18.01.2025

BLUE VELVET (1986)

Als Jeffrey zurück in seiner Heimatstadt angekommen auf einer Wiese ein menschliches Ohr findet und von Sandy, der Tochter jenes Kriminalbeamten, den er diesbezüglich kontaktierte, später heimlich die Adresse einer im Zusammenhang stehenden Person erfährt, überredet er die Gleichaltrige ihm dabei zu helfen Zugang zur Wohnung unter besagter Adresse zu bekommen. Als er in Abwesenheit der Nachtclubsängerin Dorothy, die dort wohnt, die Wohnung nach Hinweisen durchsucht, wird er von ihrer Rückkehr überrascht, in seinem Schrankversteck entdeckt und erlebt von nun an eine alternative Gesellschaft hinter dem Vorhang des Bürgertums...

Fucking Ausflug mit dem Nachbarn...

Dass der Fund eines Ohrs, ebenso wie die Krankheit des Vaters und die alternative Behausung in Armut Lebender, immer wieder ein anderes Licht auf das wohlhabende Leben des einfachen Bürgers in der Kleinstadt wirft, lässt "Blue Velvet" keinesfalls aus, wenn er uns zunächst in die Welt seines Protagonisten einweiht, aus welche die Hauptperson als Hauptaugenmerk der Handlung geradezu ruckartig entrissen wird, wenn er eine weit bitterere Alternativgesellschaft aus Unterdrückung, Gewalt und abseitigem Sex kennen lernt, die entgegen seiner Instinkte Neugierde in ihm weckt, ihn aber auch in einen Sumpf aus Problemen und Lügen zieht, so sehr er in seiner einfachen, ehrlichen Art auch ein Retter sein möchte. Lynch hat einen bereits in seinen Bann gezogen, wenn wir uns noch auf der anderen, alltäglichen Seite befinden, die er zu Beginn mit farbenfrohen Blumen und einer Fröhlichkeit satirisch überspitzt gekünstelt aussehen lässt. Ich behaupte sogar dass "Blue Velvet" in seiner ersten Phase, vor dem Einbruch in die Wohnung der Nachtclubsängerin, am stärksten funktioniert, weil sie solch eine unterschwellig bedrohliche, Neugierig weckende Atmosphäre besitzt, die das Werk kurz darauf, eingeweiht in die düstere Parallelwelt, in dieser Intensität nicht mehr aufrecht erhalten kann. 

Das heißt nicht, dass einem das Treiben der Menschen auf der anderen Seite kalt lassen würde. Ganz im Gegenteil wird man als Zuschauer mit Jeffrey gleichermaßen von den Erlebnissen überrumpelt, mit einer Härte und Direktheit, die wahrlich zu schockieren weiß, unabhängig davon, dass es heute wie damals bereits weit Extremeres im Kino zu sehen gab. Die rohe, plötzliche Art, die auf die bisherige Einfachheit und Gewohnheit stößt, verursacht diesen intensiven Effekt. Es ist dem etwas arg bizarr gezeichneten Frank, hervorragend gemimt von Dennis Hopper, zuzuschreiben, dass ich den Blick auf die andere Seite etwas zu grotesk präsentiert empfand, um mich weiterhin tief in die Gefühlswelt Jeffreys hineinversetzen zu können. Franks Auftreten ist zu krass, die Idee eine Substanz mit einer Beatmungsmaske zu inhalieren im hier gezeigten Szenario zu verrückt, als dass "Blue Velvet" bodenständig seine Bedrohung auszustrahlen in der Lage wäre. Das ist von Lynch durchaus gewollt und damit lediglich mein persönliches Problem mit dem Film, aber so ist es eben, und deswegen wirkte vieles eher theoretisch gelungen auf mich, aber nicht auf eine Art erzählt, die mich ohne Unterbrechung in die gewünschte Illusion entführt. 

Kalt haben mich die Ereignisse nicht gelassen, die man wahrlich nicht vorher sehen kann, umso mehr wurde ich vom traditionell gehaltenen Schluss überrascht, den ich nach all der Andersartigkeit und dem Grauen niemals erwartet hätte. "Blue Velvet" hat mir gefallen, in seinen Kunstaspekten ebenso wie mit seinen inhaltlichen Ideen. Aber obwohl er zu David Lynchs zugänglichsten Werken gehört, kam mir die Welt des Untergrunds zu gewollt auf extrem getrimmt vor, als dass mich dieser Film komplett hätte überzeugen können. Ich mag seine Symbolik, wie z.B. der zarte Gesang mit dem Song Blue Velvet im Kontrast zur roten Wohnung der Sängerin dieses Liedes, in der solch abscheuliche Sachen geschehen. Ich finde es herausragend wie die von Kyle MacLachlan gespielte Figur des Jeffrey hin und her gerissen ist zwischen seiner Erziehung und der Versuchung, zwischen Ekel und Faszination, und doch, passend zum Charakter meist den richtigen Kompass besitzt, um deshalb noch lange nicht mit kriminellem Verhalten zu sympathisieren, vielleicht auch nur weil er dieses stets aus Feindschaft erlebt, anstatt als Einladung in die andere Welt. An "Blue Velvet" ist so vieles gelungen, durchdacht, reizvoll und mutig, dass es mich etwas verärgert, dass er bei mir nicht so ganz gezündet hat. 

Was mir beim Schauen von Werken dieser Zeit jedoch immer wieder positiv auffällt, ist der freie, weit weniger moralisch gehaltene, Umgang untereinander, wenn das mal mehr, mal weniger alltägliche Miteinander gezeigt wird. Die Verlockung wird nicht dämonisiert, ein schnelles Verzeihen wird nicht als leichtgläubig und naiv dargestellt, wir begleiten zwei Menschen, die sich ineinander verlieben, mit all ihren Fehlern und Vorzügen, in einer Phase, in welcher die Selbstfindung längst nicht abgeschlossen ist. Vieles von dem hier Gesichteten würde heute derart erzählt für Diskussionen sorgen, und damit meine ich keinesfalls die Alternativwelt hinter dem bürgerlichen Vorhang, sondern das selbstverständliche, individuelle Handeln mündiger Personen offen gelebt, ohne eine vorgegebene Norm einhalten zu müssen. Erst dieses liberale Miteinander akzeptiert, macht die gesetzlose Variante freien Denkens und Handelns, wie Jeffrey sie plötzlich erleben muss, so intensiv und diskussionswürdig.  Wiki

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