Die Epileptikerin Michaela beginnt ein Studium. Sie genießt den
Abstand zum strengen Elternhaus und gewinnt neue Freunde. Ihr
Gesundheitszustand verschlechtert sich jedoch. In ihrem Zustand glaubt
sie von Dämonen besessen zu sein und wendet sich als gläubige Katholikin
an die Kirche. Einer der Pfarrer bestätigt sie in ihren Vermutungen,
ein anderer glaubt nicht an eine Besessenheit...
Zum Teufel mit den Pillen!...
Was uns „Der Exorzismus von Emily Rose“ auf dem Horrorweg erzählte, zeigt uns „Requiem“ in einem Drama. Beide Filme basieren auf dem selben wahren Fall aus den 70ern in Süddeutschland, beide sind abgeändert von der Wahrheit. Dennoch bleibt „Requiem“ den echten Geschehnissen treuer.
Die zweite Verfilmung dieses abscheulichen Verbrechens ist auf dem ersten Blick sehr schlicht erzählt. Der Film ist europäisches Kino, er ist sogar sehr deutsches Kino. Hier zählt keine Effekthascherei, hier steht die Psychologie und das soziale Umfeld im Vordergrund. Die Tiefe dieser beiden Bereiche wird einem nicht vor die Nase gesetzt. Man wird nicht einmal leicht drauf hingeschupst, man muss sie für sich selbst entdecken und ernten.
Genau das ist es, was ich am klassischen deutschen Kino so liebe, und genau das ist es, warum viele mit dieser Art Film nichts anfangen können. Dabei kann es so viel Spaß machen gut zu beobachten und seinen eigenen Kopf zu nutzen.
Hans Christian Schmid ist ein sehr talentierter Regisseur. Er schafft es immer wieder sich interessante Projekte an Land zu ziehen („23“, „Crazy“) und darf sich wohl glücklich schätzen, dass er wegen seines Anspruches noch nicht nach Hollywood eingeladen wurde. Was ihm da passieren würde zeigt Oliver Hirchbiegels „Invasion“, sein erster und wahrscheinlich einziger Film von dort. Schon Dario Argento und Jean-Pierre Jeunet wurden dort nicht all zu ernst genommen, und ich verstehe es ohnehin nicht, warum talentierte europäische Regisseure dumm genug sind, sich nach Hollywood locken zu lassen. Dort kann man einfach nicht frei arbeiten. Hier ist es anders. „Requiem“ ist u.a. von arte und dritten Programmen gefördert.
Die Schauspieler sind alle gut ausgewählt. Es gibt niemanden der negativ auffällt. Den Vater Michaelas mimt der Vater aus „Goodbye Lenin“. Wieder darf er eine sehr tragische Rolle spielen, da diese aber völlig anders angelehnt ist, dürfte es dennoch eine weitere schauspielerische Herausforderung gewesen sein. Die Darstellerin der Mutter spielt ähnlich gut, hat es meiner Meinung nach aber auch eine Spur einfacher gehabt.
Allein diese beiden Rollen zeigen deutlich, wie unterschiedlich man sich psychologisch entwickeln kann unter ähnlichen Bedingungen. Beide sind gläubig, beide haben diese epileptische Tochter. Die etwas extremere Gläubige ist über die Rolle der ewigen Beschützerin ihrer Tochter sehr streng geworden. Ihr entgeht, dass aus Michaela ein eigenständiger Charakter mit eigenem Willen und Vorstellungen werden muss. Der Vater hat eher Mitleid. Auch er erlebte die schlimme Krankheit seines Kindes in jeder Extreme und wünscht Michaela endlich eine Chance sich die positiven Dinge des Lebens zu greifen. Wo die Mutter soziale Fehler begeht, unterschätzt der Vater das Risiko der Krankheit und ignoriert die Empfehlungen der Ärzte.
Sandra Hüller als Michaela gebührt der meiste Respekt, sie ist eine hervorragende Schauspielerin. Das erklärt sich u.a. dadurch, dass sie vor diesem Film „nur“ Theater spielte. Sie ist auch keine Frau, die über ihr Aussehen zum Film kam, dafür sieht sie viel zu schlicht aus. Immerhin bekommt man als durchschnittlich aussehende Person interessantere Rollen. Es ist spannend die Figur der Michaela durch Hüller gespielt zu sehen und ihre Rolle durch die Geschichte zu begleiten. Es ist interessant zu sichten, wann sie christlich manipuliert wird, wann das eine Geschehen mit Medikamenten passiert und das andere ohne.
