05.08.2021

NOIR (2013)

Ein abgelegener Ort, maskierte Umherschleichende, das Vermischen von Wahn und Wirklichkeit, ein Mann mit einer Heckenschere, es ist lange her, dass ich die drei von mir besprochenen Filme des Ausnahme-Amateur-Horrorfilmers Ralf Möllenhoff sah, und deswegen war ich beim Sichten von "Noir" die ganze Zeit am rätseln, ob seine Geschichte mit diesen Parallelen nur sehr nah an dessen 2008 gedrehten "Nerves" orientiert war, oder ein direkter Bezug besteht. Der Abspann gab mir schließlich eine Antwort auf das, was ich aufgrund fehlender konkreter Erinnerung und einem Blick auf meine Review zum genannten Werk alleine nicht beantwortet bekam: "Noir" ist die Fortsetzung von besagtem Film. Ich weiß nicht ob er nun die Vorgeschichte erzählt oder eine später stattfindende. Ich denke mal dass es letztendlich egal ist, man versteht den hier besprochenen Streifen sowieso, auch ohne seinen Vorgänger zu kennen (wenn man das so behaupten kann, der Film verwirrt den Zuschauer absichtlich und lässt ihn auch gegen Ende nie im Klaren was nun Wahn und Wirklichkeit ist). Dennoch fand ich es ein bisschen schade, dass der für die deutsche Amateurszene ungewöhnlich vorgehende Regisseur ausgerechnet jenen seiner Filme fortsetzte, der mir am wenigsten gefallen hat.

Mein Urteil fällt ähnlich aus wie dort, fast bestehend aus den selben Plus- und Minuspunkten des Vorgängers, was aber auch bedeutet wie kompatibel beide Filme letztendlich ausgefallen sind, so dass Freunde des Erstlings auch hier gut aufgehoben sind. Auf der Habenseite haben wir ein künstlerisch wertvoll abgefilmtes Werk, das gerade mit den verschiedenen Techniken diverser Filmkameras trumpft. Handwerklich fällt die Reflexion Möllenhoffs auf, ein Aspekt der inhaltlich nicht sonderlich deutlich wird. Aber ein Blick auf erkennbare Überlegungen hinter der Kamera lassen welche vor der Kamera, bzw. welche im Drehbuch, vermuten, auch wenn die Erzählung der wir beiwohnen dies nicht klar präsentiert. Wie erwähnt gibt es diese stattdessen im technischen Bereich zu entdecken. Zum analytisch jeweils richtigen Zeitpunkt gesetzte, absichtlich widersprüchliche Aufnahmen zwischen Winter und Sommer, sowie der Wechsel zwischen Schwarz/Weiß- und Farbaufnahmen begleiten das Erlebte jeweils psychologisch passend. Gleichzeitig ist Möllenhoff interessiert am künstlerischen Aspekt. So sucht er z.B. stets interessante und stimmige Aufnahmeausnahmen im ansonsten meist eher monotonen Treiben weniger Gesichter und Spielorte. Entfremdungen durch ungewöhnliche Farbsetzungen, entrückte Kameraaufnahmen und ungewöhnliche Schnittsetzungen kommen ebenfalls hinzu, ebenso wie eben erwähntes unterschiedliches Filmmaterial, freilich mit Super 8 am Start, was Möllenhoff stets am Herzen liegt.

Die fein anzuschauenden Filmaufnahmen, die im Amateursektor so gar nicht üblich sind, geben ihm Recht und bescheren "Noir" u.a. jenen Retroaspekt, vor dessen vergangene Horror- und Thriller-Epochen er sich verbeugt. Am deutlichsten wird dies sicherlich bei seiner etwas an "Frankenstein" erinnernden Sequenz einer Wiedererweckung, aber auch andernorts finden sich Übereinstimmungen zum vergangenen Kino, wenn meinerseits auch eher intuitiv wahrgenommen, anstatt konkrete weitere Beispiele nennen zu können. Außerdem gehört zu den positiven Aspekten von "Noir" Möllenhoffs bereits in den anderen Werken zu entdeckendes Gespür für Atmosphäre und Stimmung. Diesmal schafft er es sogar recht spannende Momente zu erzeugen, denen zwar der letzte Schritt zum Grusel fehlt, nicht aber die packende Stimmung. Jene Szenen finden sich jedoch erst, dann aber in angenehmer Schlagzahl, im letzten Drittel, jener Phase des Streifens, die ich ohnehin als die angenehmste und interessanteste des gesamten Filmes empfand, wenn auch etwas unangenehm eingeleitet durch ein zeitlich und per Off-Kommentar eher plump gesetztes Einweihen diverser Hintergründe.

Das ist aber zugegebener Maßen ein recht strenger Kritikpunkt, erst recht wenn man sich die Stunde zuvor anschaut, die trotz erkennbarem Engagement und trotz der künstlerischen Ambitionen doch etwas arg zäh ausgefallen ist. Zu distanziert begegnen wir den Charakteren, als dass sie als Identifikationsfiguren den an sich lobenswert ruhig erzählten und rätselhaften Plot tragen könnten. Zu theoretisch und zu gewollt verwirrend wirkt bereits die Handlung an sich. Einige technische Ärgernisse verhinderten außerdem eine gewisse Zeit, mich überhaupt in "Noir" einfinden zu können. Die nachträgliche Synchronisation ist gerade in den ersten zehn Minuten arg penetrant zu direkt ins Mikrofon gesprochen. Und der Drang Möllenhoffs seine Protagonisten meist in Nahaufnahme einzufangen, anstatt etwas mehr auf optische Distanz zu gehen, verhindert ebenfalls ein warm werden, gerade auch mit dem Handlungsort, der Möllenhoff andererseits doch so wichtig erscheint. Es sind dann tatsächlich auch eher die oben genannten technischen und künstlerisch ehrbaren Aspekte, die einen im ersten Drittel interessiert dran bleiben lassen. Der Plot ist es trotz einiger weniger Schauwerte nicht. Ich glaube jedoch einen satirischen Ansatz über die Kunstszene wahrgenommen zu haben, keine Ahnung ob das beabsichtigt ist oder nicht, aber das hat mir gut gefallen, gerade auch beim zweiten Anflug, wenn erneut ein Künstler Einblick in den Sinn eines seiner Werke gibt.

