04.09.2012

AUGEN OHNE GESICHT (1959)

Ein Arzt entführt junge Frauen und nimmt ihnen ihre Gesichtshaut ab, da er seiner durch einen Unfall verunstalteten Tochter mit einer Gesichtstransplantation helfen will...

Erwachsenenkino mit künstlerischem Wert...
 
„Augen ohne Gesicht“ ist ein Horrorfilmerlebnis, in dem alle wichtigen Genredekaden aufeinander stoßen, sogar jene die zur Entstehungszeit noch Zukunftsmusik waren. Das allein würde den Film schon sehenswert machen, aber auch die Inszenierung ist von einem solch künstlerisch wertvollem Niveau, dass spätestens diese zum Einschalten verführen sollte, auch bei Cineasten, die Horror nur als Ausnahmekost verzehren. Denn „Das Schreckenshaus des Dr. Rasanoff“ (Alternativtitel) ist eben genau jene Ausnahme.

Dabei klingt die Geschichte selbst gar nicht sonderlich aufregend. Sie ist schlichter Natur, bietet zwar auch für den Unwissenden tolle Überraschungsmomente, doch gerade Richtung Finale gibt es davon keine mehr, ab da verläuft der Film inhaltlich wie zu erwarten.

Bei all den Pluspunkten des Streifens ist dies auch gar nicht schlimm. Die Musik bietet in ihrem Hauptthema eine Jahrmarkt-ähnliche Melodie, die dennoch eine unheilvolle Wirkung ausstrahlt. Die Darsteller sind allesamt hervorragend besetzt, insbesondere der Schauspieler des Dr. Genessier, der mit ernster Mine und mit dauerhafter emotionaler Zurückhaltung sehr diabolisch wirkt. Die Kamera fängt tollste Bilder ein. Das Drehbuch, von der Schlichtheit seiner Story einmal abgesehen, baut keine Schnitzer. Und die Regie überrascht mit einer stimmigen Umsetzung, einer Inszenierung die nie einen atmosphärischen Einbruch erfährt. Kurzum erschafft Regisseur Georges Franju hier ein kleines Wunder.

Dieses Wunder tritt, wie eingangs erwähnt, auch in einem völlig anderen Bereich ein. Hier treffen verschiedene Generationen Horrorfilm aufeinander, auch zukünftige. Mitunter weil häufig nur das nötigste gesprochen wird, und es längere Passagen komplett ohne Text gibt, erscheint „Augen ohne Gesicht“ häufig wie ein Stummfilm. Die tollen Bilder in schwarz/weiß, das klassische Verhalten der Figuren, sie alle erinnern an diese Pionierzeit des Mediums Film. Die Geschichte selbst passt geradezu klassisch genau in die Genrezeit von 1930 – 1970, jene Zeit, die vor dem Terrorkino gewohnte Pfade des Gruselns abgraste. Das gnadenlose, wenn auch vergleichsweise unblutige, Kameradraufhalten bei einer Operation, bei der einer jungen Frau das Gesicht vom Kopf gestohlen wird, nimmt die voyeuristischen Werke unserer Zeit a la „Saw“ vorweg. Diese bitterböse Szene wird gerade für Genrefremde eine interessante Prüfung sein. Der Voyeurhorror heutiger Tage baut natürlich auf dem Terrorkino der 70er und 80er Jahre auf, von dem, wie bei dieser Aufzählung nicht anders zu erwarten, ebenfalls wieder Elemente in Franjus Film enthalten sind.

Wenn wir eine junge Frau sichten dürfen, die wegen eines entstellten Gesichtes eine Gesichtsmaske tragen muss, erinnert dies unweigerlich an Hoopers „Blutgericht in Texas“, ebenso wie die Thematik rund um den Gesichtsdiebstahl. Die besagte Frau wirkt wie ein puppenhafter Leatherface (vielleicht etwas wie jener unbeliebte aus Teil 4). Sie trägt zwar keine falsche Haut, aber sie hat eine Porzellan-artige Maske und wirkt mit ihr, obwohl sie ein tragischer Part der Geschichte ist, unheimlich. Durch den Verlust ihres Gesichtes und durch die Geschehnisse im Haus ist auch ihr Geisteszustand nicht mehr gesund zu nennen, wirklich vergleichbar mit dem komplett degenerierten Gehirn von Leatherface ist es jedoch nicht.

Es treffen Horrordrama a la „Frankenstein“, Terrorkino a la „Blutgericht in Texas“, Gruselfilm a la „Nosferatu“ und Psychohorror a la „Stepfather“ aufeinander, die sich alle wiederum mit dem Genre des Kriminalfilms vermischen.

Eine echte Identifikationsfigur gibt es im „Schreckenshaus des Dr. Rasanoff“ nicht. Franju bedient sich ständig der Figuren, die er gerade benötigt um die Geschichte vorwärts zu bringen. Im Mittelpunkt steht theoretisch der Arzt, phasenweise erleben wir den Film aber auch aus Opfersicht, aus der Polizeiperspektive, aus der Position Dritter und hin und wieder aus der Position der Arzttochter. Vielleicht hat der Film auch deshalb eine so nüchterne Wirkung in seiner Bedrohlichkeit. Gebannt schaut man sich an, was einem serviert wird, ein Mitfiebern im klassischen Sinne gibt es eigentlich nicht, meist nur kurz im Ansatz.

Erfreulich ist auch, gerade mit den Werken von heute im Rücken, wie erfrischend erwachsen Franju mit dem Zuschauer umgeht. Er hält ihn für intelligent genug seine eigenen Beobachtungen zu machen. Manche Tatsachen werden deutlich von der Kamera eingefangen, ohne gleich zusätzlich in Worten benannt zu werden. Auch eine Moral wird dem Zuschauer nicht aufs Auge gedrückt. Der Konsument ist hier noch mündig, und darf sich dementsprechend aus dem Gesehenen selbst ein Urteil bilden. Dies ist eine Freiheit, die es in kaum einem Werk aus Amerika zu genießen gibt, eine Tatsache mit der „Augen ohne Gesicht“ spätestens seine europäische Herkunft preisgibt.

Trotz der routinierten Hauptgeschichte ist Franjus Film jedem Cineasten ans Herz zu legen. Hier wird Kino noch als Kunstrichtung verstanden und der Zuschauer für mündig erklärt. Hier treffen fast alle Horrorrichtungen aufeinander und der Unterhaltungswert ist dank einer nüchternen und gleichzeitig Furcht erregenden Atmosphäre sehr hoch.  OFDb

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