Es ist schade, dass auch „Requiem“ nicht ganz treu die wahren Begebenheiten erzählt. Mich wunderte es z.B. dass es Michaela war, die den ersten Schritt zur Kirche wagt, um das Thema Besessenheit anzusprechen. Mich wunderte es, dass der Vater trotz seines Glaubens ein vernünftiger Part war, der Michaela und dem Gottesmann die Hirngespinste ausreden wollte. Und es überraschte mich zu sehen, dass zwei Pfarrer mit unterschiedlicher Meinung an die Geschehnisse herangehen, um am Ende doch vereint mit den Eltern das Verbrechen zu begehen. Mich würde interessieren welcher dieser genannten Punkte der Wahrheit entspricht und welcher nicht.
Das Verbrechen selbst wird in diesem Film nur kurz aufgegriffen. „Requiem“ zeigt den Weg in den Exorzismus. Er zeigt uns auch den ersten Exorzismus an Michaela. Aber kurz danach blendet die Geschichte aus. Michaela unterzieht sich der Teufelsaustreibung freiwillig, geblendet durch die ständige christliche Gehirnwäsche von Kindertagen an, geblendet durch ungünstige Verkettungen diverser Situationen.
Interessant ist u.a. der Punkt des mangelnden Glaubens an die Wissenschaft. Diese ist für viele Menschen eine Ersatzreligion geworden, ein Status den sie zumindest heutzutage noch gar nicht haben darf. Interessant ist allerdings das Geheuchel des Pfarrers, der darauf hinweist, dass auch die Wissenschaft nicht alle Antworten kennt, und in solchen Punkten die Kirche der wahre Ansprechpartner sei. Unter den Teppich fallen lässt der Prediger dabei die Tatsache, dass es die Kirche über Jahrhunderte schaffte die Wissenschaft aufzuhalten. Wo könnte sie heute sein, was könnte sie heute bewerkstelligen, wenn es nicht ewig diesen Religionswahn gegeben hätte? Auch dies ist ein Thema, das versteckt in „Requiem“ zu erkennen ist, wenn auch erst durch Analyse.
Zumindest ist Michaela von ihrem Vorhaben nicht abzubringen. Mit einem Lächeln fährt sie mit ihrer Freundin heim, und der Schriftzug am Schluss verrät dem Zuschauer das erschreckende, wahre Ende der Geschichte.
Schmid schafft es die 70er Jahre authentisch wiederzubeleben. Ohnehin ist das fertige Werk sehr authentisch. Man könnte meinen der Film wäre in dieser Zeit entstanden und die Leute würden sich selbst spielen. Es findet keinerlei Manipulation statt, wie es z.B. in amerikanischen Dramen der Fall ist. Nicht einmal die Musik, die kaum eingespielt wird und wohl das häufigste Manipulationsmittel dieses Mediums ist (mittlerweile leider auch in Dokumentarfilmen), wird zum Spielball der Beeinflussung des Zuschauers.
Man kann mit völlig verschiedenen Ansichten zu völlig anderen Ergebnissen kommen, wenn man „Requiem“ gesichtet hat. Je feiner man beobachten kann, desto näher kommt man der Wahrheit. Ein großes Lob muss man hierfür an den Autor/die Autoren des Drehbuches richten. Das Schreiben einer Geschichte ohne billiges Geheuchel und ohne manipulativer Tricks ist eine Seltenheit geworden in der heutigen Medienwelt. Das macht „Requiem“ heutzutage fast zu einem Einzelstück. Und das fällt wohl nur jenen auf, die nicht nur auf das Privatfernsehen schimpfen, sondern auch auf die „Tagesschau“.
„Requiem“ ist packendes Kino. Er ist spannend ohne die übliche Vorgehensweise zur Entstehung dieses Kitzels. Wer den Kopf ausschalten möchte ist im falschen Film, der wird „Requiem“ öde finden und keine Geschichte drin entdecken. Wer das sensible europäische Kino nicht versteht wird bei „Requiem“ auf verlorenem Posten stehen. Die anderen werden einen schockierenden, sensiblen und tiefsinnigen Film entdecken, den man nicht so schnell vergisst. OFDb
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen