Liest man die Geschichte um Kinder, die bis auf wenige, kurze Ausnahmen, nie ihre Wohnung verlassen haben und die Außenwelt lediglich über Kinofilme kennen gelernt haben, erwartet man im RTL-Reportage-Stile stark gestörte Individuen, die zu keinem vernünftigen Dialog in der Lage sind und ein stark asozial geprägtes oder introvertiertes Verhalten an den Tag legen. Da darf man schon überrascht sein, wenn uns „The Wolfpack“ ganz im Gegenteil fast erwachsene Menschen präsentiert, die zur klaren Artikulation und zur Reflexion in der Lage sind und einen sozial geprägten Eindruck machen. Das macht die Aussagen aus erster Hand um so interessanter, kann man sich solch ein Leben doch kaum vorstellen.
Um so ernüchternder ist es festzustellen, dass die Dokumentation sich viel mehr Zeit für die Filmvernarrtheit der Wolfskinder nimmt, anstatt die Hintergründe zu beleuchten. Worte aus erster Hand schön und gut, aber wie steht es um die Meinung von Psychologen und Sozialbetreuern? Wo sind die Worte möglicher Ermittler vom Sozialamt oder von der Polizei, die Hintergründe erleuchten könnten, von denen die Familie vor der Kamera nicht gewollt ist zu reden? Das würde helfen so manches in der Luft schwebende Rätsel zu lösen.
Was genau sah der Vater als seine Mission an? Wieso ließ die Mutter all dies zu, wenn doch einzig dem Vater die Buhmann-Karte zugeschoben wird? Warum ließ auch sie sich einsperren? Warum hieß sie dieses Verhalten zunächst gut und später nicht? Meist werden derartige Themen nur angedeutet. Wie sich die neunköpfige Familie allein über Sozialhilfe mit all den eingekauften Filmen finanzierte wird ebenso wenig klar. Zwar ist es schön, dass auch der Vater zu Wort kommt, doch Fakten erfährt man über ihn nicht. Seine Worte helfen lediglich den gestörten Charakter zu erkennen, den auch die Kinder in ihm sehen. Er redet stets von den übergeordneten Dingen und Regeln im Leben, nie von sich selbst. Reue sieht anders aus.
Der Blick aus dem Fenster zeigt die wahre Welt der Großstadt. Trotz diverser Kommentare wird nie ganz deutlich warum der Wunsch auszubrechen so lange unterdrückt wurde und erst nach 15 Jahren in die Tat umgesetzt wurde. Auch das Leiden eingeengt wird nicht thematisiert. War es denn tatsächlich so schön miteinander auf so engem Raum zu leben? „The Wolfpack“ zeigt lediglich den sozialen Zusammenhalt der Kinder untereinander und zur Mutter, inklusive Erweiterung dieser Thematik über eine telefonische Versöhnung zwischen Mutter und Großmutter. Aber war das Leben, so schön man es sich auch mit dem Nachspielen diverser Filme im Stile eines „Abgedreht“ gemacht hat, allein aufgrund der Gewöhnung so einfach zu durchleben wie es hier den Eindruck macht? Oder vermittelt der Film gar lediglich den falschen Eindruck, durch seine viel zu fröhliche Art? Ist man einfach vorbelastet von der Idee eines „Nell“, dass man in den Geschehnissen etwas Tragischeres sehen möchte, als es letztendlich war?
Dass die Mutter gehauen worden sei, wird erwähnt. Dass man ängstlich aufgewachsen ist, wird erwähnt. Und doch sehen wir meist nur heitere Heranwachsende, die kopfschüttelnd verstehen was ihr Vater ihnen angetan hat, aber auch nicht bereit sind sich von Null auf Hundert der Welt zu öffnen. Der Sohnemann zieht in eine eigene Wohnung. Ein großer Schritt ist getan. Die Jobsuche war auch erfolgreich. Echter Kontakt zum Vater findet nicht statt. Wie sahen die Konsequenzen vom Gesetz her aus? Gab es welche? Das sind zu wenig Informationen auf Spielfilmlänge zu einem hochinteressanten Thema, und das sind mit dem Zeigen der Filmbegeisterung in vielschichtiger Form falsche Schwerpunkte. „The Wolfpack“ bleibt zu theoretisch, lässt einen nicht heran, obwohl er ganz persönlich tief eintaucht. Ein wunderliches Ergebnis! OFDb
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