14.06.2020

APPLECART (2015)

Wie vielschichtig die Underground-Kunst sein kann, beweist der unter dem Black Lava-Label erschienene, amerikanische Experimentalfilm "Applecart", der nicht, wie so oft üblich in diesem dreckigen Alternativbereich cineastischem Schaffens, hauptsächlich auf harte Gore-Momente setzt, sondern einer sehr eigenen Idee nachgeht. Pantomimisch als Stummfilm dargeboten, untermalt von Klaviermusik, gelegentlichen eingearbeiteten und künstlich anmutenden Geräuschen, sowie von Gelächter eines angeblichen Live-Publikums, serviert uns Dustin Mills vier morbide Geschichten, die stets Sexualität, Dramatik und Gewalt vereinen. Wie provokativ der Film gemeint ist, bzw. wie sehr er sich vom klassischen Filmschaffen unterscheidet, beweist er direkt zu Beginn, wenn er ungeschönt und auf sehr direkte Art eine masturbierende, dicke Frau zeigt. Das ist inhaltlich unnötig und ein wenig zu pseudo-provozierend eingebracht, bereitet jedoch das bevorstehende Feeling des Streifens vor und selektiert bereits dort das Publikum.

Einmal ins tatsächliche Geschehen eingetaucht, zeigt uns der Film morbide, aber auch recht schlicht gestrickte Situationen, die nicht gerade tief gehen. Mills überlässt der Art der Inszenierung des Schwarz-Weiß-Streifens die Wirkung, und das reicht für ein akzeptables Ergebnis bereits aus. Gerade die wunderbar grotesk anmutende Idee, dass jeglicher Darsteller eine weiße Maske trägt, manches Mal mit charakteristischen Merkmalen bemalt, erweist sich als die halbe Miete Gezeigtes interessanter wirken zu lassen, als es eigentlich ist. Die Darsteller überzeugen in mal übertriebener, mal geradezu klassischer Gestik pantomimischer Darstellung und beweisen mit ihren häufigen Nacktaufnahmen zudem Mut. Mills umgeht weder Detailaufnahmen im Intimbereich, noch blendet er Ejakulation, Urinieren oder Erektion aus. Jegliche der vier gezeigten Situationen mündet in einer durch rauschende Akustik vorgewarnte Gewaltreaktion, und meist wird das Ganze durch seinen humoristischen Grundton verstörender vorgetragen, als manch drastisches Bild ohnehin schon ausgefallen ist. Nicht falsch verstehen, Mills hält sich mit blutiger Gewalt zurück und zeigt sie nur gelegentlich, ihm ist der psychische Terror wichtiger, aber gelegentlich hält er uns Aufnahmen vor die Nase, die einen tatsächlich an die eigenen Grenzen bringen. Und diesen Effekt erzielt er meist nicht mittels irgendwelcher Bluttaten, sondern aufgrund der Extremität und Direktheit des Gezeigten.

Die dritte Geschichte sticht zwischen den anderen drei Episoden heraus, ist sie doch als einzige ernst gehalten. Sie fällt ohnehin dramatischer aus und erzielt diesbezüglich einen zusätzlichen Effekt dadurch, dass nun auch Klaviermusik und Gelächter stumm bleiben. Komplett ohne Ton dargeboten, mit Ausnahme des Rauschens, welches vor jeder Entladung auftaucht, wird das Leiden der schwangeren Tochter unter der gewaltsamen Erziehung ihres christlichen Vaters verdeutlicht und wirkt dadurch tatsächlich intensiver. Theoretisch gesehen ist Mills ein interessanter Ausnahmefilm geglückt, zumal Fotografie und die bizarren Einflüsse tatsächlich künstlerisch überzeugen. Wie im Underground-Bereich meist zu bemerken, so ist aber auch "Apllecart" eine Spur zu sehr darin bemüht Provokationen vorzubringen. Als natürliche Elemente inmitten der zu erzählenden Geschichten, wären diese eine hervorragende Zutat. Es verhält sich jedoch anders herum. Die Geschichten werden simpel um die Provokationen herum gestrickt, und das wirkt zu bemüht und reißerisch. Dass es sich dennoch deutlicher um Kunst handelt, im Gegensatz zu manch anderen darum bemühten Underground-Filmen, kann man dem Werk und seinem Schöpfer jedoch nicht absprechen. Dank einer Laufzeit von etwa 50 Minuten funktioniert das Projekt zumindest, ohne die Geduld des Zuschauers zu überfordern. Auf der hier vorliegenden kreativen Basis hätte ich mir jedoch etwas Einfallsreicheres, Tiefgehenderes und Interessanteres gewünscht, als diese zu Porno-lastige Provo-Parade, die mich in ihrer Art, gerade aufgrund des Sitcoms-Aspekts, immer ein wenig an die Porno-Reihe "That Sitcom Show" erinnert hat.  OFDb

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