04.02.2018

MEIN ENGEL (2016)

Zum Thema Unsichtbarkeit gibt es die verschiedensten Stoffe. Gerne wird die Idee des Nichtzusehenden im Horrorbereich umgesetzt, aber schon von früh an gab es Alternativen wie „Die unsichtbare Frau“, die sich durchaus des Humorpotentials dieser Gattung Fantasiewesen bewusst waren. Während das Unsichtbarsein mit all seinen Vorzügen meist schön gemalt wurde, thematisierte John Carpenter es in den 90er Jahren mit „Jagd auf einen Unsichtbaren“ humoristisch kritischer. Hier war es scheiße von Passanten nicht gesehen zu werden, oder beim Schließen der Augen trotzdem schwer einschlafen zu können, da man trotzdem etwas sehen kann. Bereits hier und in anderen Werken blitzt auch immer wieder kurz der Gedanke auf, sich wie ein Phantomwesen zu fühlen, das an seiner eigenen Existenz zweifelt. In „Mein Engel“ steht dieser Aspekt deutlicher denn je im Raum, auch wenn er nicht zum Hauptaspekt des Streifens wird.

„Mon Ange“ (Originaltitel) konzentriert sich auf den dramatischen Aspekt des Unsichtbarseins und auf den sinnlichen Aspekt der Zweisamkeit. Bereits die Zärtlichkeiten im Kindesalter, die gekonnt einer kindgerechten Perspektive nachempfunden werden, wissen eine kribbelnde Romantik entstehen zu lassen, jenes Genre, das in diesem Film über allen anderen steht. Zwar bietet die erste Filmhälfte allerhand Spezialeffekte um die Anwesenheit des Unsichtbaren deutlich zu machen, im Mittelpunkt steht hier jedoch die Sinnlichkeit zweier einsamer Kinder, die ihren Seelenverwandten ineinander gefunden haben und vorurteilsfrei und kompromisslos einander mögen, ja sogar lieben können, wie es dies im Erwachsenenalter kaum noch möglich ist. Der dramatische Aspekt der Isolation klingt nur am Rande immer wieder an, wird nicht sonderlich vertieft, zumal die Verantwortlichen der Geschichte ohnehin nicht daran interessiert sind die vielen Probleme, von denen man erzählen könnte, zu thematisieren. Wie Mein Engel ohne Mama, völlig unentdeckt vom Rest der Welt all die Jahre alleine überlebt, ehe das Mädchen als junge, sehende Erwachsene ins Elternhaus heimkehrt, wird nicht verraten. Solche Punkte werden ignoriert und lassen den Film absichtlich weltfremd wirken, was die bizarre Wahrheit von Mein Engel ebenso unterstreicht, so wie die schleichende, sanfte Kameraführung und ihr optisches Spiel mit Nähe und Unnahbarkeit das Phantomhafte des Titelhelden unterstreicht.

„Mein Engel“ ist ein sanfter Film, der die übernatürliche Ausgangslage innerhalb der nichts weiter zulassenden Liebesgeschichte lediglich als körperliches Hemmnis nutzt, so als würde man den Liebenden eine x-beliebige andere Krankheit andichten. Zwar steht das Unsichtbarsein stets im Raum, aber es sind nur wenige Momente, wie der traurige Aspekt einen Menschen den man liebt nicht in die Augen blicken zu können, welchen die grobe Story letztendlich von einer anderen „ich liebe einen Behinderten“-Geschichte unterscheiden würde. Letztendlich ist es lediglich ein Makel nicht gesehen zu werden, „Mein Engel“ stellt diese körperliche Eigenart der Titelfigur keineswegs als Behinderung dar, so wie ich es so eben in meinem Erklärungsansatz getan habe. Manch einer wird sich damit schwer tun jeglichen anderen Aspekt, außer dem Seelenleben und davon hauptsächlich die Sinnlichkeit, außen vor zu lassen und damit zwingend einhergehende Fragen nicht beantwortet zu kriegen. Auch physologische Aspekte, wie das vorhin erwähnte Beispiel mit den Augenlidern im Carpenterfilm, geht „Mein Engel“ nicht an. Der Film soll einem Liebesrausch gleichen, unterbrochen von Momenten der Angst, des Selbstzweifels, der Tragik und kurzfristig auch des Abschiedes von der Mutter.

