Daniel Myrick und Eduardo Sanchez griffen das von Rainer Erler entwickelte Found Footage-Verfahren aus „Die Delegation“ aus dem Jahre 1970 auf und nutzten die Idee um auf pseudo-authentische Art für Grusel zu sorgen. Zwar wurde Found Footage bereits im Jahre 1980 teilweise in „Nackt und zerfleischt“ für den Horrorsektor angewendet, unheimlich sollten die Aufnahmen dort jedoch nicht ausfallen, die Ziele waren andere. Myrick und Sanchez schufen ein Werk welches entweder unheimlich langweilt oder den Zuschauer in hohem Maße gruseln kann. Seinerzeit im Kino gesichtet und einige Male allein zu Hause im Dunkeln traf auf mich letztere Wirkung zu. Ich sah ihn auf deutsch, im Originalton, einmal sogar absichtlich ohne hinzuschauen als Hörspiel: „The Blair Witch Project“ gruselte einfach wunderbar.
Nun nachdem durch „Paranormal Activity“ das Found Footage-Verfahren erst viele Jahre danach massentauglich wurde und nicht mehr nur von Filmern kleineren Kalibers wie Charles Band („Das St. Francisville Experiment“) und Oliver Hummel („The Dark Area“) umgesetzt wurde, sondern mit „Cloverfield“ und Co auch von großen Studios, wurde es reizvoll sich noch einmal den ersten großen Kinoerfolg des pseudo-dokumentatorischen Handkamera-Stils anzusehen, erst recht nachdem erst kürzlich „Blair Witch 3“ für Ernüchterung sorgte. Gesichtet habe ich das Original in geselliger Runde, was keine gute Ausgangslage dafür war, dass er wie einst hätte gruseln können. Das war aber auch ganz gut so, denn so erfuhr ich nach all den Jahren, dass er viel mehr als dies kann.
Dass „The Blair Witch Project“ sich äußerst unheimlich anschauen kann (anbei auch ohne den damals angegangenen Internet-Hype und auch dann, wenn man die Aufnahmen nicht für echt hält), hatte der Film mir bereits damals bewiesen, um dies zu bestätigen war eine Neusichtung nicht nötig. Nachdem ich diese aber nun doch angegangen bin, habe ich mich hinterher gefragt, warum jene, die nicht den kindlischen Ängsten in dunklen, verwackelten Bildern im Wald erliegen können, nicht anderweitig mit dem Film zufrieden waren, ist er doch auch als theoretisch geguckter Film ein packender Horrorbeitrag. Er funktioniert als Kunstfilm mit seinen auf eigenständige Art eingefangenen Bildern, die es vergleichsweise in ähnlich gearteten Found Footage-Horrors so nicht noch einmal gab, ebenso, wie als Charakterstudie sich verlaufender Jugendliche der Moderne. Er funktioniert als Unterhaltungsfilm ebenso wie intellektuell gesichtet. Was gibt es an „The Blair Witch Project“ zu meckern?
Einzig das dümmliche Verhalten dem Flussverlauf nicht folgen zu können und den Sonnenstand nicht für den Ausweg aus den dichten, tiefen Wäldern zu nutzen, verärgert an der hier erzählten Geschichte. Diese Punkte werden nie angesprochen und lassen die jungen Leute eine Spur dümmlicher wirken als sie eigentlich sind. Der Rest strahlt jedoch eine solch authentische Wirkung aus, dass „The Blair Witch Project“ auch im Nichtgrusel-Modus einfach zu fesseln weiß. Den Darstellern kauft man ab genau der Charakter zu sein, den sie spielen. Man würde nie eine andere Person hinter ihnen vermuten. Und das Schrittchenweise angegangene emotionale Entdriften ist psychologisch glaubwürdig eingebracht und auf die hier präsentierten Figuren genauestens abgestimmt.
Die wichtigste Rolle um diesen Prozess zu beschleunigen stellt hierfür Heather da, die bereits in der Vorphase bestimmerisch, verwöhnt und mit klassischem Mädchenbonus versehen, nicht gerade den Eindruck einer sympathischen Person macht. Mit ihr gemeinsam im dichten Wald verloren zu gehen wird zum reinen Horror, reizt sie doch selbst die Nerven des Zuschauers, so dass dieser sich toll mit den beiden Männern der Gruppe identifizieren kann. Klar kann man von Heather derart genervt sein, dass der eigentliche Film einem damit auf den Senkel geht, man kann „The Blair Witch Project“ aber auch mit eingeschaltetem Kopf sichten und die Chancen erkennen, die er damit bietet.
