14.03.2021

DAS HERZ IST EIN DUNKLER WALD (2007)

Ebenso wie in ihrem erst neun Jahre später entstandenem Folgefilm "Wild" fängt Nicolette Krebitz den Alltag Deutschlands höchst realistisch ein, so als wäre alles was wir miterleben authentisch, anstatt vorgespielt. In nüchternen Bildern werden die Situationen Maries in einer Selbstverständlichkeit vorgetragen, so dass dem mündigen Zuschauer nichts weiter erklärt wird. Er hat selbst zu entdecken, selbst mit dem Gesehenen umzugehen, muss selbst interpretieren was das alles nun soll. Die Szenarien werden als selbsterklärend vorgesetzt, und wenn Marie geistig, völlig verständlich aufgrund des plötzlichen Erwachens ihrer bisherigen Realität, etwas entrückt ihrer kleinen Wege ihres kleinen eigenen Kosmos geht, dann mutet manches aufgrund dieses direkten, unverschönten Erzähltons etwas grotesk an, was mitunter auch an dem ungewöhnlichen Spielort im letzten Drittel des Streifens liegt, den durch die Kunstszene nicht gerade alltäglichen Menschen, die dort vor Ort sind, und dem Unterschied, dass einiges von dem, was wir sehen, Marie durch ihren Alltag und ihre Vergangenheit bekannt ist, uns hingegen nicht.

Krebitz setzt kleine, fast schon subtile Alarmsignale ins Handeln Maries. Sie lässt ihre Kinder schlafend allein zu Haus, äußert manche selbst den Umständen unpassende Bemerkungen. Dennoch wirkt ihr Zustand bis kurz vor Schluss nachvollziehbar leicht entrückt. Dass sie, wie ihre Geistesgenossin aus dem brillanten Folgewerk der Regisseurin, den Pfad der Klarheit endgültig verlässt, versteht man erst in der mutig gespielten, sehr lang eingefangenen, Nacktszene, und selbst dann weiß die finale Tat unangenehm zu überraschen. Dies aber nicht des bewusst gesetzten Schocks wegen, sondern viel mehr einer Unglaubwürdigkeit geschult. So wunderbar surreal auch alles noch so klar und direkt Abgefilmte im letzten Drittel anmuten mag, man kauft Marie die Tat nicht ab, nicht einmal das zu extreme psychologische Abdriften zuvor, und mag es sich auch noch so langsam entwickeln. Dass einen der nur per Geräusche im Off präsentierte Schluss dennoch nicht kalt lässt, liegt u.a. an der vorbildlich natürlichen Besetzung von Maries Kinder, die man in nur wenigen Augenblicken in sein Herz schließt. Die Mutter hingegen, so kühl wie sie uns schon vor dem Erwachen präsentiert wird, wird stets mit etwas zu viel Distanz gezeigt und wird damit zu sehr theoretischer Teil im absichtlich gefühlsreduzierten, nicht künstlich manipulierenden, Stil des Streifens. 

Das mag zum gewählten Umfeld Maries passen, der unsensible Umgang der neuen Ehefrau und ehemals guten Freundin Maries, sowie die chauvinistische Art von Thomas und seinen Bandkollegen, zeigen eine der Empathie kaum fähige Gesellschaft, in deren Radius Marie zumindest bis vor kurzem noch verkehrte. Vielleicht greift Krebitz auch deswegen in den zwischenmenschlichen Rückblicken, welche die vergangene Gefühlswelt der Partnerschaft zwischen Marie und Thomas betrifft, auf reines Theater zurück. Hier agieren die beiden Schauspieler auf leerer Bühne, ihre Dialoge so vortragend wie in einem Theaterstück. Mich hat es jedes Mal aus dem Film gerissen, einem Werk, welches mich ohnehin zu sehr auf Distanz hielt. Mag der Stil auch psychologisch durchdacht sein, ja selbst die Geschichte an sich sogar, so verfehlt "Das Herz ist ein dunkler Wald" seine psychologische Wirkung jedoch an mir, dem Zuschauer, eben weil ich nicht Teil von Maries Gefühlswelt, und damit einhergehend mit ihrer geistigen Entrückung, wurde. Der Film ist hervorragend gespielt, der Stil gnadenlos realistisch, das macht die Unglaubwürdigkeit der finalen Taten aber umso unangenehmer. Zudem fühlt sich das grotesk anmutende, aus einer apathischen Tagtraum-Perspektive eingefangene, letzte Drittel eher ernüchternd und befremdlich an, anstatt faszinierend, bedenklich und verstörend. Krebitz gelingt all dies nicht, was sie mit "Wild" hingegen so lobenswert zu erreichen wusste. Das mag bei anderen Zuschauern aber sicherlich ganz anders funktionieren, immerhin finden die "Schwächen" des hier besprochenen Dramas in meinem Kopf statt und nicht auf dem Bildschirm.  OFDb

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