, weil die nicht komplett von der Szene zerfressenen Figuren des Streifens menschlich gezeichnet sind, was ein wichtiges Element für das Genre Drama ist.

Der Mensch steht über dem zu warnenenden Ideal. Der Einsteiger in der Szene wird nicht verteufelt, selbst manche Randfigur, die weiter Teil der Szene bleibt, ebenso wenig. Inwieweit es gut ist die erwachsenen Drahtzieher und ihre jugendlichen Vorzeigenazis zu monströs zu charakterisieren, sei hingegen in Frage gestellt. Hier wäre es gerade der Warnung ans jugendliche Zielpublikum wegen ratsamer gewesen realistischer vorzugehen, eben weil man in der Wirklichkeit auf Menschen hereinfällt und nicht auf in Filmklischees badende Stereotype-Monster.

Insgesamt ist „Kahlschlag“ jedoch sauber inszeniert, lebt mehr von den Vorteilen als von den Nachteilen beim Einsatz von Amateurmimen und fast dokumentarischen Aufnahmen zu Beginn, und auch die Musik von Piet Klocke weiß den vorgegebenen Ton bestens zu unterstützen. Die Schlussszene weiß zu berühren, ebenso wie die Momente Robins mit seiner kleinen Schwester, die zwar immer wieder die Gutmütigkeit des rechten Skinheads hervorhebt, seinen Einstieg und das Mitwirken in der Szene jedoch deswegen noch lange nicht unglaubwürdig erscheinen lässt.

Ganz im Gegenteil wird gerade hier das an anderer Stelle vermisste Gleichgewicht von Gut und Böse in einer Person, wenn man es überhaupt derart plump trennen will, vereint. Kein Mensch ist nur gut und nur böse, nur Opfer und nur Täter, und auch wenn Brühl den etwas zu dominant eingesetzten Hauptaspekt gelegentlich durchbricht, indem er subtil Ursachen oder indirekt beteiligte Mitaspekte der Thematik aufblitzen lässt, so wären diese Grauabstufungen doch auch beim Feindbild rechte Szene nötig gewesen, um noch eine Spur ehrlicher und weit weniger idealistischer zu wirken.

Aber wie gesagt kommt „Kahlschlag“ im Gegensatz zur derzeitigen medialen Debatte zu dem leider wieder aufgekommenen Thema wesentlich sachlicher, geistreicher, reflektierter und menschlicher daher, mit dem richtigen Ziel und dem tatsächlichen Problem vor Augen, im Gegensatz zur Wut des einfachen, linken Mobs von heute, welches erzkonservative Meinungen zum Feindbild erklärt und diesem dem Stempel Nazi aufdrücken möchte.  OFDb

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