"Suspiria" ist ein bildgewaltiger Klassiker, der einen mit seiner Terrormusik, dem Farbenmeer, seiner Intensität und dem zarten Pflänzchen Jessica Harper inmitten gruseliger Ereignisse geradezu in seinen Bann zu ziehen weiß. Die Geschichte ist fast Nebensache, besteht zumindest aus einem ziemlich dünnen Faden, und da kann man schon zurecht kritisch nachfragen, welchen Sinn die Neuverfilmung eines derartigen Werkes machen soll. Er ist ein zugleich geliebter und verkannter Kunstfilm, der eben nicht von seiner Geschichte lebt, sondern von seinem Stil. Entnimmt man ihn, kann doch nichts brauchbares mehr übrig bleiben. Oder doch?
Regisseur Luca Guadagnino und Drehbuchautor David Kajganich haben es unter der Produktion Dario Argentos, dem Regisseur des Originals, dennoch gewagt und nicht einfach nur ein dahingeschludertes Wiederkäuern abgeliefert, sondern ebenso wie die Erstverfilmung einen Kunstfilm abgeliefert. Dieser ist jedoch völlig anders geartet, ist die Neuverfilmung "Suspiria" doch eher dem Arthouse-Kino zuzuordnen anstatt dem klassischen gehobenen Horrorfilm. An intensiven Momenten mangelt es nicht, auch wenn die völlig anders angesetzte Geschichte ziemlich nüchtern erzählt daher kommt. Wie auch immer man zum zweiten Anlauf der Hexe der Seufzer steht, der Film hallt definitiv nach, sowohl stilistisch, als auch inhaltlich, gibt es doch einerseits viel zu verarbeiten, andererseits einiges einzuordnen. Nach bislang nur einer Sichtung weiß ich noch nicht ob ich einzelne Fragmente, die den Schluss betreffen, nicht verstehe, etwas übersehen habe, der Film selbst unlogische Momente bereit hält oder ob er absichtlich von mir entdeckte Lücken bzw. Widersprüche auffährt. Eine solche Provokation würde nicht verwundern, so wie man den Stoff hier verarbeitet hat.
Stummfilm- und Theater-ähnlich offiziell in diverse Akte aufgeteilt, dauert es einige Zeit, bis man sich in die zunächst unübersichtliche Erzählung hinein gefunden hat, mit Kenntnis der Erstverfilmung ebenso wie als Neuling. Erstgenannte werden sich über die Neuorientierung der Geschichte wundern, damit beginnend dass vieles aus der Sicht der Hexen erzählt ist, deren übernatürliche Existenz schnell gelüftet ist und die Zielsetzung wohin die Geschichte führt, eine völlig andere ist, als jene klassisch schlichte, von welcher Argentos wunderbare Regiearbeit erzäht. Nach einiger Zeit hat man sich in den Erzählstil eingefunden, auch wenn man sich noch immer etwas orientierungslos fühlt aufgrund der völlig anderen Positionierung und der Puzzleteile der einzelnen Erzählstränge, nicht etwa weil diese völlig unabhängig voneinander verlaufen würden, sondern weil man nicht weiß wohin das hervorragend geschauspielerte und stilistisch sicher und imponierend inszenierte Szenario hinführen soll. Was schwebt den Köpfen hinter dem Projekt vor, fragt man sich fasziniert, wenn man sich von dem verkopften Sog des Stoffes anstecken lassen kann. Hat man sich erst einmal an den nüchternen Erzählstil gewöhnt, reißen einem zudem provokante Bilder geradezu aus der sicheren Zuschauerposition heraus.
Das beginnt mit verstörenden Traumsequenzen, deren Bilder scheinbar wahllos aneinander gereiht sind, stilistisch jedoch zu erstaunen wissen und Geschmacklosigkeiten und skurril anmutende Aufnahmen in Sekundenschnelle auf den Zuschauer nieder regnen lassen. Und es endet in einem Grenzen sprengenden Finale, wie es italienischer kaum sein könnte. Die Freizügigkeit an nackter Haut und Perversionen, die wir hier vorgesetzt bekommen, zeigt auf wie wenig künstlerischen Einfluss es scheinbar von Seiten der amerikanischen Finanzgeber her gab, und auf die man selbst aufgrund der sehr freizügigen, künstlerisch wertvoll inszenierten Tanzszenen und Tanzübungsszenen, die einem zuvor zuhauf präsentiert wurden, nicht vorbereitet ist. Diese schauten sich trotz fehlender Nacktheit sexuell provozierend und anregend, ein Effekt der regelrecht provoziert wird und immer wieder mit Grausamkeiten vermengt wird. Das Verstörende mixt sich stets mit dem Verkopften, und dieser hemmungslose Cocktail in den Händen von visuellen, inszenatorischen und darstellerischen Profis offenbart ein Werk, wie man es nur selten zu Gesicht bekommt und welches tatsächlich einen eigenen Wert hervor bringt und sich damit vom Original als eigenes Werk emanzipiert.