Denn nach anfänglichen Ärgernissen Heather gegenüber kommen nun noch wunderliche Konfrontationen mit wem unsichtbar agierend Unbekanntes, Kälte, Hunger und Angst als Faktoren hinzu, die nicht gerade dabei helfen die höflichen Umgangsformen aus der Zivilisation beizubehalten. Myrick und Sanchez begehen nie den Fehler die Drei all zu sehr abdriften zu lassen. Der Grad der Aggression bleibt stets realistisch und wird nie für Horrorfilmgewohnheiten übertrieben und verfälscht. Stets versucht man einander wieder zu beruhigen, bekommt noch einmal die Kurve, aber Ausraster stehen auf der Tagesordnung. Es sind die Jungs die sich umeinander kümmern, die einander schonen um Ruhe zu bewahren. Heather hingegen treiben egoistische Gründe voran, sie unterlässt ihr penetrantes Nachfragen nach Nichtigkeiten nicht einmal wenn es wem psychisch gerade sehr dreckig geht. Freilich hält sie sich selbst für ungeheuer umgänglich.
Selbst in der deutschen Synchronisation spielt der Ton eine wichtige Rolle für die erzeugte Authentizität. Wer Heather einmal hat verzweifelt kreischen hören, der glaubt sie wäre echt, schreit sie doch keinesfalls Kino-typisch. Und man darf sich fragen, warum ein so lebensechtes Verzweifeln im Tonbereich nie wieder, all die Jahre nach „The Blair Witch Project“, verwendet wurde, wenn das Ergebnis dieser Tonlage doch ebenso nervt wie überzeugt. Horrorfilme bestehen aus allerhand angespannten Situationen. Eine Möglichkeit jemanden wie Heather artikulieren zu lassen ist in der Regel zuhauf gegeben.
„The Blair Witch Project“ hatte seinerzeit eine derartig unheimliche Wirkung auf mich, dass meine Lieblingsszene, der in der Ecke stehende Mike, mir allein bei dem Gedanken an den Film eine Gänsehaut beschert hat. Nachdem ich den Grusler gestern gesehen habe ohne mich zu gruseln, fasziniert selbst diese Szene noch, fragt man sich doch unweigerlich, gerade nachdem man Mike so gut kennen lernen durfte, welch starker Macht er wohl unterliegen muss, um zu tun was wir für wenige Sekunden zu sichten bekommen. Gerade ist er noch hysterisch durch ein plötzlich entdecktes, verfallenes Haus gelaufen, und im nächsten Moment steht er brav in der Ecke, so wie es ein Interviewter zu Beginn des Streifens zum Thema der Hexe von Blair beschrieben hat. Dieses Gedankenspiel ist bereits in der Theorie unheimlich.
Zudem ist der in der Ecke stehende Mike optisch eingefangen die Hauptattraktion eines ohnehin kunstvoll abgefilmten Szenarios. Wer mit verwackelten Aufnahmen etwas anfangen kann (und in „The Blair Witch Prohject“ wird mehr gewackelt als in so ziemlich jedem anderen Found Footage den ich sichten durfte), der kann in der Schönheit der Aufnahmen verloren gehen, die man als eine Kunst des Reduzierens verstehen kann. Vom professionellen Abfilmen abgewendet, hin zur amateurhaft verwackelten Optik im theoretischen Sinne, aber doch einen eigenen Look erhaltend. Bilder aus „The Blair Witch Project“ erkennt man direkt als solche wieder. Aufnahmen vergleichbarer Filme im Wald sehen anders aus. So leicht wie es klingt lässt sich der Aufnahmestil des hier besprochenen Streifens nicht kopieren.
Dies betrifft aber ebenso die Glaubwürdigkeit des Filmes. Wo in „The Dark Area“ und in „RAW - Der Fluch der Grete Müller“ untalentierte Filmemacher am Werk waren, denen die Empathie fehlte sich ins Geschehen und in die Personen hineinzuversetzen, erlebt man in „The Blair Witch Project“ genau das Gegenteil, vorausgesetzt man ist empathisch genug um dies entdecken zu können. Falls nicht bleibt ein Langeweiler, der mit plumpen Geräuschen für Angst sorgen soll und verwackelt Waldaufnahmen bei Tag und Nacht zeigt. Ein solches Empfinden ist keine Seltenheit beim Publikum vom „Blair Witch Project“, so ziemlich die Hälfte aller Zuschauer empfindet so. Mir könnte nichts ferner liegen, mag ich den Film doch sowohl für seine intellektuelle, wie auch für seine gruselige Seite. Beide Trümpfe sind nur bei sensiblem Herangehen an den Stoff zu erfahren. Und allein dafür erntet der Film meinen Respekt. OFDb
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen