08.09.2012

DELPHINSOMMER (2005)

Die in einer Sekte aufwachsende 16 jährige Nathalie zieht mit ihrer Familie nach Berlin und wechselt dadurch von einer reinen Mädchenschule in ein städtisches Gymnasium. Die kränkelnden Worte von Mitschülern bringen sie nicht von ihrem Glauben ab, ganz im Gegenteil, sie fühlt sich von der Sekte bestätigt. Erst ihre Freundin Sibille, die unfreiwilliges Mitglied ihrer Glaubensgemeinschaft ist, weckt Misstrauen gegenüber der Kirche in Nathalie...

Lüge zum Schutz der Lüge...
 
Was Regisseur Jobst Oetzmann mit „Delphinsommer“ gezaubert hat, ist mehr als nur eine Warnung vor Sekten ohne das Abgleiten in Stereotype und Klischees, es ist mehr als ein mitreißender Film, der die Gefühlswelt des Zuschauers durcheinander bringt, es ist in erster Linie ein gut beobachtender Film, der dem Zuschauer den Freiraum lässt sich seine eigene Meinung zu bilden und dadurch sogar Freiraum lässt, am Rande eingebrachte Denkanstöße auf andere Gebiete anzuwenden, als einzig auf das Thema Sekten.

Um eine solche geht es aber nun einmal hauptsächlich. Und im Zentrum steht eine Teenagerin, die wie die meisten Jugendlichen, auf Zwang in jener Welt lebt, welche ihre Eltern für die richtige halten. Nathalie, so ihr Name, hat damit auch kein Problem, fühlt sie sich in der christlich orientierten Sekte, in der sie und ihre Eltern leben, doch recht wohl, kommt mit ihrer Mutter und ihrem Stiefvater gut aus und kümmert sich gerne um ihre Halbschwester im Babyalter.

Nathalies Welt ist von Liebe geprägt, und das strenge Festhalten an Religion und ihren Regeln wirft keinen Schatten über dieses Glück, wie man meinen könnte. Erst das Aufeinanderprallen mit der Außenwelt sorgt für erste Wunden, was das Mädchen in ihrem Glauben stützt, dass ihre Religionsgemeinschaft einen guten Schutz und eine gute Grundlage zum Leben bietet.

Dieser Erzählkniff ist gut gewählt, denn in Zeiten, in denen Menschen sich alternativer Kulturen öffnen wollen, ist es durchaus legitim auch die Vorzüge einer Sekte aufzuzeigen, bzw. die Beweggründe sich für die Mitgliedschaft in einer solchen zu entscheiden. So fühlt man sich in die Welt Nathalies ein und darf am eigenen Leib miterleben, wie diese scheinbar heile Welt ihre Risse erhält, bis sich ein tiefschwarzer Abgrund vor der scheinheiligen Fassade auftut. Nathalies „Kirche des Herren“ bietet nur so lange Wohlbehagen, so lange man sich ihren Vorstellungen fügt. Querdenker sind nicht erwünscht.

Nicht die brutalen Prügelstrafen bei Ungehorsam wecken in Nathalie den Willen zur Rebellion, sondern die diesen zuvor gehenden Lügen, die immer wieder auftreten, obwohl man von anderen stets die Wahrheit einfordert und die Außenwelt für ihre Lügen verurteilt. Da wird freier Wille nicht nur mit dem Sprechen falscher, teuflischer Zungen gleichgesetzt, da werden nicht nur Mitbürger angelogen um Mitglied der Sekte zu werden, selbst private Hintergründe enttarnen sich als Lüge. Nathalie wurde seit ihrer Kindheit mit falschen Wahrheiten großgezogen, wie sie von ihrem leiblichen Vater erfahren muss, dem der Kontakt zu seiner Tochter seit Jahren verweigert wurde.