Wer den Film im Originalton schaut, bekommt neben dem Sehwert noch einen hervorragenden Hörwert beschert, klingt die Rolle des alten Professors mit seiner hellen Stimme doch unglaublich kränklich, und wird überraschend damit erklärt, dass Tilda Swinton neben ihrer Rolle als Madame Blanc in gekonnt täuschender Maskerade auch den Professor verkörpert. Hier wird die weibliche Männerstimme zu einem faszinierenden Vorteil, welcher dem dargestellten Charakter glaubwürdig zugute kommt, so authentisch kränklich und schwächlich wie sich diese Stimme anhört. Dies im Kontrast zu den starken, selbstherrlichen Gegnerinnen weiß zu gefallen, gerade wenn man sie gelegentlich, unabhängig zum Professor, dabei beobachten darf, wie sehr wir Menschen doch nur Spielfiguren für sie sind. Tiefst schwarzer Humor bricht in diesen kurzen Augenblicken in das ernste, dramatische und düstere Treiben des Filmes hinein, besonders provozierend in der Trance-Szene des ermittelnden Kommissars dargeboten. Es ist diese besagte Hemmungslosigkeit und der Schwebezustand zwischen Verstehen und Nichtverstehen des Gezeigten, der "Suspiria" eine besondere Note verleiht. Hier werden nicht sinnlos künstlerische Fragmente vermengt, hier ist alles durchdacht und scheint es in meinen Verständnislücken ebenso zu sein, und dementsprechend werden auch gekonnt die Knöpfe beim Zuschauer gedrückt, so wie Regie und Drehbuch es haben wollen.
Wie ich schon erwähnte hallt "Suspiria" nach dem Gucken auf verschiedenen Ebenen noch weiter nach, wenn man sich während des Zuschauens ernsthaft und intensiv, aber auch frei von Tunnelblick mit ihm beschäftigt hat. Mit einem einzigen Gucken ist es ohnehin nicht getan, bei all der Konzentration die er einem abverlangt und bei all der Detailfreude, mit der man hier vorgegangen ist. Der einzige Wermutstropfen, der sich mir enttäuschend offenbart hat, war die Wahl mit welcher Rolle Jessica Harper, die Hauptdarstellerin der Erstverfilmung, besetzt wurde. Hier wäre auch in Form eines Gastauftritts eine doppeldeutige oder entscheidende Rolle möglich und wünschenswert gewesen. So wie tatsächlich eingebracht, wirkt ihr spätes Erscheinen wie ein Zwang, den man dem Publikum als Wunsch gewähren muss, und das ist nicht nur schade zu nennen aufgrund ihres Talentes was sie im Original oder auch in "Das Phantom im Paradies" bewies, sondern auch aufgrund dessen, dass es sich respektlos guckt die gute Frau so zu verheizen, wenn bei unbefriedigender Darstellung auch ohne sie in einer fiesen Pointe mit dramaturgischem Nachhall angewendet. Chloë Grace Moretz erkennt man in ihrem Gastauftritt zu Beginn anbei nicht, was ich allerdings ganz gut finde.
Kurzum: wer sich als Horror-Fan nicht vor anspruchsvollem Kunstkino scheut und als Cineast nicht den Bereich des Horrorfilms, der bekommt ein erstaunliches Produkt mit winzigen Schönheitsfehlern und intensiver Nachbeschäftigung geboten. "Suspiria" kommt nicht eitel, pseudo-anspruchsvoll oder intellektuell überheblich daher, erlaubt sich aber selbstbewusst erzählt zu sein, was bei einer derart zu Ende gedachten Inszenierung, Erzählung und Psychologie auch legitim ist, ja sogar so sein muss, um das theoretisch Durchdachte auch derart effektiv praktisch umzusetzen. Ebenso wie Argentos Original wird die zweite Variante des Stoffes das Publikum definitiv spalten. OFDb
Ich hab das Original nie gesehen, bin jetzt aber durch deine doch recht überschwängliche Rezension zur Neuauflage angefixt. Und zwar hierauf, nicht aufs Original. Muss ich demnächst wohl doch mal reinschauen...
AntwortenLöschen