19.05.2019

DAS EXPERIMENT (2001)

"Das Experiment" beruht auf den von mir nicht gelesenen Roman "Black Box", welcher wiederum auf einem tatsächlich durchgeführten Experiment beruht, welches schockierende Ergebnisse über das Verhalten von Menschen in Machtsituationen hervorbrachte, mit starken Übereinstimmungen zu jenen der Filmsituation, jedoch nicht derart ausartend und nicht in solch kurzer Zeit ausgelöst. Für die Filmversion wird ordentlich Tempo gegeben, die Eskalation endet in mörderischen Kämpfen auf Leben und Tod nach nur fünf Tagen, und damit das Geschehen trotzdem glaubwürdig bleibt, immerhin soll "Das Experiment" kein schlichter Unterhaltungsfilm sein, wird der Faktor Tarek eingebaut, um mit seinen absichtlichen Provokationen die Sache zu beschleunigen. Das funktioniert ganz gut, da das Drehbuch darauf bedacht ist möglichst psychologisch vielschichtig zu reflektieren und mit reichhaltigen Faktoren den oftmals erschreckenden Blick in menschliche Verhaltensweisen zu bereichern. Für einen intellektuellen Film wird zwar etwas zu extrem mit Stereotypen gearbeitet, aber die Intelligenz des Stoffes und die Sachlichkeit, die selbst in emotionsgeladenen Momenten nicht pausiert, lassen einen darüber ebenso hinwegsehen, wie über manches Klischee typischer Erzählmuster (z.B. diesbezüglich wer sich an wem am Ende revanchieren darf).

Denn trotz dieser Eingeständnisse zu Dramaturgiezwecken und der Orientierung an den Sehgewohnheiten des Publikums, ist Regisseur Oliver Hirschbiegel ein ansonsten erschreckend authentisch wirkendes Werk geglückt, das keinen gleichgültigen Zuschauer zurück lassen dürfte. Die Extremsituationen, denen man hier beiwohnt, gehen einem nahe, lassen einen noch Tage nach dem Sichten nicht los, so hilflos wie man sich angesichts der Tatsachen fühlt, was in einem Menschen ohne Kontrolle steckt. Wie auch in seinem Werk "Der Untergang", so zeigt Hirschbiegel auch mit dem hier besprochenen Drama auf, dass Verbrecher an der Menschheit, wie sie beispielsweise die Nazis waren, eben keine Monster waren, sondern Menschen, und dass man sie als diese (be)greifen muss, um zu hinterfragen wie es zu solchen Ereignissen kommen kann, wie es in uns ausbrechen kann, und wie sich zukünftige Situationen dieser Art eventuell verhindern oder zumindest eindämmen lassen. Die Frage nach Schuld und Unschuld wird von Anfang an gut vermischt, immerhin hat der verspielte, aber unfaire Einsatz der Gefangenen erst den Ball ins Rollen gebracht. Die Reaktionen der Wärter stehen jedoch in keinem Verhältnis zu den Auslösern, weshalb sich dieses Argument im Laufe der Zeit, wenn die Teilnehmer längst aus den Augen verloren haben, dass alles nur eine Rolle in einem Experiment ist, verflüchtigt.