Oetzmann spricht jeden noch so kleinen Bereich der mit der Thematik einhergeht an. Die gesetzlichen Grenzen und damit die Grenzen polizeilicher Hilfe, die Abhängigkeit einer Schutz bietenden Lebensgemeinschaft, die emotionale Unterdrückung sozial fehlgeleiteter und sozial geschädigter Menschen (besonders gut hervorgehoben im finalen Konflikt mit Sibille und ihrer Mutter) und auch die Naivität in all ihren Formen: der anfängliche naive Glaube Nathalies vor der Welt geschützt zu sein, die rebellische Naivität eines Mitschülers etwas beheben zu können, dessen Hintergründe man nicht gut genug kennt, die Naivität Sibilles sich aufgrund von gleichem Alters Nathalie anvertrauen zu können, das naive Unterschätzen vom Druck einer Sekte von Lehrerseite aus, usw.

Gerade wie der Film endet, und das wird einige überraschen, zeigt, dass Regisseur Oetzmann sich bewusst ist, nicht im Wunderland zu leben. Das Finale auf die Situation Nathalies Mutter gesehen zeigt letzten Endes auf, wie sehr manch einer die Lüge braucht, um ein Leben zu führen wie man es möchte. Dieses Fazit von mir ist aber eigentlich bereits zu wertend ausgefallen, da sich die Mutter der Lügen schließlich bewusst ist und weiß, dass sie mit den Schattenseiten ihres Wahllebens mit ihrer bisherigen Art nicht in Berührung kommt.
 
Und spätestens hier kann man zwischen den Zeilen das Hauptthema Sekte fallen lassen. Dieser durch eine Alternativgesellschaft für den Zuschauer besonders sichtbare Punkt, lässt sich auf das Leben eines (fast) jeden anwenden. Ein gewisser naiver Glaube trifft alle, die möglichst sorgenfrei leben wollen. Die Demokratie wird schon alles richtig machen. Das Leiden im Ausland kann man ausblenden. Von der Macht der Mafia im Alltag bekommen wir nichts mit. Jeder Mensch ist gleich und hat somit die gleichen Rechte. Und jeder darf glauben was er will. Kurze Blicke hinter die Kulissen machen einem Angst und machen klar, dass es den von so vielen Menschen gewünschten Schutz nicht wirklich gibt. Er lässt sich nur durch Illusion leben.

Ob Nathalie diese Lektion gelernt hat, wird nicht ganz klar, weiß man doch nicht ob ihr bewusst ist, dass dieses Thema weiter reicht als lediglich bezogen auf den Sektenbereich. Wahrscheinlich ist sie sich dessen nicht bewusst, ist sie doch erst 16 Jahre, in einem Elternhaus aufgewachsen, das einen nicht mit weltlichen Informationen gefüttert hat und gerade den klammernden Armen einer Sekte entkommen. Wie soll sie sich also einer solchen Thematik bewusst sein, der sich selbst mancher Zuschauer beim Gucken dieses Filmes nicht bewusst wird?

„Delphinsommer“ ist vielschichtig anwendbar und funktioniert nicht nur wegen seiner packenden, mitreißenden Geschichte so überdurchschnittlich gut und nicht nur wegen seinem starken Bezug zur Realität ohne je reißerische Klischeegebiete anzureißen. Er schaut sich u.a. auch so gut, weil er in jeder Rolle hervorragend besetzt ist. Am deutlichsten stechen die Darsteller von Nathalie und ihrem Stiefvater hervor, geschulte Augen erkennen jedoch auch das vielschichtige Spiel von Sophie Rogall, welche die Nebenrolle der Sibille spielt. Auch Figuren, wie die der Mütter, MitschülerInnen und des leiblichen Vaters sind glaubhaft verkörpert.

„Delphinsommer“ schürt keinen Hass und keine Vorurteile, sondern zeigt auf sensible Art auf, wie schnell man sich von der eigenen Wahrnehmung belügen lassen kann und dies teilweise auch möchte. Der Film dämonisiert keine Sekten, sondern weckt lediglich das Gefühl trotz allem Akzeptieren alternativer Kulturen kritisch bleiben zu dürfen, ein Recht von dem man oft das Gefühl bekommt, dass es viele mittlerweile abgelegt haben.  OFDb

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