Zwar funktioniert der Film auf dieser einseitigen  Ebene recht angenehm, dennoch konnte ich nie völlig in ihm eintauchen, wirkte mir die Geschichte doch eine Spur zu formelhaft abgearbeitet. Die Vernarrtheit Harry Clevens in die nackten Aspekte des Unsichtbarseins, z.B. dem Voyeurismus eines angeblich nicht Anwesenden, dem optischen Trick wenn wer Nichtzusehendes an einer Brustwarze saugt, all dies wirkt, obwohl es nicht dem Tabubruch dient, in seiner Vielfalt eine Spur zu aufgesetzt, zumal vergleichbare, verwandte Themengebiete nicht derart detailreich abgearbeitet werden, wie diese Lust an der Haut. Teilweise bleibt „Mein Engel“ in seiner Art zu theoretisch, und dies obwohl er mir, wie nur selten der Fall, eine rothaarige Love Interest des Helden präsentiert, jene Haarfarbe, die auch ich bei Frauen am sinnlichsten empfinde. „Mein Engel“ geht emotional tief und wirkt diesbezüglich doch zu kompakt. Die Geschichte verläuft wie im Schulbuch für Drehbuchautoren abgelesen. Dass man trotzdem so intensiv in diese Liebesgeschichte eintauchen kann, liegt an der naiven, bedingungslosen Lieben zweier Erwachsener, wie sie es als Kinder voneinander gelernt haben. Die vollkommene Naivität, das bedingungslose Vertrauen, das ist es was die Geschichte so mitreißend werden lässt und einen als Zuschauer unglücklich stimmt, weil eine solche reine Liebe als Erwachsener in der Wirklichkeit nicht mehr möglich scheint.

Manch anderer wird genau in diesem Bereich ein Hemmnis sehen nicht in die Geschichte eintauchen zu können. Das Treiben der beiden jungen Erwachsenen mag manchem zu blauäugig erscheinen, gerade in jener recht lang geratenen Phase, in welcher die Frau sich darauf einlässt bei ihren Treffen mit Mein Engel nicht hinzugucken. Meiner Meinung nach ist dies jedoch durch die intensive Vorgeschichte glaubwürdig erzählt, so nah wie sich beide als Kinder sind und voneinander Vertrauen, Liebe und Mitgefühl lernen. Dass im Umfeld des Nachbarsmädchen jegliche Erwachsene ausgeblendet werden und auch hier nie ein Erklärungsansatz darüber stattfindet, wie es die Kinder schaffen einander unerkannt zu begegnen, ist ein anderer Punkt den man einfach hinnehmen muss. Ob das Mädchen über ihren Freund spricht, so wie es der Junge auf der Gegenseite zu seiner Mutter tut, erfährt man nie. Dass, falls geschehen, die andere Elternseite eventuell mehr über den Spielkammeraden eines immerhin zu schützenden, da blinden, Mädchens erfahren will, wird somit ebenfalls ausgeblendet. So sehr ihr jeweiliges Leiden die Kinder vom Rest der Gesellschaft isoliert, so sehr wird uns dies in rein vollkommener Zweisamkeit präsentiert, was ebenfalls dem Gefühl des Zweifels dient ob man existent ist oder nicht.

Überraschend fällt „Mein Engel“ insofern aus, als dass er sich nicht all zu sehr als Sinnbild diverser analytischer Ansätze eignet, wie man meinen könnte, wenn die Mutter ihrem Kind doch solch einen bizarren Grund nennt, warum er unsichtbar ist, die gute Frau in einem Sanatorium lebt, da sie unter Depressionen, vielleicht gar psychisch unter noch anderen Krankheiten leidet. Einige Zeit glaubte ich der Fakt unsichtbar zu sein wäre eine Lüge, die mit dem Wiedersehenkönnens des Mädchens als solche entlarvt wird. Auch ist Mein Engel keine Einbildung, keine Geistergestalt, kein imaginäres Baby oder imaginärer Freund, hierfür müsste die Geschichte eine der beiden zentralen Frauen ausblenden. Dass Mein Engel existiert beweist der Kontakt zu zwei verschiedenen, sich gegenseitig nicht kennenden, Menschen. Gleiches beweist, dass bei beiden keine Halluzination stattfindet. Anders erzählt und solche Ideen zulassend, würde „Mein Engel“ tiefer greifen und bedeutender werden. Aber es ist wie es ist, letztendlich interessiert sich die Geschichte lediglich für die in vielerlei Hinsicht ungewöhnliche Liebesgeschichte, so dass der Film zur Lightversion dessen was er sein könnte degradiert wird. In dieser simpleren Form weiß er mir allerdings trotzdem zu gefallen, hauptsächlich aufgrund dieser aufregenden Art zu lieben, die ich in dieser bedingungslos naiven Form seit meiner Jugend nicht mehr erleben durfte.  OFDb

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