04.04.2021

TOMBOY (2011)

Liest man von einem Film, der den Wunsch eines Mädchens thematisiert dem anderen Geschlecht anzugehören, wird man in Zeiten von penetranten Holzhammer-Gender-Forderungen erst einmal kritisch. Dies jedoch völlig zu unrecht, zeigt der französische Film "Tomboy" doch wie lebensnah und unverkrampft man sich dem Thema nähern kann, ohne moralinsauer, missionarisch, theatralisch oder ignorant vorzugehen. Die zweite Langfilm-Regiearbeit von Céline Sciamma, die auch das Drehbuch schrieb, holt ihre Figuren dort ab, wo sie sich vom Entwicklungsstand tatsächlich befinden. Die Kinder, egal welchen Alters, verhalten sich wie eben solche, gehen dementsprechend völlig anders mit der Thematik um, als es wer Erwachsenes tun würde, und darin liegt die Magie eines Streifens, der vordergründig das Entspannte seiner Geschichte sucht und nur zweitrangig den tragischen Aspekt anvisiert. Sicher schwebt über allem was man sieht die Gefahr des Erwichtwerdens in der Luft, ein Aspekt den die französische Regisseurin selbst als eine Art Krimi in einem Interview bezeichnete. Dadurch erhält der Streifen definitiv einen Spannungsbogen, dem er sich irgendwann schließlich auch thematisch über das Auffliegen der Lüge samt Auswirkungen im letzten Drittel stellt. 

Aber selbst dann wird die Filmmentalität nicht so bitter wie in düsteren Jugend-Dramen üblich, sondern gibt Figuren und Situationen eine Chance zur Rehabilitierung - ein Aspekt dem gerade das junge Alter der Protagonisten sehr zugute kommt, so dass dieser Ansatz glaubwürdig aufgefangen wird, anstatt verschönt und inkonsequent zu erscheinen. "Tomboy" ist ein authentisches Werk, das einem Freude bereitet beim Begleiten eines jungen Menschen, der so sein kann wie er will, das einem Sorgen bereitet, aufgrund der völlig unreflektierten Nicht-Planung einer Lüge, die nur auffliegen kann und das seine Thematik und seine Figuren ernst nimmt, ebenso wie das Publikum, das glücklicher Weise nicht in eine bestimmte Richtung erzogen werden soll, sondern lediglich mündiger Zeuge einer sensiblen Erzählung wird. Es ist schön zu sehen, wie ein Film, der eigentlich eine Problemthematik bereithält, mit seiner entspannten Haltung, seiner ausstrahlenden Lebensfreude und Unschuld und seinem authentischen Flair schlichtweg von individuellen Menschen erzählt, ohne ein pädagogisches Ziel zu verfolgen oder anderweitige Zwänge des Arthouse-Kinos aufzuweisen. Jeder andere Filmemacher hätte die Wendung mit dem Beginn der Periode beenden lassen, die Hauptfigur zum Ausgestoßenem nahe des Suizids gemacht, oder die Geschichte pseudo-intellektuell offen enden lassen. Sciamma hingegen geht ihren Film mutiger an, als er sich zunächst vielleicht anfühlen mag, erzählt konsequent was wichtig zu erzählen ist und schafft dies auf stille, empathische und poetisch anmutende Weise.  OFDb

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