12.03.2022

DAS RÄTSEL VON PISKOV (1969)

Ein Jahr bevor Rainer Erler mit seinem Geniestreich "Die Delegation" mittels einer Fake-Reportage die Filmmethode des Found Footage erfand, wurde im Auftrag des Südwestfunks eine ebensolche zum Thema Zeitreise gedreht. In dieser reist ein Reporter-Team in den kleinen tschechischen Ort Piskov, weil dort vor wenigen Tagen alle Uhren stehen geblieben sind. Nachdem die Uhren wieder einsetzten, bewegte sich die Sonne sprungartig auf die mittlerweile erlange Tageszeit. Bei ihren Recherchen stoßen die beiden Reporter auf einen Wissenschaftler, der behauptet einer Frau aus der Zukunft begegnet zu sein. Ebenso wie in Erlers Vergleichsfilm geht es in "Das Rätsel von Piskov" weniger um die tatsächlichen Science Fiction-Ereignisse, also um das klare Aufdecken dessen was passiert ist, sondern um den Menschen der damaligen Gegenwart inmitten rätselhafter Ereignisse. Während "Die Delegation" ein komplexes Psychogramm eines Mannes zauberte, der sich vom Realisten zum Esoteriker wandelte, geht es im hier besprochenen 70-Minüter um den beschränkten Wahrnehmungshorizont des Menschen. Im Gegensatz zu typischen Science Fiction-Stoffen wird die Geschichte nicht von der aufgeklärten Seite erzählt, die uns mit ihren Kenntnissen mit an Bord nimmt, um aus dieser Perspektive auf ahnungslose, bzw. nur bedingt verstehende Menschen zu stoßen, wir werden stattdessen im Gegenzug in die unvorbereitete Position versetzt, um nachvollziehen zu können, wie es sich anfühlt, wenn plötzlich etwas Unbegreifliches, allein gelassen mit unserem Wissensstand aus dem Alltag, um uns herum passiert. 

Karl Peter Blitz' Ausnahmefilm, der nur selten gesendet wurde und glücklicher Weise von Pidax den Weg auf DVD fand, schließt gar nicht vollkommen aus, dass alles auch dem Irrsinn eines Kranken entsprungen sein kann. Aber mit der Diskussion diverser Herren und Damen verschiedenster Fachkenntnis-Bereiche zeigt der Film auf wie schwer es selbst noch so gelehrten Leuten fällt sich bereits philosophisch im "Was wäre wenn"-Ansatz dem Thema zu nähern. Gerade in diesem Bereich ist der Streifen intelligent erzählt, da er verschiedene Denkversuche und Denkverweigerungen aufzeigt, in der Diskussion aufeinander stoßen lässt und den Zuschauer, vorher mit Sensationslust angesteckt, mit sich und seinen Eindrücken schließlich alleine lässt. Das weiß zu gefallen, gerade in der fast komplett authentisch dargebotenen Art und gefällt umso mehr, da vereinzelt in der Geschichte auftauchende Elemente von der Zeit eingeholt wurden, nun über 50 Jahre nach Entstehung dieses Filmes. Dass zudem Hannelore Elsner in recht frühen Jahren in diesem für sie ungewöhnlichen Stoff in einer Hauptrolle auftaucht, macht die Sache nicht uninteressanter. Ein Found Footage ist "Das Rätsel von Piskov" nicht, er ist eine Fake-Reportage, die sich gegen Ende einer gefundenen Tonaufnahme als erster Schritt in diese Richtung bedient. Damit bleibt Erlers Werk im Vergleich revolutionär. Aber auch "Das Rätsel von Piskov" sollte man als interessierter Cineast, gerade in den Bereichen Science Fiction und Fake-Doku unbedingt geben. Er ist wahrlich ein Geheimtipp, der auf spannende und intellektuelle Art zum Phantasieren und Nachdenken anregt, entstanden in einer Zeit, in der noch erfreulich experimentell mit unseren Rundfunkgebühren umgegangen wurde.  OFDb

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen