16.08.2012

DAS UNSICHTBARE AUGE (1978)

Weil sie von einem unbekannten Mann lange Zeit telefonisch belästigt wurde, zieht eine TV-Redakteurin in eine neue Stadt. Nicht einmal eingelebt in ihrem neuem zu Hause, eine Wohnung in einem großen, modernen Wohnkomplex, beginnen die Anrufe von neuem. Und mehr noch: Es scheint, dass der anonyme Anrufer alles sehen und hören kann, was sie tut. Der Polizei sind die Hände gebunden, also wendet sich die ängstliche Frau an ihren neuen festen Freund. Als sie entdeckt, dass der unbekannte Täter sogar Zugang zu ihrer Wohnung hat, spitzen sich die Dinge zu...

Eines der Fenster gegenüber...
 
Zwischen seinen Erfolgsfilmen „Assault - Anschlag bei Nacht“ und „Halloween - Die Nacht des Grauens“ drehte John Carpenter den kleinen TV-Film „Das unsichtbare Auge“, der weit weniger Berühmtheit erlangen sollte als viele andere Werke des Kult-Regisseurs, der bis zu seinem Absturz Mitte der 80er Jahre als Wunderkind seines Berufes bezeichnet wurde.

Nur zwei Wochen vor dem legendären Horrorfilm um Michael Myers gedreht, kann man „Someone‘s Watching Me“ (Originaltitel) als eine Art Vorbereitung auf „Halloween“ betrachten, stehen doch in beiden Filmen Frauen im Mittelpunkt, die von einem Unbekannten bedroht werden. Beide Streifen sind mit ruhiger Hand inszeniert und verlassen sich auf ihren dünnen wie wirkungsreichen Plot. Zusätzliche Aufhänger werden nicht benötigt, und das Vertiefen von Charakteren wird ebenso wichtig genommen wie die Momente der Suspense.

Die Intensität eines „Halloween“ fehlt der kleinen TV-Produktion schon, aber „Das unsichtbare Auge“ guckt sich wesentlich fesselnder als man meinen könnte, durfte Carpenter, der auch Autor dieses Thrillers war, doch recht frei seiner Vision der Geschichte folgen, so dass seine Handschrift definitiv zu erkennen ist. Lediglich der Soundtrack ist diesmal nicht selbst komponiert. Das merkt der Kenner direkt. Aber zumindest hatte John Carpenter auch bei der musikalischen Untermalung Mitspracherecht.

Während wir den Psychopathen aus „Halloween“ von Anfang an kennen, ist der Täter im hier besprochenen Streifen ein Anonymer. Dies wird jedoch nicht so angegangen, um ein Täterraten a la „Mitternachtsspitzen“ und „Scream“ zu zelebrieren. Das wird mancher erwartet haben und den ein oder anderen verärgert haben, wenn im Finale der Voyeur ein Irgendwer ist. Erkennt man jedoch die Schwerpunkte Carpenters zu diesem Thema, ist das vermisste Element überhaupt nicht notwendig.

Anonym muss der Täter dennoch sein, soll man sich doch mit dem Opfer identifizieren können, und das würde nur bedingt funktionieren, wenn der Zuschauer im Gegensatz zur Heldin eingeweiht wäre. Zudem nutzt Carpenter die Figur des Fremden, um das wesentlich wichtigere Objekt der Gefahr ins Zentrum zu rücken: das Fernrohr. Ähnlich fast zur Person werdend wie Spielbergs Laster in „Duell“, weiß Carpenter das Gerät gekonnt einzufangen. In solch bedrohlichen Aufnahmen dieses Gegenstandes interessiert die Identität seines Nutzers kaum noch, so als würde für einen Moment das Fernrohr selbst der Täter sein..

Zweiter Schwerpunkt der Bedrohung ist das Telefon, das mit seinem penetranten Läuten immer wieder Gefahr auszustrahlen vermag und als Bindeglied zwischen Opfer und Täter fungiert. Dass die TV-Regisseurin zudem von ihrem Peiniger abgehört wird, ist ein Fakt den nur der Zuschauer weiß, ein Fakt der auch in ein zweites Geheimnis einweiht: der Voyeur hat Zuritt in die Wohnung der verängstigten Frau.

So modern noch immer das Thema Stalking ist, so veraltet ist die Art und Weise mit welcher der Täter in „High Rise“ (Alternativtitel) vorgeht. Am Telefon ist man längst nicht mehr anonym. Aber „Das unsichtbare Auge“ ist ein Film, den man mit den Augen der damaligen Zeit betrachten muss, und mit Blick in die Vergangenheit ist Carpenter das Thema doch recht modern angegangen, was sich nicht nur an der veralteten Elektronik des Täters zeigt, sondern viel mehr an der Art des Wohnkomplexes, in welches unsere Heldin zieht und zudem am selbstbewussten, gesund-emanzipiertem Charakter dieser.

Der anonyme Täter, Tatort Wohnung der Hauptfigur,... würde Carpenter nicht immer wieder zwischendurch andere Spielorte einstreuen, der Thriller könnte ein Kammerspiel sein, erst recht wenn man betrachtet wie sehr der Regisseur das Geschehen aufs Wesentliche versimpelt, um ein Maximum an Spannungsgehalt und Atmosphäre herauszupressen. Sein Film dreht nicht nur das Szenario des Hitchcock-Hits „Das Fenster zum Hof“ um (was ebenso wie die Nähe von „Halloween“ zu „Psycho“ verdeutlicht, wie sehr der Engländer Vorbild für Carpenter war), sondern auch den typischen Kritikpunkt von Großstädten: unsere Heldin lebt nicht mehr anonym.

Ironischer Weise lebt die Sicherheit des Täters wiederum genau von dieser so häufig angeklagten Anonymität, die durch die enorme Fensterwand eines Hochhauses treffend symbolisiert wird. Wenn in einer späteren Phase das Opfer selbst zu den Methoden des Täters greift, weiß Carpenter selbst die Gebäudefront unheimlich wirken zu lassen. Sei es der Blick durch das Fernglas, während es rasant von einem Stockwerk zum nächsten hastet, oder sei es noch mehr der wandernde, suchende Blick von Fenster zu Fenster in nur einem Stockwerk. Scheint die Wohnung des Täters enttarnt zu sein, weiß allein das tiefe Schwarz der nicht beleuchteten und scheinbar menschenleeren  Wohnung ein Unbehagen zu entfachen.

Da „Das unsichtbare Auge“ aus den USA der 70er Jahre stammt und zudem ein TV-Produkt ist, bleibt er in dem was er zeigt relativ bieder. Neuere Varianten des Themas können da wesentlich provokantere Aufnahmen zeigen, um zu verdeutlichen wie sehr die Privatsphäre einer Person durch einen Stalker verletzt wird. Gerade deshalb ist es sicherlich auch hilfreich, dass sich relativ schnell verdeutlicht, dass der heimliche Bewunderer in naher Zukunft zum Mörder werden möchte, so dass dem Aspekt des Voyeurs noch die Bedrohung gegenüber steht, dass sein Opfer eventuell nicht lebend aus der unangenehmen Situation heraus kommt.

Den Film überfrachtet das nicht, ganz im Gegenteil, es fördert den Spannungsgehalt einer an sich simplen Geschichte. Man kann wohl von Glück reden, dass John Carpenter mit dem Folgefilm „Halloween“ zu einer bekannten Persönlichkeit unter den Regisseuren wurde. Die Geschichte allein würde heute wohl kaum noch wen locken, um „Das unsichtbare Auge“, der im Gegensatz zu dem was manch andere Quelle behauptet in gerade Mal 10 Tagen heruntergedreht wurde, zu sichten.

Der hier besprochene Thriller wäre noch unbekannter und ungeguckter als ohnehin schon, und das hätte er nicht verdient, ist er doch solide umgesetzt, ununterbrochen atmosphärisch, immer wieder spannend und mit Lauren Hutton, die sieben Jahre später neben Jim Carrey in „Einmal beißen bitte“ spielte, auch sehr gut besetzt. Hutton weiß einen Großteil der Story alleine zu tragen, und laut eines Carpenter-Interviews war sie seinerzeit sogar gegen ihre bisherige Schauspielerfahrung besetzt. Vielleicht spielt sie auch gerade deswegen so unglaublich engagiert.  OFDb

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