Manches von dem, was der Film uns weiß machen möchte, bleibt rückblickend, weniger aufgeregt betrachtet, in der Schwebe. So analytisch korrekt das meiste auch angegangen wurde, und so psychologisch wirksam das alles auch inszeniert ist, so bleiben offene Fragen im Verhalten der Teilnehmer, die man aufgrund dessen, dass hier keine alltägliche Situation wiedergegeben wird, nicht beantworten kann. So stellte sich mir beispielsweise die Frage, nach dem emotionalen Sichten wieder heruntergekommen, ob man sich so wie das Experiment hier durchgezogen wurde, überhaupt derart in der Wärterrolle verlieren kann, denn im Gegensatz zur Gefangenenrolle dürfen Wärter Feierabend machen, nach Hause gehen und werden wieder aus der gelebten Illusion herausgerissen in die Realität. Aber das sind kurze Anflüge eventueller Lücken, die nicht wichtig genug zu nehmen sind, um dem Psycho-Drama deshalb sein Niveau, seine Schlüssigkeit und seine Aussagekraft aberkennen zu können. Immerhin setzt er die Knöpfe exakt kalkuliert richtig, allein schon aufgrund der nachvollziehbaren und psychologisch durchdachten Charakterzeichnungen, sowie durch seine vielschichtigen Blickwinkel. Aber auch mittels seines stillen Momente, die man nicht unterschätzen darf, und in denen die weibliche Hauptrolle eine extrem bedeutende Position einnimmt, guckt sich "The Experiment" (Alternativtitel) derart intensiv. Das Verfahren der gedanklichen Flucht in eine angenehme Erinnerung baute Hirschbiegel auch in seinem Drama "Elser" wieder ein. Er inszeniert es fast übernatürlich, so als stünde das Liebespaar in einer Art telepathischen Kontakt. Das verleiht diesem Element die Verträumtheit, die es benötigt, gesetzt in optisch verfremdete Kunstbilder. Sie reißen Tarek nach dem Erwachen immer wieder in die rohe Wirklichkeit seiner jetzigen Situation.

Ansonsten existiert nur noch eine Hightechbrille als phantastisches Element innerhalb eines authentisch gewollten Streifens, und dieses nimmt man zur Erleichterung der Erzählung auch wohlwollend an, zumal "Black Box" (Alternativtitel) damit signalisiert, dass er neben all seiner gewollten gesellschaftskritischen Aussagekraft und neben all dem intellektuellen Gehalt trotz allem auch Unterhaltungskino sein möchte, wenn auch nicht ansatzweise eines der seichten Art. Thriller und Drama werden diesem Aussagewerk als Kategorisierung kaum gerecht, bei dem Beinahe-Traumata, was dem Zuschauer mit diesem Werk widerfährt. Trotzdem bleibt "Das Experiment" eine erzählte, erfundene Geschichte, wahre Begebenheiten hin oder her. Hierzu fällt die eben erwähnte klassische Kinodramaturgie erneut auf, an die sich Hirschbiegel hält. Ist es ein Zugeständnis an das Publikum oder ein erneutes Signal durchaus Unterhaltung bieten zu wollen, wenn auch auf die harte Art und wenn auch nicht stumpf umgesetzt?

Wie auch immer, die Entladungen gegen Ende benötigt der Zuschauer meiner Meinung nach, um mit dem Stoff besser umgehen zu können. An der Gnadenlosigkeit zuvor, konsequent jede weitere Entwicklung hoch schaukeln zu lassen, kann manche Genugtuung am Schluss nichts zerstören. Ich finde sie ganz im Gegenteil sogar ebenso konsequent eingesetzt, wie den Rest, zumal man nach all dem angerichteten Schaden wohl kaum von einem Happy End sprechen kann. Das Nichtbenennen des Grundes für die Existenz des Schraubenziehers in der Black Box halte ich anbei für einen raffinierten Kniff, den scheinbar nicht jeder verstanden hat. Muss man auch nicht, die verdiente Beachtung und Hochachtung hat sich "Das Experiment" bei Publikum wie Kritikern auch so erarbeitet, sowohl wegen der aufkommenden Diskussionen, die der Stoff um viele Ecken gedacht verursacht, als auch aufgrund seines Verdienstes daran das Publikum zum Nachdenken anzuregen und die Welt etwas anders wahrzunehmen, als nur innerhalb des Tellerrandes. Nicht unterschlagen sollte man trotz alledem jedoch auch, dass er diese Beachtung auch wegen seines Nervenkitzels verdient hat, den er zu entfachen weiß. Neun Jahre später folgte die US-Amerikanische Neuverfilmung "The Experiment".  OFDb

2 Kommentare:

  1. Ich kenne nur diese deutsche Version und die hat mir ziemlich gut gefallen. Hast du die amerikanische gesehen? Und wenn ja, was macht die anders? Oder macht die überhaupt was anders?

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    1. Ich habe mich noch nicht an das Remake herangetraut. Allerdings lockt mich die interessante Besetzung dieser. Von daher, jetzt nach dem frischen Sichten des Originals, werde ich vielleicht doch mal demnächst reinschnuppern. Viel erwarte ich jedoch nicht.

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