Auf David Fincher ist Verlass. Wenn dieser einen Thriller dreht, dann darf man etwas Besonderes erwarten. Er wiederholt sich bei seinen Werken gleichen Genres nicht, bei ihm muss man immer mit etwas Neuem rechnen. „Gone Girl“ besitzt nicht nur Finchers typisch edlen Inszenierungsstil aus Ruhe und dem Gespür für Tempo innerhalb dieser Ruhe, überraschende Wendungen und eine ungewöhnliche Art der Erzählung fordern den Zuschauer immer wieder heraus sich um zu orientieren, sich auf neue Blickwinkel und veränderte Fakten einzustellen - und diese sogar akzeptieren zu müssen, was gar nicht so leicht ist, wenn man zuvor so intensiv in eine andere Richtung manipuliert wurde.
Der Mix aus Drama und Thriller geht in seiner ersten Phase eher Genre-routiniert vonstatten, wenn auch auf hohem Niveau. Als Zuschauer weiß man nicht was man von den Informationen halten soll, die einem zugespielt werden, Nick scheint mehr als verdächtig, scheint das Unschuldslamm nur zu spielen, andererseits erwartet man eine Überraschung, die einem aus dieser Perspektive heraus hilft. Doch die Beweise schnüren sich immer enger um den Hals des Ehemanns, nicht nur zur Meinungsbildung dessen Umfeldes, sondern auch jener des Zuschauers. Nachdem dies recht lange Zeit so geht wird man plötzlich in die Wahrheit eingeweiht, und dies so schonungslos, urplötzlich und rapide, dass man kaum glauben kann was man da sieht.
Fincher schafft es mit immer neuen besorgnisrregenden Szenen, dass dieser Zustand nicht, wie man erwarten würde, nach einiger Zeit wieder verschwindet, um von nun an mit neuen Fakten klar zu sehen, man kann einfach weiterhin nicht fassen was die Wahrheit ist, und dieser Bann lässt einen bis zum Schluss nicht los. Das ist nicht nur ein großartiger Effekt, aufgrund der Ereignisse bis zum Schluss ist man gar bereit den Streifen möglichst bald ein zweites Mal zu sehen, denn so einige Dinge müssen sortiert werden, um das Gezeigte verarbeiten zu können. Nicht falsch verstehen, man ist nach dem Sichten nicht nervlich fertig wie bei Filmen a la „12 Monkeys“ oder "Das Experiment", man benötigt diese Zweitsichtung um die zweite Hälfte endgültig akzeptieren zu können.
Der Film, der sich hinter dem wundervoll doppelbödigen deutschen Titel „Gone Girl - Ein perfektes Opfer“ verbirgt, ist wahrlich ein besonderes Seherlebnis, auch wenn ihm das grandiose Etwas, welches „The Social Network“ und „Zodiac - Die Spur des Killers“ zu solch herausragenden Fincher-Filmen werden ließ, fehlt um zum Olymp des Thriller-Kinos dazu zu gehören. Den Fehler den Fincher meiner Meinung nach macht, ist dass er zur Aufklärung der Situation keine unklaren Graustufen mehr hinterlässt. Am Ende ist alles überdeutlich aufgelöst, wie extrem auch immer die Wahrheit aussieht. Restzweifel gibt es nicht.
So hat das Publikum nichts worüber es nach dem Sichten noch senieren kann. Nichts bleibt der Phantasie überlassen - abgesehen von der Schlusssituation, aber warum sollte man sich über deren Weiterentwicklung Gedanken machen, so surreal wie sie einem fast erscheint? Die Geschichte könnte nicht weiter erzählt werden, ohne zu einer schwarzhumorigen Satire zu verkommen, die man in ihrer Extreme nicht mehr ernst nehmen könnte. Von daher schließt der Film am richtigen Punkt, so lange „Gone Girl“ sich noch halbwegs in einer nachvollziehbaren Realität befindet.
Auf der Darstellerseite gibt es wahre Überraschungen zu erleben. Die mich optisch an Julia Stiles erinnernde Rosamund Pike, die mir, trotz einiger mir bekannter Filme in denen sie mitspielte, nie in Erinnerung blieb und somit nie sonderlich aufgefallen ist, spielt ihre facettenreiche Rolle in jeglicher Phase gut, vielleicht nicht immer glaubwürdig, manches mal leicht Comic-überzogen, aber auch das wusste mir zu gefallen. Zudem war es schön Neil Patrick Harris, der die einzig sympathische Hauptfigur in der überschätzten Serie „How I Met Your Mother“ spielte, einmal in einem Projekt zu entdecken, welches seine Möglichkeiten erweitert. Dementsprechen gekonnt nutzt er die Chance, so dass man hoffen darf ihn nun öfter in solchen Werken sichten zu dürfen. Und auch der manchmal aufgrund seiner Muskeln zu steif wirkende Ben Affleck überzeugt so kurz nach seiner überraschend gelungenen Darbietung in „Batman v Superman“ erneut (bzw. eigentlich anders herum, da die Filme in umgekehrter Reihenfolge entstanden sind).
Fincher hat es wieder einmal geschafft. Auch sein neuer Thriller ist wieder alles andere als Durchschnitt geworden. Und bei all den Möglichkeiten alternativer Wahrheiten, die man während des Sichtens der ersten Phase für sich als Zuschauer durchspielen kann, schafft er es, dass man selbst bei der richtigen Vermutung nie auch nur ahnen würde, wie extrem die Wahrheit tatsächlich aussieht. So oder so lässt sich die Entwicklung der Geschichte nicht vorraussehen, so sehr spielt Fincher mit den Erwartungen des Publikums. Gegen Ende wäre es mir lieber gewesen, er hätte die letzte Erwartung erfüllt, manch anderer wird den Schluss aufgrund der Bissigkeit aber sicherlich als das Pünktchen auf dem I betrachten. Mir persönlich wäre eine konventionelle erfolgreiche Flucht aus der Situation lieber gewesen. OFDb
Rosamund Pike hätte für ihre Performance eigentlich einen Oscar verdient gehabt, denn was sie hier abliefert, ist allererste Sahne...
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