Lange Zeit hat mich der eigentliche Aufhänger (das Geheimnis hinter den Rätseln, bzw. das Entdecken eines Zusammenhangs der wild durcheinander gemischten Eindrücke) nicht sonderlich interessiert. Einzelne Momente haben mich hingegen sehr wohl gepackt. Wenn während einer Bootsfahrt die zuvor beobachteten Maskierten plötzlich am Ufer erscheinen, besitzt das definitiv Wirkung. Wenn wir einem Blinden dabei zusehen, wie er im schwarzen Kunstwerk der Hauptfigur etwas entdeckt, was er nicht wissen dürfte, schwebt ein angenehmes Mysterium im Raum (welches mich ein wenig an vergleichbare Momente bekannterer Werke Fulcis erinnert hat). Derartige Szenen und gut gesetzte Schauwerte stehen leider im Widerspruch zu nicht so toll anzuschauenden Spezialeffekten. Die handvoll Gore-Effekte sind angenehm dosiert über den Komplettfilm verteilt und sind stets sinnvoll zum Erzählten eingebracht und wirken dadurch nie reißerisch. Aber sie sind, auch für einen Amateurfilm, in ihren simplen Tricks wenig überzeugend. Am übelsten trifft es die erste Aufnahme diesbezüglich, in welcher ein Auge blutend bearbeitet wird, aber auch die anderen, leicht besser umgesetzten, harten Momente bieten nicht die Illusion, die Möllenhoff gerne hätte. Das weiß zu enttäuschen, nicht nur einem einzig nach geilen Effekten lechzenden Stammzuschauer von deutschen Amateur-Horrorfilmen.

Der ist ohnehin nicht Zielpublikum dieses oder anderer Filme von Möllenhoff. Mag es mitunter auch um einen ominösen Kult, üble Ereignisse in einer Nervenheilanstalt, sowie um Wiedererweckung von Toten gehen, Möllenhoff visiert ein vielschichtig interessiertes Publikum an. Es soll mitdenken, Vergnügen am Andersartigen haben, auch am vergangenen Stil, an der rätselhaften Geschichte, am trockenen Grundton. Und so sehr ich das auch begrüße, allein schon wegen dem auf künstlerischer Ebene gut funktionierendem Ergebnisses, "Noir" ist zu sperrig ausgefallen. Eine trockene Erzählung muss einem flüssigen Unterhaltungswert nicht widersprechen, wie gerade Werke der 70er Jahre zeigen, und ein solcher will sich in "Noir - Art Bizarre" (Alternativtitel) erst zu spät auftun. Im letzten Drittel angekommen passiert dies endlich, und es gleicht fast einem Wunder, dass einem dies zu solch einem späten Zeitpunkt nicht bereits egal ist. Tatsächlich (wiederer)weckt der ereignisreichere Part nun das Interesse des Zuschauers, so sehr sogar, dass ich mir im Nachhinein dachte wie toll es gewesen wäre, wenn dies ein Kurzfilm wäre der nur die letzten 30 bis 35 Minuten erzählt. Und selbst hier verzichtet Möllenhoff trotz ereignisreicherem Geschehens nicht auf rätselhafte Umstände und künstlerisch wertvolle Elemente. 

So gefällt mir z.B. die Kamerafahrt, welche die Pinselstriche begleitet, oder der mich an die simple Auflösung in "Suspiria" erinnernde Kniff um die weiße Farbe auf dem schwarzen Gemälde (was aufgrund dessen was dem folgt dann doch nicht die ganz so simpel angenommene Konsequenz ist, wie es zunächst scheint). Auch der Schluss, der einen aufgrund unterschiedlicher Aufdeckungen weiterhin im verwirrten Zustand zwischen Realität und Wahnsinn zurück lässt, weiß zu gefallen und setzt sich passend dazu im angenehm anzuschauenden Abspann fort. Spätestens dort fällt anbei die angenehm zurückhaltende Hintergrundmusik auf, die stimmig genug ist um Szenarien zu tragen, sich aber nie in den Vordergrund spielt. Ohnehin setzt Möllenhoff sie spärlich ein, was vielleicht aber auch ein Mitgrund dafür sein könnte, dass der Film sich einige Zeit etwas arg zäh schaut. Ich weiß es nicht. "Noir" ist nun nach 8 Jahren auf DVD erschienen und gefällt in seiner Aufmachung und den interessanten Extras. Ein zu Beginn der DVD eingestreuter Trailer auf ein kommendes Projekt weckt Neugierde, gerade auch weil mir die dort angedeutete Thematik gefällt. Allerdings freue ich mich allein schon deswegen auf den kommenden Film, weil "Noir" bislang leider der letzte besagten Regisseurs war und sich somit einige Jahre nichts tat. Eben weil Möllenhoff entgegen dem was im deutschen Amateursektor im Horrorbereich sonst üblich ist arbeitet, freue ich mich über jedes seiner Projekte, künstlerisch ambitioniert sind sie alle.  OFDb

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