19.01.2020

DIE STUNDE DES WOLFS (1968)

Mit "Die Stunde des Wolfs" hat der schwedische Regisseur Ingmar Bergman ein faszinierendes Werk kreiert, das sich zum großen Teil so guckt, als hätte er es geschafft einen realen Alptraum in Filmform einzufangen. Abgesehen vom üblichen plötzlichen Personenwechsel in Träumen, fühlt sich der Kunstfilm tatsächlich wie einer an, präsentiert dementsprechend ein irrationales Szenario, welches gerne mit Tricks, wie Überbelichtungen, weitere surreale Eindrücke beschert bekommt. Vorgetragen über ein fiktives Interview, angeblich angelehnt an wahren Begebenheiten, wohnen wir einer Erzählung bei, die man nicht eingeordnet bekommt, dies aber ohnehin im besten Fall am Ende des Films nur teilweise. Nie wird klar was Einbildung und Wirklichkeit ist. Die wirr und doch durchdacht scheinenden Abläufe lassen allerhand Deutungen und Analysen zu, von solch simplen, wie dem Vermuten des Abrutschens in den Wahnsinn, bishin zu solchen, welche die düsteren Abgründe der menschlichen Seele erforschen und die Umstände andeuten, durch welche sie entstehen und zum Ausbruch kommen können.

"Die Stunde des Wolfes", welcher der erste Teil einer Ingmar Bergman Trilogie ist, dem noch "Schande" und "Passion" zur Vollendung folgen sollten, schwankt in der zwischenmenschlichen Realität des Paares immer zwischen Einsamkeit in der Zweisamkeit und dem Zusammengehörigkeitsgefühl und wechselt diese Momente mit den inneren Dämonen und dem erlebten Leid des jeweils Einzelnen ab, so dass die Außenwelt und das Kopfkino der Protagonisten zu einem rätselhaften Puzzle werden, das gelegentlich Antworten bietet, während gleichzeitig weitere Fragen aufgeworfen werden. Da wir durch das Verwenden von Interview und Tagebuch auf das vertrauen, was die Überlebende des Erlebten vorträgt, lässt alles Erzählte auch stets auf dieser Ebene trügerische Rückschlüsse zu, ob absichtlicher oder selbstverwirrter Art, so dass man auch den Bericht einer Täterin nicht ganz ausschließen kann, die sich als Opfer verkauft.

Aber diese Interpretation ist nur eine von vielen Möglichkeiten, da nicht nur die Wahrnehmung des Zuschauers durch den Wechsel von Tatsachen, Einbildung, persönlichen Erzählungen, irrationalen Erlebnissen und Rückblenden leidet, sondern auch die beider Hauptpersonen. Der Film wirft Fragen über die Dekadenz der Gesellschaft auf, über unterdrückte Gefühle. Es geht um Ungleichheit und zu viel Nähe in Partnerschaften, um die Naivität des einen, die vom andern ausgenutzt wird, um die Frage ob Einbildung/Wahnsinn ansteckend sind, wohin Kindheitserlebnisse führen können, insbesondere Bestrafungsmethoden. Es geht um zu viel Einsamkeit, um persönliches Empfinden wie Ekel, Angst und Lust. Es geht darum was alles in uns Menschen steckt und pocht, mal heraus bricht und mal nicht und um die Hilflosigkeit, in der man gefangen ist, durch Empfindungen wie diese gelenkt.

Bergman steigt schlicht ein, trägt nüchtern vor was es zu erzählen gibt und lässt zunächst beiläufig eine stetige Bedrohung über den Dingen schweben, die immer spürbarer wird. In der Hochphase dieses Filmerlebnisses werden selbst einfachste Dialogszenen zwischen dem Paar zu einem atmosphärisch dicht eingefangenen, spannenden Erlebnis. Vergangenheiten, wie ein verstörender Rückblick auf einen Angelausflug mit Johan und seinem Sohn, sowie einer schaurig üblen Kindheitserinnerung, an sich simpel mündlich vorgetragen, tragen entscheidend zum düsteren Flair des Streifens bei, während die Geschehnisse im Jetzt meist mehr der geistigen, wie emotionalen Verwirrung dienen. Die Schlussworte der Interviewten sind ein hoch interessanter Gedankengang, der lange nachhallt und ein wenig Klarheit beschert, sofern man der Wahrnehmung Almas traut.

Bis auf einige Bildbearbeitungen umgeht Bergman Spezialeffekte. Phantome, sofern sie denn welche sind, werden ganz simpel durch Personen dargeboten. Selbst eine der wenig offensichtlich realen Szenen, das Abfeuern einer Waffe, erfordert keinen Einschuss-Spezialeffekt oder ähnliches, nicht nur damit das Szenario zum Reststil passt und dem surrealen Zustand keinen Bruch beschert, auch weil dieser plötzlich abgebrochene Moment uns im Unklaren darüber lassen soll, was gerade passiert ist. Bergman ist ein kunstvoll inszeniertes Stück Kopfkino geglückt, dessen Orientierungslosigkeit man sich bei diesem intensiven Erlebnis und der Freude es zuzuordnen als Freund andersartigen Kinos nur all zu gerne hingibt. Das Bedürfnis hinterher über das Gesehene reden zu können, ist aufgrund der ungeklärten Begebenheiten sehr groß. Die Unklarheiten laden aufgrund des Wunsches der Beantwortung der Fragen des großen Ganzen ebenso zu einer weiteren Sichtung ein, wie das handwerklich intensive Seherlebnis, welches Bergman auf scheinbar simple Machart so packend und doch nüchtern vorgetragen zu entfachen vermag, hilfreich unterstützt durch zwei hervorragende Mimen in den Hauptrollen besetzt.  OFDb

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