04.10.2020

LÄRM UND WUT (1988)

Nicht selten spielen Sozial-Dramen in den Hochhausschluchten großer Städte, in welchen Menschen mit geringem Einkommen, mangelnder Bildung und geringer Zukunftsperspektive zusammenkommen. Der Spielort dieser Sozialbauten holt die Protagonisten dort ab, wo sie sich tatsächlich befinden, ist diese Beton-überwucherte Gegend doch gleichzeitig ein Spiegelbild der Hoffnungslosigkeit. Der Ort gibt sich keinen Illusionen hin. Und diesbezüglich ist "Lärm und Wut" keine Ausnahme, zelebriert er diese graue Tristesse doch regelrecht, eine dumpfe Gesellschaft zeigend, die Handlungen und Überzeugungen nachgeht ohne nachzudenken. Ob es die skrupellose Straßen-Gang ist, der immer etwas minderbemittelt scheinende Bruno, der gewalttätige Vater Jean-Rogers, der eine eigene Arbeiterwelt-Philosophie in seinem verbitterten Geist zusammen gezimmert hat, oder die Mutter Brunos, die wir nur über Schriftverkehr mit ihrem Sohn kennenlernen, und nicht begreift was sie Gutes tun wollend, indem sie per Arbeitengehen einen Ausweg aus dem Loch sucht, ihrem Kind an nahezu irreparablen Schaden zuführt, sie alle leben stumpf vor sich hin, egal wie aktiv sie ihr Leben auch leben mögen, egal wie sehr sie sich der Illusion der Richtigkeit ihrer Denkversuche und Bewältigungsmethoden auch hingeben. 

Aber Jean-Claude Brisseaus Jugend-Drama ist mehr als der übliche Blick auf die Unterschicht. Er hebt sich von den oftmals selbstherrlich scheinenden Bedauerungs-Perspektiven und pseudo-kritischen Gesellschaftsstudien ab, liefert der gute Mann doch ein bizarres Werk, welches stets zwischen Authentizität und surrealem Geschehen hin und her pendelt. Das betrifft nicht nur die in Fantasy-Szenen getauchte Symbolik der entrückten Gedanken Brunos, auch die sehr direkte brutale Haltung von Jean-Rogers Vater kann man mit seinem Schießübungen in der Wohnung und der radikalen, unversteckt verbrecherischen Art nicht gerade als realitätsnah bezeichnen. Dieser direkte, keineswegs subtile Weg schadet "De bruit et de fureur" (Originaltitel) jedoch nicht, sondern macht ihn, auch im Hinblick auf die dadurch möglichen analytischen Aussagemöglichkeiten, zu einem tatsächlich tiefsinnigen Werk, mehr als es die pädagogisch ausgefallenen Sozial-Dramen oft erreichen. Zwar bin ich auch von diesen oft angetan, aber sie machen es sich im Vergleich zu leicht, wohingegen der mutige Umgang Brisseaus in diesem bizarren Mix zu einem wahren Kunstwerk wird, zu etwas das tatsächlich Arthouse-Niveau hat und mehr zu einem Cineastenschatz wird, als manch offizieller Arthouse-Beitrag. Das Label Bildstörung, unter welchem "Lärm & Wut" in Deutschland glücklicher Weise auf DVD erschienen ist, ist bekannt dafür wahre Schätze des Mediums zu veröffentlichen. Wünschenswert wäre es, wenn selbiges Schicksal eines Tages auch "Kleiner Spinner" ereilen würde, den ich noch eine Spur besser finde als den ohnehin schon geglückten, hier besprochenen Streifen. Im Gegensatz zum Vergleichsfilm kommt "Sound and Fury" (Alternativtitel) jedoch nicht als humoristische Satire daher, die Extreme in welche der Regisseur manch traurige Realität hier taucht, mutet manches Mal jedoch als Satire an, so bitter und eiskalt sie auch verpackt sein mag. 

Das traurige, recht ähnlich debile Innenleben der beiden im Zentrum stehenden Jugendlichen, die im Ausleben ihrer mangelnden Empathie, der nicht geförderten Selbstreflexion und ihrer verkümmerten Gefühlswelt völlig verschieden sind, im Grunde aber an ähnlichen Symptomen leiden, wird herausragend herausgearbeitet und weiß dementsprechend zu überzeugen. Während der eine mit seinem auffälligen Verhalten zu einem Problem wird, welches das System gar überfordert, solange kein Schwerverbrechen stattfindet, fällt der verkümmerte Geisteszustand des anderen Kindes den Erwachsenen nicht einmal dann auf, wenn sie sich intensiver mit ihm befassen. Ein Kritikpunkt daran, wen unsere Gesellschaft rettet und wer durch das Sozialsystem durchfällt, wäre als mögliche Aussage zu entdecken, was sich mit der bitteren Reaktion der Lehrerin zum Filmende zu bestätigen scheint. Ein wundervoller Schluss, in welchem wir den geschriebenen Worten einer der beiden Hauptfiguren per Off-Kommentar lauschen, baut eine Brücke zwischen den fantastischen Aspekten Brunos Traumwelt und der Symbolik, für die sie eigentlich standen, auf. Mit diesem irreführenden Zwischenzustand, die der Zuschauer mit dieser Methode beschert bekommt, bekommt "Lärm und Wut" zum Schluss gar eine poetische Note und schließt damit unglaublich intensiv, so dass man sich gar kein anderes Ende vorstellen möchte. Trotz seiner sozialkritischen Ansätze und Vertiefungen der in Dramen oft thematisierten Unterschicht, ist "Lärm und Wut" eher ein Film für Querdenker, für Zuschauer die offen an experimentelle Methoden und Aussagen außerhalb des Mainstreams herangehen und auch über den eigenen Tellerrand hinweg gucken können. Jeder andere ist herzlich eingeladen stattdessen eher Werke wie "Kroko" und "Guten Morgen, Herr Grothe" anzugucken. Doch auch wenn ich den zu einfachen Weg, den diese Vergleichsfilme gehen, im hier vorliegenden Text kritisiere, so mag ich als vielschichtig interessierter Filmfreund jedoch auch diese, sofern sie so gut reflektiert sind wie Erstgenannter.  OFDb

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